Religion am Arbeitsplatz: Wo sind den Grundrechten Grenzen gesetzt?
Die religiöse Überzeugung der Mitarbeitenden beeinflusst ihr Verhalten am Arbeitsplatz in vielfältiger Weise. Konflikte gibt es zum Glück selten, das zeigt ein Blick auf die Rechtsprechung der Gerichte. Die freiheitliche schweizerische Rechts ordnung verlangt eine möglichst weitgehende Respektierung der Glaubens- und Gewissensfreiheit auch am Arbeitsplatz.
(Fotomontage: Ulrike Kobelius)
In der Firma «Multikulti Sunshine AG» wünscht die katholische Sekretärin an Maria Himmelfahrt, der jüdische Kundenbetreuer am Versöhnungstag und die muslimische Dolmetscherin am Zuckerfest einen arbeitsfreien Tag. Der reformierte Informatiker möchte am Karfreitag nicht für Notfälle auf Pikett sein. Der Chef ist Atheist, er ärgert sich über jede Stunde, die seine Leute nicht arbeiten. Selbstverständlich will er tolerant sein, aber das goldene Kettchen mit dem Kreuz am Hals der Katholikin und das Kopftuch der Dolmetscherin, das diese vor kurzem zu tragen begann, sind ihm ein Dorn im Auge. Den strenggläubig reformierten Informatiker, der in jeder Kaffeepause einen Bibelvers zitiert, hält er für übertrieben missionarisch. Als eines Morgens auf dem Schreibtisch seiner Assistentin eine Buddhastatue steht und der neue Magaziner am ersten Arbeitstag fragt, wo er seinen Gebetsteppich platzieren dürfe, ist der Chef ziemlich gestresst und will wissen, wie die Rechtslage aussieht.
«Tendenzbetriebe» und staatliche Einrichtungen haben Sonderstellung
Die Firma «Multikulti Sunshine AG» ist zwar erfunden, aber Fragen wie die erwähnten stellen sich in vielen Unternehmen. Ausgangspunkt für die Lösung bilden die Glaubens- und Gewissensfreiheit und die Meinungsfreiheit, wie sie in der Bundesverfassung und in der Europäischen Menschenrechtskonven tion verankert sind. Niemand darf wegen der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugungen diskriminiert werden. Alle haben das Recht, ihre Religion und ihre weltanschaulichen Überzeugung frei zu wählen und öffentlich oder privat zu bekennen. Niemand darf gezwungen werden, eine religiöse Handlung vorzunehmen. Im Obligationenrecht finden diese Grundrechte ihren Niederschlag im Verbot der missbräuchlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses gemäss Art. 336 Abs. 1 Bst. b. Missbräuchlich ist eine Kündigung, die ausgesprochen wird, weil die andere Partei ein verfassungsmässiges Recht ausübt, es sei denn, die Rechtsausübung verletze eine Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis oder beeinträchtige wesentlich die Zusammenarbeit im Betrieb.
Diese Formulierung zeigt, dass die Grundrechte auch im Arbeitsverhältnis zu respektieren sind, dass sie aber Grenzen haben. Dabei gibt es je nach Arbeitgeber Unterschiede. Die so genannten «Tendenzbetriebe» sind selbst religiös oder weltanschaulich ausgerichtet und können deshalb von ihren Mitarbeitenden verlangen, diese Ausrichtung zu teilen. Eine Freikirche darf die Anstellung von Mitarbeitenden von deren religiöser Überzeugung abhängig machen, und die Vegetariervereinigung darf einem leitenden Mitarbeiter kündigen, der als Veganer eingestellt wurde und sich entschliesst, fortan wieder täglich ein Steak zu essen.
Eine Sonderstellung nehmen auch der Staat und andere öffentlich-rechtliche Körperschaften und Anstalten ein. Diese Arbeitgeber sind einerseits strenger als private Firmen an die Grundrechte gebunden, anderseits sind sie aber auch strikt dem Grundsatz der religiösen Neutralität verpflichtet. Exemplarisch zeigt sich der damit verbundene Zielkonflikt im so genannten Kopftuchentscheid des Bundesgerichts. Dieses entschied, der Kanton Genf dürfe einer muslimischen Lehrerin an einer öffentlichen Schule das Tragen des Kopftuchs während des Unterrichts verbieten (BGE 123 I 296). Das Gericht bestätigte zwar den Schutz der Religionsfreiheit der Lehrerin, stellte dieser Freiheit aber das Recht der Kinder auf eine religiös neutrale Schule gegenüber. Weil das Tragen eines äusserlichen Zeichens nicht zum Kernbereich der Grundrechtsausübung gehöre, beurteilte das Gericht die religiöse Neutralität der Schule als wichtiger und schützte das Kopftuchverbot.
