Ohne «Gspürsch-mi» gibt es keine verantwortungsvolle Teamentwicklung
Die «Team-Euphorie» ist ein zweischneidiges Schwert: Einerseits bietet sie Hand zur Manipulation und andererseits weckt sie Erwartungen, welche die Teammitglieder überfordern. Und doch lohnt es sich, in die Teamentwicklung zu investieren. Denn geschieht diese verantwortungsvoll, sind Mitarbeitende, die freiwillig «the extra mile» gehen, der Lohn dafür.
(Foto: zVg)
Grosse Unternehmen haben es schwer, gelten sie doch als formal, unpersönlich, kalt, unflexibel und starr. Menschen hingegen lieben Wärme, Nähe, Entgegenkommen, Verständnis und Geborgenheit. Damit sich Mitarbeitende nun auch in der Organisation wohl fühlen, wird «die Gruppe» wiederentdeckt: Hier halten alle fest zusammen, kommunizieren auf Augenhöhe, ziehen am selben Strang und es herrscht ein konfliktarmes Klima. Aufgrund solcher, teils naiver Idealisierungen hält die Gruppe unter dem Stichwort «TEAM» Einzug in die Organisation: Es geht um Teamarbeit, Teamentwicklung, Teamevents und Teamkooperation. Leider hat diese Euphorie auch Schattenseiten: Zum einen ist die Gefahr gross, dass Mitarbeitende mithilfe wirksamer gruppendynamischer Methoden und über ihren Wunsch nach Zugehörigkeit schlicht manipuliert werden. Zum anderen können Teams zwar viel leisten – aber eben auch nicht alles. Teamarbeit löst nicht alle Probleme und oftmals werden Erwartungen an Teams gerichtet, die diese schlicht überfordern. Dennoch ist die Entwicklung hin zu Teamarbeit eine gute Entwicklung, die viel ermöglicht – aber auch verantwortungsvoll gestaltet werden muss.
Synergie in Gruppen
Gruppen erreichen dann ein hohes Kooperationsniveau, wenn es den Mitgliedern gelingt, eine Gemeinschaft zu bilden, die vom Gefühl der Zugehörigkeit getragen wird. Ganz im Sinne des Spruchs «Geteiltes Leid ist halbes Leid» können Menschen wesentlich besser mit Angst und Ungewissheit umgehen, wenn sie sich einander anvertraut haben: «Gemeinsam sind wir stark!» Diese Definition im Sinne einer «Vergemeinschaftung» geht auf den Soziologen Max Weber zurück. Typische Gemeinschaften, zu denen der Schlüssel eben dieses Gefühl der Zugehörigkeit ist, sind Familien, Peer Groups sowie eng vertraute Freundes- und auch Arbeitskreise. Sie haben face to face miteinander zu tun haben und sind selten grösser als ein Dutzend.
Die Spielregeln lauten: Es darf prinzipiell über alles gesprochen werden. Das heisst, es gibt keine Trennung zwischen öffentlichem und privatem Menschen. Beide Facetten können freimütig angesprochen und ausgefragt werden. Des Weiteren gilt eine besondere Form der Vertrauensbildung. Im Gegenüber wird nicht nur ein standardisierbarer Leistungsträger gesehen, den man für bestimmte Aufgaben anfragt, sondern der ganz Mensch wird angesprochen und einbezogen. Seine Persönlichkeit und Einzigartigkeit ist ein wesentlicher Teil der Gruppe, er ist im Prinzip nicht ersetzbar und seine Mitgliedschaft endlos. (Dies ist der Grund, warum Stiefmütter in Märchen einen so schweren Stand haben.) Um dazuzugehören, wird man entweder hineingeboren oder ganzheitlich-emotional integriert. Man denke nur an Initiationsriten wie Taufe, Beschneidung, Eid und Gelöbnis. Es sind typische Formen einer unwiderruflichen Besiegelung von Zugehörigkeit.
