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Personalpolitik in der Krise – 
oder: Die Zukunft der Temporärarbeit

In einem Interview mit dem Adecco Institute(1) skizziert Jutta Rump, Professorin am Institut für Beschäftigung und Employability der Fachhochschule Ludwigshafen am Rhein(2), die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise auf die Personalpolitik und die Folgen für die Temporärarbeit:

Die unternehmerische Personalpolitik, so die Erkenntnis einer Umfrage bei 350 Unternehmen, übt derzeit den Spagat zwischen zwei gegenläufigen Einflussfaktoren: dem krisenbedingten Kostendruck und dem sich abzeichnenden demografisch bedingten Personalengpass. Der erste Faktor verlangt nach Personalkostenabbau, der zweite nach einer engagierten Mitarbeiterbindung. Laut der Umfrage gewichten die Unternehmen beide Aspekte gleich stark. Die Quadratur des Zirkels versuchen die Unternehmen zu erreichen, indem sie einerseits die Einführung von Kurzarbeit erwägen bzw. planen und andererseits keine vorschnellen Kündigungen aussprechen.


Bedeutung des Faktors 
Humankapital steigt im Stellenwert

Überhaupt würden die Unternehmen langsam die fundamentale Bedeutung des Personalwesens erkennen. Dass noch keine massenhaften Kündigungswellen erfolgt sind, zeige, dass sich in den Köpfen etwas verändert hat. In der derzeitigen Krise rangieren stattdessen Strategien wie offene und ehrliche Kommunikation, Vertrauen schaffen, Qualifizierung, strategische Allianzen eingehen ganz vorne.

In der Vergangenheit war die Unternehmenspolitik dagegen häufig eindimensional auf die Finanzen und Investitionen ins Sachkapital fokussiert. In den letzten Jahren hat der Faktor Humankapital einen steigenden Stellenwert erlangt. Auch das Adecco Institute hat in eigenen Untersuchungen den Eindruck gewonnen, dass der Personalpolitik vermehrte strategische Bedeutung zugesprochen wird. Doch angesichts von Entwicklungen wie dem Fachkräftemangel und der demografischen Lücke anerkennen die Unternehmen nach Ansicht von Jutta Rump die zentrale Bedeutung des Personals noch zu wenig. Und je länger die Krise dauert, desto häufiger werde auch auf das Instrument des Personalabbaus zurückgegriffen werden.

Entwicklung hin zur zweigeteilten 
Belegschaft hat eingesetzt

In die wachsende Wahrnehmung der strategischen Bedeutung des Humankapitals spielt ein weiterer Paradigmenwechsel: Zunehmend würden die Unternehmen zwischen der Belegschaft und der Kernbelegschaft trennen. Mit der Kernbelegschaft erhalten die Unternehmen das Basisgeschäft aufrecht. Mit ihr hoffen die Firmen auch, in der Krise relativ gut zu überleben. Neben der Kernbelegschaft stützen sich die Unternehmen auf Satellitenbelegschaften, die sie flexibel oder temporär beschäftigen und mit denen sie auf Aufschwünge und Abschwünge, auf Krisen und Boomphasen reagieren können. Dies führt im Endeffekt zu einer Aufteilung der Erwerbsbevölkerung in eine Gruppe mit festem Arbeitsplatz und eine Gruppe mit rotierenden Einsätzen.

Mit zunehmender Qualifikation und Qualität, so Jutta Rump, steigen die Chancen, zur Gruppe mit festem Arbeitsplatz zu gehören. Doch auch die Kernbelegschaft müsse sich mit dem Unternehmen bewegen und bewahre nur so ihre Arbeitsplatzsicherheit. Diejenigen, die rotieren und sich im äusseren Belegschaftskreis befinden, schöpfen ihre Arbeitsplatzsicherheit ganz besonders aus ihrer Flexibilität, Qualifikation und damit Beschäftigungsfähigkeit. Jutta Rump geht davon aus, dass sich diese Entwicklung zur zweigeteilten Belegschaft durch die aktuelle Krise sogar 
beschleunigen wird.