Religion darf die wirtschaftlichen Interessen der Firma nicht gefährden
Dieses Urteil kann nicht ohne Weiteres auf private Arbeitsverhältnisse übertragen werden. Das Arbeitsgericht Arbon erachtete eine Kündigung als missbräuchlich, die gegen eine Muslimin wegen ihres Kopftuchs ausgesprochen wurde. Nur wenn das Tragen eines religiösen Symbols die wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens schädigt oder mit Vorschriften von Sicherheit und Gesundheit nicht vereinbar ist, dürfte ein Verbot wohl zulässig sein.
Ein Mitglied der Glaubensgemeinschaft der Sikh darf sich nicht weigern, einen Schutzhelm zu tragen, weil seine Religion ihm den Turban vorschreibt (BGE 119 IV 260). Es gibt aber kaum einen Grund, der Mitarbeiterin im Call-Center das Tragen eines Kopftuches zu verbieten. Kolleginnen, die sich darüber aufregen, sollten auf den Stellenwert der Religionsfreiheit in unserem Rechtsstaat hingewiesen werden. Selbstverständlich muss eine Burka mit ihrer Gesichtsvermummung am Arbeitsplatz nicht toleriert werden, solches würde die Zusammenarbeit massiv behindern. Wie aber steht es mit dem Kopftuch der Verkäuferin im Supermarkt? Darf auf eine vielleicht wenig tolerante Kundschaft Rücksicht genommen werden? Eine gesicherte Rechtsprechung zu dieser Frage gibt es in der Schweiz nicht. Ein Verbot dürfte rechtswidrig sein, solange keine negativen wirtschaftlichen Folgen für das Unternehmen erkennbar sind.
Der Umfang des Weisungsrechts des Arbeitgebers bezüglich religiöser Symbole und Verhaltensweisen am Arbeitsplatz kann nicht abstrakt für alle Fälle und Situationen abgesteckt werden. Die Religionsfreiheit der Mitarbeitenden findet ihre Grenzen an der Arbeitspflicht und im Betriebsfrieden, sie soll aber wenn immer möglich gewährleistet sein. Die Einhaltung von Gebetspflichten darf den Betrieb nicht behindern, die Arbeitszeit soll aber nach Möglichkeit so eingeteilt werden, dass sie die Erfüllung religiöser Pflichten erlaubt. Auf hohe Feiertage muss Rücksicht genommen und den Angehörigen der betreffenden Religion an diesen Tagen die Teilnahme an religiösen Feiern wenn immer vom Betrieb her machbar gewährt werden. Dies schreibt das Arbeitsgesetz vor. Art. 20a Abs. 3 lautet: «Für den Besuch von religiösen Feiern muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer auf dessen Wunsch die erforderliche Zeit nach Möglichkeit freigeben.» In der juristischen Literatur wird teilweise sogar die Auffassung vertreten, dass für wichtige Feiertage Anspruch auf bezahlten Urlaub im Sinne von Art. 324a Abs. 2 OR bestehe.
Nicht zuletzt darf beim Thema Religion am Arbeitsplatz der an den Grundrechten geschärfte gesunde Menschenverstand zum Einsatz kommen. Alle dürfen nach ihrer eigenen Façon selig werden, solange der Betrieb nicht darunter leidet. Jeder Mitarbeiter darf grundsätzlich gegenüber Kollegen seine religiöse Meinung äussern. Wünschen diese aber, das Thema zu wechseln, muss dies respektiert werden. Religiöse Diskussionen der Vorgesetzten mit ihren unterstellten Mitarbeitenden sind wegen des Abhängigkeitsverhältnisses heikel; es darf weder Druck noch Beeinflussung ausgeübt werden und keine Begünstigungen oder Benachteiligungen aus religiösen Gründen geben. Gegenüber Kunden darf Religion kaum ein Thema sein, ausser dies werde von ihnen gewünscht oder vom Vorgesetzten erlaubt. Die Teilnahme an religiösen Feiern und Ritualen soll, soweit betrieblich möglich, erlaubt werden. Kleidervorschriften sind grundsätzlich zulässig, sie dürfen aber religiöse Vorschriften nicht unnötig beeinträchtigen. Werden in diesem Sinne die wichtigsten Grundregeln des Zusammenlebens verschieden «gestrickter» Menschen eingehalten und wird ein guter Schuss Toleranz hinzugefügt, lassen sich Konflikte um die Religion am Arbeitslatz in den meisten Fällen vermeiden.