Rationalität und Arbeitsteilung
Auf all diese emotionalen Aspekte, die im Arbeitskontext auch gern als «Fühlsch-mi und Gschpürsch-mi» abgetan werden, kann eine Organisation eigentlich keine Rücksicht nehmen. Schliesslich herrscht Rationalität! Man begegnet sich via dienstlicher Rolle. Die Zusammenarbeit ist indirekt und medial. Beziehungen sind prinzipiell austauschbar und weitgehend durch bürokratische Ablaufschemata geregelt. Auch dieses Miteinander, welches als Gegenpol zur Vergemeinschaftung als «Vergesellschaftung» bezeichnet wird, gehorcht spezifischen Kooperationsregeln: Die Mitglieder müssen nicht mehr alles voneinander wissen und nicht mehr alles thematisieren, um arbeiten zu können. Die Frage: «Wo warst du gestern Abend?» wird in einer Ehe anders beantwortet als beim Znüni in der Arbeit, und die Antwort: «Was ich privat mache, geht hier niemanden etwas an», wird auch nur dienstlich akzeptiert.
Unter vergesellschafteten Bedingungen existieren alle zuvorderst für sich allein. Die Menschen gehen pragmatisch gemäss ihrer Rolle und Position miteinander um. Nicht das Gefühl, sondern die willentliche Zusage zählt (siehe Tabelle).
Das aktuelle Teamdilemma
Eine solch strenge Trennung zwischen Arbeits- und Privatwelt war unter industriellen und arbeitsteiligen Bedingungen gut möglich und funktional. Man konnte via Spezialisierung, Standardisierung, Synchronisierung und Zentralisierung Mehrwert schaffen. Was aber tun, wenn Gewinne im Zeichen beschleunigter Arbeitsprozesse und verkürzter Produktionszyklen nicht mehr allein durch Rationalität sichergestellt werden können? Es gibt kein Organigramm für Kreativität und Innovation. Wissens- und Dienstleistungsarbeit ist hochgradig davon abhängig, ob die Mitarbeitenden willens und bereit sind, zu kooperieren und sich freiwillig zu engagieren.
Darin liegt das eigentliche Dilemma: Das Unternehmen unterliegt den tendenziell bedingungslosen Anforderungen eines globalisierten Marktes (das heisst der «Vergesellschaftung») und verhält sich danach. Zugleich wird dienstlich-offiziell von den Mitarbeitenden gefordert, dass sie sich leidenschaftlich engagieren und mit dem Herzblut ihrer ganzen Persönlichkeit der «Unternehmens-Gemeinschaft» hingeben.
Das Unternehmen fordert etwas von den Beschäftigten, was diese nur privat beziehungsweise informell zu geben bereit sind, und zwar dann, wenn die äusseren Bedingungen, beispielsweise in Form einer guten Gemeinschaft, gegeben sind. Die Frage lautet daher: welche Kultur herrscht im Unternehmen vor und wie wahrscheinlich ist es, dass die Mitarbeitenden sich entsprechend verhalten? Je höher die Fluktuation unter den Beschäftigten, je stärker der interne Konkurrenzkampf, je eher ein Unternehmen eine Hire-and-Fire-Politik fährt, desto absurder erscheint die Managementstrategie einer vergemeinschaftenden Personalpolitik.
Der falsche Ausweg besteht darin, dass die Organisation die Mitarbeitenden mithilfe des Teamkonzepts dazu verführt, das Erwartete freiwillig zu tun. Ein Gemeinschaftsgefühl dadurch erzwingen zu wollen, dass man gemeinsam Drachenboot fährt, den Outdoor-Parcours überwindet oder über glühende Kohlen geht, nur damit alle schnell ein tolles Zusammengehörigkeitsgefühl bekommen, erzeugt zu Recht zunehmenden Widerstand! Die Aufforderung: «Tue das Erzwungene freiwillig» funktioniert nicht. Ein Zwang, in den ich mich freiwillig begebe, hört ja deswegen nicht auf, einer zu sein. Was dann meist passiert: Die Paradoxie des Gesagten wird unter den Teppich gekehrt – und dort wirkt sie weiter und verunmöglicht letztlich Führung. Denn paradoxe Kommunikation ist das Ende von Führungsverantwortung.