Mit einer solchen aus Kern und variablem Kreis zusammengesetzten Belegschaftsstruktur können sich die Unternehmen in der Balance halten, und zwar sowohl in Boomphasen als auch in Krisen. Die gemischten Teams machen das Unternehmen sehr viel agiler und schneller. In Aufschwungphasen hilft die zweistufige Personalpolitik, Mitarbeitende zu beschaffen. In Abschwungphasen sorgt die Flexibilität dafür, das Unternehmen am Leben zu erhalten. Zudem hat diese Form der Zusammenarbeit ein qualifizierendes Element sowohl für die internen als auch für die externen Mitarbeitenden. Jutta Rump nennt das Flexicurity für die Unternehmung. Und deshalb ist die Professorin überzeugt, dass die Temporärarbeit in Zukunft nicht nur in ausführenden Tätigkeiten, sondern in immer stärkerem Masse auch in planenden Funktionen und auf qualifizierten Arbeitsplätzen zu finden sein wird. Und damit spiele die Temporärarbeit auch eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung in Richtung Projektwirtschaft.

Ein Beispiel: Eine Firma entwickelt ein neues Produkt und benötigt dafür ganz bestimmte Kompetenzen. Nur ein kleiner Teil der Belegschaft verfügt aber über die nötigen Qualifikationen. Strategie in der Vergangenheit war, die Mitarbeiter weiterzuentwickeln, bis sie fit für das neue Produkt sind. Für die heutige und zukünftige Welt ist dieser Weg aber zu langsam. In einer schnelllebigen Welt holt sich die Firma das momentan nicht verfügbare Know-how temporär von aussen. Nach der Entwicklung des Produkts kann das Unternehmen allein mit der Kernbelegschaft die Herstellung umsetzen. Die nur an der Entwicklung beteiligten Arbeitnehmer ziehen zum nächsten Projekt oder zum nächsten Kunden.

Tochtergesellschaften spezialisiert auf strategische Partnerschaften

Grosse Unternehmen wenden solche flexiblen Instrumente viel häufiger an als kleinere Firmen. Meist verfügen sie über eine eigene Abteilung, die sich mit solchen Fragen beschäftigt. Demgegenüber wird das Personalwesen in kleineren Unternehmen oft nicht spezialisiert behandelt. Und kleineren Firmen, so Rump, fehlt es vor allem an Informationen und an der Vernetzung, die einen flexibleren Einsatz des Personals begünstigen würden.

Damit die Temporärarbeit ihre Rolle in der zweigeteilten Belegschaft ausschöpfen kann, muss sie, so Jutta Rump, schon in der strategischen Personalplanung ein Sparringspartner für Unternehmen sein. Gefragt sei eine strategische Partnerschaft zwischen der (Personalabteilung einer) Unternehmung und der Temporärarbeitsfirma. Diesem Ideal stehe aber derzeit ein mangelndes Ansehen von Temporärarbeit entgegen. Weil sie meint, dass die Verabschiedung vom negativ belegten Begriff Temporärarbeit viel zu lange dauert, rät die Professorin den Anbietern von Temporärarbeit, spezielle Tochtergesellschaften zu gründen, die auf die strategische Partnerschaft spezialisiert sind und als solche Partner akzeptiert werden.

Allerdings braucht es für eine Partnerschaft immer zwei. So ortet Jutta Rump auch auf Seiten der Kundenunternehmen gewissen Handlungsbedarf. Heute werde die Anstellung von temporär Arbeitenden häufig über den Einkauf und nicht über das Personalmanagement abgewickelt. Wenn der strategischen Personalpolitik der notwendige Stellenwert beigemessen werde und die Temporärarbeit die zweistufige Belegschaftsstruktur zum Leben erwecken soll, müsste das dringend ändern.

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Myra Fischer Rosinger

Myra Fischer-Rosinger ist Direktorin von swissstaffing, dem Branchenverband der Personaldienstleister. Die Politologin und Volkswirtschaftlerin prägt die Entwicklung von swissstaffing seit 2006. Massgeblich beteiligt war sie an der Einführung des Gesamtarbeitsvertrags Personalverleih, der seit 2012 in Kraft ist. Im Branchenverband swissstaffing sind 300 schweizerische Personaldienstleister organisiert. Der Arbeitgeberverband ist Kompetenz- und Servicezentrum für die Temporärbranche und vertritt die Anliegen seiner Mitglieder gegenüber Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. www.swissstaffing.ch

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