Wie kann denn ein Ausbildungsverantwortlicher herausfinden, was das Unternehmen und die Mitarbeitenden für die Zukunft wirklich brauchen?
Indem er oder sie nicht mehr primär auf Diplome und Kurse fokussiert, sondern auf die Kompetenzorientierung. Das bedeutet einerseits, dass man sich überlegt, welche Qualifikationen eine Person am Arbeitsplatz unmittelbar braucht. Doch Kompetenzentwicklung ist mehr als Qualifizierung. Kompetenzentwicklung heisst, dass eine Person ihre Qualifikationen auch wirklich umsetzen kann. John Erpenbeck von der Steinbeis Hochschule sagte mal wunderschön: Wir haben viele hochqualifizierte Mitarbeiter, aber nur wenige sind kompetent.
Das tönt nicht gerade einfach.
Das stimmt. Herauszufinden, welche Kompetenzen ein Unternehmen braucht, ist ein Spagat zwischen den ökonomischen Bedürfnissen der Firma und den Bedürfnissen des Mitarbeiters. Wer hier die Balance findet, hat den Schlüssel zum zukünftigen Erfolg.
Dazu müssten zum Beispiel auch Erfolge in Projekten mehr Anerkennung finden. Im Fachjargon sprechen wir von portfoliobasierten Ansätzen oder von Professional Development. In Australien zum Beispiel existieren bereits Agenturen, die kompetenzorientierten Berufsgruppen wie Lehrern oder Ärzten aufgrund ihrer persönlichen Kompetenzerweiterungen bei der täglichen Arbeit anerkannte Kompetenzzertifikate ausstellen. Auch in der EU und der Schweiz sind Bestrebungen dazu im Gange.
Ist das nicht ein etwas idealisiertes Bild der Weiterbildung? Oder anders gefragt: Sind die Unternehmen und die Mitarbeiter bereits so mündig?
Eine selbstverantwortliche Lernkultur entsteht nicht von heute auf morgen. Und sie bedingt in den meisten Firmen tatsächlich ein Umdenken und eine kulturelle Veränderung. Diese Veränderung herbeizuführen und zu begleiten, ist eine der grössten Herausforderungen für Aus- und Weiterbildungsverantwortliche. Doch ich bin positiv gestimmt: Die Tendenzen weisen in die richtige Richtung.
Was heisst das für die Anforderungsprofile der Ausbildungsverantwortlichen?
Es müssen Leute sein, die nicht mehr im «Kürslidenken» verhaftet sind. Natürlich müssen sie noch immer eine Übersicht über die verschiedenen Kurse haben, doch es kommen neue Bereiche dazu. So ist es meiner Ansicht nach unabdingbar, dass Personalvorstände sich im Rahmen einer neuen strategischen Ausrichtung ihres Unternehmens überlegen, was die Weiterbildung dazu beitragen kann. Dazu müssen sie massgeschneiderte Bildungsmassnahmen entwickeln und diese immer wieder hinterfragen.
Zudem müssen Ausbildungsverantwortliche künftig viel stärker beratend tätig sein. Dazu reicht es nicht mehr, nur einen pädagogischen Hintergrund mitzubringen. Linienerfahrung ist absolut notwendig, denn es ist essenziell, das Geschäft zu kennen und die Managementsprache zu sprechen, um alle Leute im Unternehmen abholen zu können und zu verstehen, welche Weiterentwicklung Mitarbeitende brauchen.
Sie beschäftigen sich ja auch mit Lerninnovationen. Wo orten Sie die künftigen Trends in der betrieblichen Aus- und Weiterbildung?
Neben dem Portfolio-Ansatz ist die Frage, wie das formale Lernen mit dem informellen Lernen verknüpft werden soll, ein grosser Trend. Und durch das Kompetenzmanagement wird dieser immer wichtiger.
70 bis 80 Prozent unseres Wissens nehmen wir in informellen Lernsituationen auf, zum Beispiel von Kollegen, von Vorgesetzten oder auf Messen. Ausbildungsverantwortliche sollten sich überlegen, welche Rahmenbedingungen sie schaffen können, damit dieses informelle Lernen und die Weitergabe dieses Wissens im Unternehmen gefördert werden können. Bildungsverantwortliche müssen zu Gestaltern solcher Lernkulturen werden. Dazu muss die Ausbildungsabteilung noch stärker mit der Organisationsentwicklung verknüpft werden.
Wie können solche Rahmenbedingungen gestaltet werden?
Zum Beispiel mit Transfernetzwerken wie Communities of Practice, informellen Breakfasts oder Lunches mit Kaderleuten. Patentrezepte gibt es allerdings keine. Die Strategien sind so individuell wie die Firmen selbst. Das A und O ist es, dass sich die Lernkultur eng an der Firmenstrategie orientiert und die Kompetenzen der Mitarbeitenden zukunftsorientiert weiterentwickelt und dazu auch die nötigen Anreizsysteme geschaffen werden.
Die Gesprächspartnerin
Sabine Seufert studierte Wirtschaftspädagogik an der Universität Erlangen-Nürnberg und promovierte in Betriebswirtschaftslehre an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster (Dr. rer. pol.). Nach Praxiserfahrungen in kaufmännischen Berufsschulen sowie in der betrieblichen Weiterbildung ist sie seit 1997 an der Universität St. Gallen tätig. 2006 habilitierte Sabine Seufert zum Thema «Innovationsorientiertes Bildungsmanagement». Seit 2003 leitet sie das Swiss Centre for Innovations in Learning (scil) an der Universität St. Gallen.