Ein Beispiel aus der Praxis: Ein Team von neun Personen inklusive Chef «durfte» als Teamentwicklungsevent gemeinsam in einen Hochseilgarten. Nach anfänglich grosser Skepsis war der Tag sehr intensiv und lebendig. Gegen Ende wurde nach Aufforderung durch den Trainer eine Wunschliste erstellt, wie das Team sich nun seine weitere Zusammenarbeit vorstellt. Allerdings war keine Zeit mehr zur Reflexion und Besprechung, und weil auch das Budget erschöpft war, wurde das Team ohne weitere Begleitung wieder zurück an die Arbeit geschickt. Der «Erfolg» bestand darin, dass die Stimmung schlechter denn je und die Kommunikation zwischen Team und Leitung fast unvereinbar geworden war.
Das «Tragische» an diesem Beispiel besteht darin, dass Teams sehr wohl willens und in der Lage sind, sich im Sinne der Vergemeinschaftung aufeinander einzulassen. Trotz, mit oder auch ohne gruppendynamische Brandbeschleuniger. Es braucht aber seine eigene Zeit, bis die Teilnehmenden bereit sind, sich selbst und zugleich dem entstehenden Gefühl der Zugehörigkeit auch zu trauen. Für dieses Wagnis müssen dann auch die Rahmenbedingungen stimmen, das heisst, das Unternehmen muss es ernst meinen – oder es ganz sein lassen.
Auswege aus der Krise
Es geht aber auch anders, dann wenn das Team mehr ist als nur ein Lippenbekenntnis: Das Dilemma zwischen Vergesellschaftung und Vergemeinschaftung bleibt an sich unlösbar, aber das heisst nicht, dass es sich nicht aktiv gestalten lässt. Eine zentrale gruppendynamische Kompetenz ist die Fähigkeit, mit Widersprüchen zu leben ohne sie aufzulösen. Gruppen können viel, wenn man es ihnen zutraut und den Spielraum zur Binnendifferenzierung bietet. Gruppen sind dann wirklich arbeitsfähig, wenn die Mitglieder sich in ihrer Unterschiedlichkeit erkannt und anerkannt haben. Wenn es den Beteiligten klar ist, welche Erwartungen sie aneinander richten können und welche nicht, schafft dies Verlässlichkeit und Sicherheit. Eine gute Führung erteilt dem Team erstens eine Aufgabe, die wirklich eine Gruppenaufgabe ist: das heisst, sie lässt keine Probleme bearbeiten, die Einzelne genauso gut oder besser lösen können. Sie nimmt das Team als Ganzes wirklich ernst, indem keine individualistische Sichtweise durch die Hintertüre eingeführt wird: Es gibt individuelle Ent- und Belohnungssysteme abzuschaffen, Verdienste des Teams als solche zu kommunizieren und genügend Raum und Zeit zur Teamkoordination zu geben. Drittens muss Führung Initiativen zur Entwicklung von Teamfähigkeit bieten: Kommunikative Haltungen, kooperative Fähigkeiten und Feedbacksysteme müssen sich über das Team hinaus etablieren.
Diese drei Punkte verlangen gruppendynamische Kompetenz. Das ist keineswegs in die Wiege gelegt, sondern muss erlernt und lebendig gehalten werden. Von den Mitarbeitenden verlangt es in den Worten von Hartmut von Hentig: Lebenszuversicht, Selbstsicherheit, Selbstverantwortung und soziale Verantwortung – und vom Unternehmen das Committment, das Team wirklich ernst zu nehmen.