Im Gespräch

Persönlichkeitsentwicklung beim 
Abtauchen in andere Kulturen

André Lüthi ist CEO des Reisedienstleisters Globetrotter Travel Service. Der selbst regelmässig reisende Lüthi fördert mit 
seinem Team von welterfahrenen Reiseprofis Individualreisen, die nach Wunsch massgeschneidert werden. Dahinter steckt eine Mission: Bewusstseinsöffnung und Völkerverständigung für die, denen Pauschalurlaube am Meer nicht reichen.

Herr Lüthi, Sie setzen sich in Ihrem Reisekatalog unter anderem für Reisen statt Ferien ein. Was meinen Sie damit?

André Lüthi: Wer viel reist, geht mit anderen Augen durch das Leben, lernt viel über sich und öffnet sich für Neues. Zudem bin ich überzeugt, dass das Reisen sehr viel zur Völkerverständigung beiträgt. Reisen fördert aber auch die Toleranz und den Respekt gegenüber fremden Kulturen und Religionen. Reisen bildet und ist für mich die beste Universität der Welt.

Warum soll ich mich als Reisende auf neue Kulturen einlassen?

Ich glaube, letztlich geht es um eine Bewusstseins- respektive Horizonterweiterung. Die Begegnungen am Lagerfeuer mit Nomaden, die Einladung zu einer Hochzeit in Kairo, das Verhandeln um einen guten Preis mit einem indischen Taxifahrer, das Gespräch mit einem Wildhüter in Kenia – all dies sind bleibende, ja vielleicht unvergessliche Momente. Ich bin aber auch überzeugt, dass wir als Gäste in einem Land nicht nur erfahren und mitnehmen, sondern auch geben. Denn die Menschen, denen wir begegnen, erfahren auch viel über uns … und machen sich ihre Gedanken und Bilder von uns und unserem Lebensstil …

Was bringen mir erweiterte Horizonte im beruflichen Alltag?

Ich erweitere meine Sicht auf Dinge, die ich sonst nicht hinterfragen würde, weil ich gar nicht darauf gekommen wäre, sie zu hinterfragen. Ich werde also inspiriert durch neue Denk- und Handlungsweisen. Ausserdem lerne ich vielleicht auch, wie ich selbstbestimmter und mit mehr Eigenverantwortung durch das Leben gehe. Das nützt mir später für den Arbeitsalltag. Keiner sagt mir beispielsweise, welchen Bus ich in Santiago de Chile nehmen soll. Ich finde das selber heraus, nehme vielleicht den falschen und das stört mich noch nicht einmal, weil ich auf dem nicht geplanten Weg wieder Neues entdecke, mit dem ich nicht gerechnet hätte. Überraschungen sind in unserem Leben zuhause immer seltener geworden. Dabei versüssen sie uns das Leben.

Es gibt aber sicher Leute, die sich ärgern, wenn sie im Urlaub in den falschen Bus steigen, auch wenn sie keinem Zeitdruck unterliegen.

Ja, und dann sind sie ein wenig gezwungen, ein langsameres Tempo einzulegen und mehr loszulassen. Und genau das sind doch die spannenden Erfahrungen. Improvisieren, situativ handeln – sich auf Unvorhergesehenes einstellen –, das ist doch das, was uns im Alltag oft fehlt, weil wir es nie erfahren und gelernt haben. Hier bietet das Reisen eine echte Chance,  neue Erfahrungen zu machen. Und dieses langfristige Ziel erreicht niemand am Strand, wo sich ausser dem Personal nur andere Touristen tummeln.

Manche Menschen mögen Ihre Aussagen als missionarisch verstehen...

Das kann so verstanden werden, ist aber überhaupt nicht so gemeint. Was wir zuletzt wollen, ist jemanden belehren oder bevormunden. Es geht einfach darum, unsere eigenen Erfahrungen und Sichtweisen weiterzugeben. Jeder kann damit anfangen, was er will. Ich weiss einfach, dass einmal hingehen besser ist als tausendmal davon hören. Das ist übrigens ein chinesisches Sprichwort.

Sie setzen sich auch für ökologisch bewusstes Reisen ein. Wie können Sie mit einem Kerosin ausstossenden Flugzeug das ökologische Bewusstsein fördern?

Das ist eine der grössten Herausforderungen der Reisebranche und gleichzeitig leider auch ein enormer Kostenfaktor. Bei meinem letzten Aufenthalt in Asien im November habe ich in einer Zeitung gelesen, dass Maschinen von einem Betriebsalter von unter sechs Jahren bis zu 22,5 Prozent weniger Schadstoffe ausstossen als Maschinen, die bereits über zehn Jahre geflogen waren. Ich lasse gerade nachforschen, ob das wirklich stimmt. Und wenn ja, dann empfiehlt mir mein ökologisches Herz einerseits, unsere Gäste am liebsten nur noch auf Flugzeuge einer jüngeren Flotte zu buchen. Das könnte sich aber aus Kostengründen als schwierig in der Umsetzung erweisen, da tendenziell eher die teureren Fluggesellschaften über eine neuere Flotte verfügen.

