Wer kocht bei Ihnen in der Kantine?
Wenn der marokkanische Koch im Dienst ist, hat niemand ein Problem und niemand fragt nach. Wenn der aber mal frei hat und der polnische Koch in der Küche steht, fehlt das Vertrauen bei den Marokkanern, die auf die Fette und andere Zutaten achten, die eventuell vom Schwein stammen.
Wie gehen Sie mit diesem Misstrauen um?
Wir erinnern den polnischen Koch immer wieder daran, keinerlei Substanzen von Schweinefleisch oder Alkohol zu nutzen. Er hält sich auch daran und wir als Management garantieren und bürgen für die Einhaltung dieser internen Gesetze. Und trotzdem bleibt bei manchen sehr streng gläubigen marokkanischen Mitarbeitenden immer wieder ein Hauch von Misstrauen, sie schauen dem Koch über die Schulter. Damit muss aber jeder Koch leben.
Das klingt wie eine notwendige dauerhafte Präsenz Ihrerseits …
Ja, man muss bei diesen kleinen Konflikten immer wieder da sein, damit sie sich nicht zu einem echten Problem entwickeln können. Ich bin in einer Regulationsfunktion, bei der ich aber auch schon hart durchgreifen musste. Wer klaut oder während des Dienstes Alkohol konsumiert, muss gehen. Auch Diebstahl ausserhalb des Betriebs in den Gaststädten oder in Einkaufszentren dulden wir nicht. Wir entlassen fristlos nach einmaligen Wiederholungen. Zu viel Toleranz des Managements würde kriminelle Aktivitäten belohnen.
Sind Ihnen auch schon Fälle entgangen?
Nein, bisher nicht, weil andere Kollegen das bei mir melden würden. Das Prinzip des Whistleblowing funktioniert in einem familiengeführten Betrieb sehr gut.
Was war die bisher grösste Herausforderung in Ihrer Führungsposition?
Es ist in unserem Geschäft immer hart, wenn ein neues Zelt in Betrieb genommen wird. Denn das bedeutet zusätzlich das Arrangement einer komplett neuen Bestuhlung und anderer neuer Materialien, die wir aber vor Saisonbeginn nicht probeweise aufbauen können. Damit dauert der jeweilige Auf- und Abbau länger, was bereits einmal eine fatale Kettenreaktion auslöste: Da der Zeitdruck aufgrund des festgelegten Spielplans nicht aufhört, sind die Nerven stark gefordert. Mein Job ist es dann vor allem, mit Geduld und Ruhe mit den Leuten zu reden, um ihre Moral aufrechtzuerhalten. Beim Abbau am späten Abend und beim sofortigen Neuaufbau am Vorabend in einer anderen Stadt wollten manche einmal kurz vor Vorstellungsbeginn aufgeben. Sie waren schlicht übermüdet. In dieser Gratwanderung, die eigene Geduld zu behalten und weiterhin den notwendigen Druck in akzeptablem Mass auszuüben, liegt die grosse Herausforderung. Essenziell dabei ist, selber mitzumachen und unterstützend sichtbar vor Ort zu sein.
Sie selber treten zweimal täglich in der Manege mit Elefanten auf. Fühlen sich die Mitarbeitenden unter Druck, wenn der oberste Chef immer präsent ist?
Nein, im Gegenteil. Die Mitarbeiter schätzen das. Wir sehen dann auch die positiven Leistungen und können sie loben. Ausserdem gehört es zur Geschichte und Tradition unseres Betriebs, dass die Familie in der Manege auftritt, auch wenn das viel Zeit von den Führungsaufgaben nimmt.
Wie viel Zeit wenden Sie für die Führung auf?
Man hat nie genug Zeit für die Führung. Jetzt verbringe ich schätzungsweise 70 Prozent meines Tages damit. Das finde ich zu wenig. Ideal wären 90 Prozent meiner Zeit.
Wie wollen Sie das ändern?
Mein Sohn Franco junior hat die Arbeit mit den Elefanten inzwischen sehr gut im Griff, sodass ich mit der Arbeit in der Manege kürzer treten kann.
Wie aufwendig ist die Führung international bzw. multikulturell geprägter Teams?
Jede Nationalität braucht einen anderen Führungsstil. So führen Schweizer beispielsweise Aufgaben am besten und liebsten in Eigenregie aus. Sie müssen deshalb nicht gross kontrolliert werden. Marokkaner hingegen benötigen exakte Anweisungen und Kontrolle. Polen lässt man mehr oder weniger selbständig arbeiten, weil sie sehr geschickt sind.
Wie viel mehr Zeit brauchen Sie, weil Sie multikulturelle Teams führen?
Ich vermute, ich bräuchte die Hälfte der Zeit, wenn ich nur Schweizer führen müsste, denn Mitdenken und Planen ist Teil ihrer Mentalität. Mit meinen gemischten Teams investiere ich viel Zeit in Sitzungen mit den Vorarbeitern, den Meistern, den Werkstattchefs, den Transportchefs, den Elektrikern und vielen anderen mehr. Die Logistik beansprucht zudem genaueste Abklärungen.
Welcher Führungsstil entspricht am ehesten Ihrer Persönlichkeit?
Am liebsten möchte ich Mitarbeitenden eine gewisse Verantwortung übergeben können, sodass sie mit mehr Gewissenhaftigkeit im eigenen Interesse arbeiten. Mit dem Anspruch dieser Eigenverantwortung würde sich auch jeder automatisch gleich behandelt fühlen, und das streben wir im Zirkus an. Jeder Techniker ist genauso wichtig wie jeder Künstler. Künstler leben per se in Eigenverantwortung, können aber nicht ohne Techniker auftreten. Die Tatsache machen wir dem technischen Personal auch immer wieder bewusst. Mit diesem Denken bringe ich alle im Zirkus dazu, selbstverantwortlich zu handeln.
Wie testen Sie bei Rekrutierungsgesprächen die Eigenverantwortung?
Das mache ich aus dem Bauchgefühl heraus. Ich rekrutiere Techniker in Polen und dort ist es dann kulturell bedingt eher schwierig, mit Intuition in die Leute hineinzusehen. Deshalb arbeiten wir in Warschau mit einer lokalen Rekrutierungsfirma.
Weshalb rekrutieren Sie dann in Polen?
Es ist sehr schwierig, hier im europäischen Raum Zeltbauer zu finden. Polen hatte jahrzehntelang einen Staatszirkus mit seinen spezialisierten Crews. Wir brauchen diese Facharbeiter. Das gilt übrigens auch für die Zirkusmusiker. Es hat deswegen bei uns Tradition, seit den sechziger Jahren Polen einzustellen.
Gilt das gleiche Prinzip für die Marokkaner?
Nein, die Marokkaner sind schon seit den fünfziger Jahren bei uns, da wir früher so genannte Völkershows aufführten. Die fanden nicht im Hauptzelt statt, sondern im kleinen Nebenzelt, in dem sie vorführten, wie sie nach marokkanischer Tradition Lederarbeiten fabrizieren. Schlangenbeschwörer waren auch dabei. Nachdem wir diese Sondershow einstellt hatten, blieben zunächst gerade mal zwei Handwerker bei uns. Die wiederum holten über die Jahre nach und nach Leute aus ihrem Dorf dazu, und seitdem kommt jeden März zu Saisonbeginn die zweite bis dritte Generation zu uns.
Passen sich diese neuen Generationen der Schweizer Mentalität an?
Da sie jeden November wieder nach Marokko zu ihren Familien zurückkehren und vier Monate später wiederkommen, bleiben sie einhundertprozentig Marokkaner, sie assimilieren sich nicht, weil ihr Hauptdomizil Marokko ist und bleibt. Sie werden auch weiterhin immer wieder den direktiven Führungsstil brauchen – eigenverantwortliches Arbeiten werden sie als Saisonarbeiter nicht lernen.
Werden Sie in Zukunft auch in anderen europäischen Ländern technisches Fachpersonal rekrutieren, wo es einen Staatszirkus gab?
Ja, in Rumänien würden wir uns gerne umschauen, aber dafür müssen wir in der Schweiz die Volksabstimmung zur EU-Erweiterung noch abwarten, die erst Saisonarbeitsaufenthalte in der Schweiz ermöglichen wird. Gleichzeitig wird die polnische Währung immer stärker, sodass es zusehends schwieriger wird, weiterhin gute Facharbeiter aus Polen in die Schweiz zu holen.