Hätte dann der Fluggast die Wahl, mehr für weniger Schadstoffausstoss zu zahlen?

Ja, und wir würden dann sicher diese Option lieber verkaufen.

Wählen Sie Ihre Hotelpartner nach ökologischen Gesichtspunkten aus?

Wir versuchen es. Es ist an der Zeit, dass die Reiseindustrie diese Verantwortung 
wahrnimmt und beim Einkauf von Hotels auf 
Aspekte wie zum Beispiel Kläranlagen und 
Solarenergiegewinnung achtet. Ökologisch sensibilisierte Reisende ziehen eindeutig solche Unterkünfte vor und sind bereit, auch mehr dafür zu bezahlen. Es geht um das Ausleben der inneren Einstellung. Zudem muss genau hingeschaut werden, dass die sozialen Faktoren wie eine gute Entlohnung in den unterentwickelten Ländern stimmen und die Mitarbeitenden aller Faszilitäten ausreichend versichert sind.

Sie klingen wie ein unermüdlicher Weltverbesserer ...

Ich bin ein Idealist, der Ideen realistisch umsetzt. Die Bewusstseinserweiterung durch zwischenmenschliche Beziehungen auf Reisen ist nur ein Aspekt. Der andere Vorteil ist zudem eine Persönlichkeitsentwicklung, die auch im HRM kein unwesentlicher Faktor ist. Zur Persönlichkeitsentwicklung zähle ich unter anderem  Respekterweisung und Toleranz für Andersartigkeit. Diese beiden Eigenschaften fehlen in vielen Unternehmen.

Oftmals leisten sich Mitarbeitende keine Urlaubszeit, die über zwei Wochen hinausgeht. Reisen in das Innere einer Region, um Land und Leute kennen zu lernen, brauchen mehr Zeit.

Ich plädiere auch dafür, dass Mitarbeitende – und das inklusive Geschäftsleitungsmitglieder – vier Wochen Urlaubszeit bekommen sollten. In den meisten Unternehmen mangelt es jedoch an Flexibilität, die Ferienregelungen individuell zu lockern. Das Wort Work-Life-Balance ist in aller Munde, es wird aber nicht gelebt.

Woran liegt das?

Ich vermute, dass es an Vertrauen in die Kompetenz der Eigenverantwortung von Mitarbeitenden mangelt. Die Gewährung eigenverantwortlicher Arbeitsorganisation und strukturiertes Arbeiten mit individueller Planung sind selten anzutreffen. Mir fällt spontan nur Toyota ein, die mehrere Chefpositionen in Teilzeitmodus besetzt hat, oder Trisa und natürlich Google. Deren Unternehmenskultur geht von der Verantwortung des Einzelnen aus. Um diese Kultur in anderen Firmen oder Konzernen einzuführen, bedarf es einer starken Bewusstseinsänderung in den Chefetagen. Und wenn diese stattfindet, wird die Förderung von unbezahltem Urlaub zum Standardprogramm des HRM.

Mit welchen Argumenten würden Sie als HR-Manager die Geschäftsleitung vom Standardangebot des unbezahlten Urlaubs überzeugen?

Je länger wir ausspannen und mal ganz andere Dinge machen können, die nichts mit unserem alltäglichen Arbeiten zu tun haben, desto aufgetankter und inspirierter kommen wir mit neuen Ideen zurück, die dem Unternehmen zugutekommen. Zudem ist wissenschaftlich bewiesen, dass Kurzurlaube einen sehr viel geringeren Erholungseffekt bringen. Unsere Konzentrationsfähigkeit steigt nach vier Wochen Urlaub eindeutig an.

Globetrotter

Das Unternehmen mit Hauptsitz in Bern hat rund 66 000 Kunden in der Schweiz und beschäftigt in 20 Filialen 220 Mitarbeitende, von denen nur acht Prozent eine Ausbildung als Reisebürospezialist haben. Voraussetzung für eine Stelle als Berater ist der Nachweis über mehrere Reisen auf eigene Faust ausserhalb Europas und regelmässige lange Reisen (pro Jahr sind sieben Wochen unbezahlte Ferien möglich). Die immer neuen Erfahrungen, die Globetrotter-Mitarbeitende von ihren eigenen Reisen mitbringen, gehören zum Beratungskonzept. Denn diese individuellen Erlebnisse teilen sie als einzigartigen Mehrwert direkt mit den Kunden. Somit geht die Reiseberatung weit über Routenplanung hinaus.

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Connie Voigt ist 
Executive Coach bei der Firma «Inside Out» sowie Gründerin der Netzwerkorganisation «Interculturalcenter.com GmbH». Zudem ist sie Dozentin für Organizational Behavior an der Edinburgh Business School, FHNW Basel und FU Berlin.

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