Porträt

Sie ist eine Kämpferin für die Umwelt, eine Öko-Expertin will sie aber nicht sein

Nachhaltiges Wirtschaften für eine bessere Welt. Das ist die Mission von Paola Ghillani. Mit Ruhe und Kraft verfolgt sie 
ihre Ideale und stellt ihre Arbeit und ihr Wissen ganz in den Dienst des Menschen. Mit nachhaltigen Businessmodellen. Denn nur der finanzielle Erfolg bringt ihrer Meinung nach keinen Mehrwert für die Gesellschaft.

Sie kämpft leidenschaftlich gegen die Ausbeutung der Natur und für eine nachhaltige Unternehmensführung. Für sie gibt es nicht das Böse und das Gute, sondern nur unmenschliches und menschliches Verhalten. Paola Ghillani setzt auf den freien Willen jedes Einzelnen, sich für menschliches Handeln zu entscheiden. «Ich bin nicht perfekt, aber ich habe immer meine Verantwortung in dem Sinne wahrgenommen, dass ich versucht habe, in diese Richtung zu arbeiten», sagt die Frau, die von 1999 bis 2005 bei Max Havelaar Erfolgsgeschichte schrieb. Damals war nachhaltiges Wirtschaften noch nicht so populär wie heute, wo der ökologische Gedanke mehr oder weniger gezwungenermassen immer grössere Teile der Wirtschaft bestimmt. Im Nachhinein ist das wie eine Bestätigung für Ghillanis gutes Gespür, in welche Richtung sich die Gesellschaft entwickelt.

Nachhaltigkeit und Gewinnorientierung – ein Gegensatz? Nicht für Ghillani. «Ich finde es viel besser, das System durch Handel positiv zu beeinflussen als durch Spenden.» Gewinn betrachtet sie nicht nur auf der wirtschaftlichen Ebene, sondern auch im gesellschaftlichen und ökologischen Kontext.

«Dass man mich loswerden wollte, hatte eher menschliche Gründe»

Ghillani studierte Pharmazie, was nicht weiter wundert, wenn sie erklärt: «Der rote Faden in meinem Leben war und ist der Mensch.» Alles, was sie gelernt habe, all ihre Talente würde sie in den Dienst des Menschen stellen. «Sehr oft höre ich, ich sei nur ökoorientiert. Das stimmt ganz und gar nicht. Ich habe meine Talente in der Wirtschaft entdeckt.» Wirtschaftliches  Interesse müsse nicht unbedingt ein Zweck sein oder ein Instrument der Ausbeutung. Ein grundlegendes Umdenken zu neuen Werten könne aber nur stattfinden, wenn der wirtschaftliche Austausch mit Res-pekt auf der ganzen Wertschöpfungskette funktioniere. «Nur dann haben wir die Möglichkeit, in die Entwicklung der Gesellschaft und in ökologische Verantwortung zu investieren. Nachhaltigkeit ist ein Businessmodell, wo die Wirtschaft für das Gute in der menschlichen Entwicklung eingesetzt wird», so ihre Überzeugung. Und sie ist nie zufrieden, bis alle sehen können, dass es funktioniert.

Dass ihre Philosophie erfolgreich ist, hat sie kürzlich erst wieder bewiesen. «Who is Who» in Zürich würdigte sie in der Ausgabe 2009 als Unternehmerin mit Visionen. Ebenfalls  2009 erhielt sie den Binding-Preis für die Natur und Umwelt für ihr Lebenswerk im Bereich nachhaltiges Wirtschaften im Dienste der menschlichen Entwicklung. Und das World Economic Forum in Davos zeichnete sie im Jahr 2000 als «Global Leader for Tomorrow» aus.

Ihre Erfahrungen im Marketing und Management sammelte sie zunächst in der Pharmaindustrie. Sie konsumierte selbst schon lange fair gehandelte Produkte, als sie zufällig auf eine Anzeige von Max Havelaar stiess. Geklappt hat es erst im zweiten Anlauf. Zunächst wurde sie abgelehnt, weil ihr die entwicklungspolitische Erfahrung fehlte, ein halbes Jahr später kam dann doch das Angebot, als Geschäftsführerin tätig zu sein. Damit begann die Erfolgsgeschichte von Paola 
Ghillani: Sie steigerte den Umsatz jährlich um 30 Prozent, bereiste die ganze Welt und brachte Fair-Trade-Produkte in sämtliche Supermarktregale der Schweiz. Leidenschaftlich und unermüdlich war sie unterwegs, um für Produzenten in Entwicklungsländern faire Bedingungen zu schaffen und ihre eigenen Ideale umzusetzen. Ghillani wurde daneben Präsidentin von FLO, dem Verein der Fair-Trade-Labels weltweit. In dieser Funktion konnte sie viele nationale Projekte in verschiedenen Ländern unterstützen.

Im Zuge ihres Erfolges bei Max Havelaar berief man sie ins Internationale Komitee vom Roten Kreuz. Das brachte ihr, so sagt sie, nicht nur Freunde, sondern auch einige Neider. «Irgendwie wurde ich plötzlich zu prominent. Und ich habe bewiesen, dass fairer Handel als Businessmodell funktioniert. Dass man sie loswerden wollte, habe wohl eher menschliche als geschäftliche Gründe gehabt, vermutet sie. Erstaunt war sie selbst darüber, dass sie diese Entscheidung nicht als Krise empfand, sondern sich eher gestärkt fühlte, mehr denn je ihren eigenen Weg zu gehen.

Als Ghillani Max Havelaar verliess, wollte sie sich eigentlich eine Auszeit nehmen. Zudem standen ihr zahlreiche Türen offen bei Beratern oder in Verwaltungsräten. Sie wollte jedoch keine Angestellte mehr sein und schlug Angebote aus, viel Geld zu verdienen. Der Preis, ihre Energie zu verlieren und sich daran zu erschöpfen, war ihr zu hoch. «Vielleicht war ich bei Max Havelaar schon viel zu viel Unternehmerin», vermutet sie im Nachhinein. Sie entschied sich für die Selbständigkeit. Es scheint, die Träume der Schülerin 
Paola Ghillani sind in Erfüllung gegangen: «Ich wollte gut leben, meine Talente entwickeln und meine Freiheit behalten.»

Der Schlüssel ihres Erfolges liegt 
in der inneren Überzeugungung

Seit ihrem unsanften Ausscheiden bei Max Havelaar 2005, nachdem sie in fünf Jahren den Umsatz verfünffacht hatte, leitet sie in Zürich ihr eigenes Beratungsunternehmen.

Wie erklärt sie sich selbst ihren Erfolg? «Ich habe immer daran geglaubt, dass man alles, was man aus innerer Überzeugung tut, mit viel Liebe und Kraft tun kann. Sobald diese innere Überzeugung nicht mehr da ist, verliert man nur Energie.» Den grossen Einfluss der Wirtschaft auf unsere Gesellschaft möchte Ghillani nutzen, um mit ihren Strategien Menschen zum Umdenken zu bewegen. Wenn auf schlechtes Wetter spekuliert werde, damit das Getreide knapp und teuer wird und sich einige wenige an den Margen bereichern, widerspiegele dies nicht mehr die Realität. «Viele Menschen haben noch Hunger, das ist die Realität in den weitesten Teilen unserer Erde.»

Bei ihren Kunden müsse sie nicht sehr viel Überzeugungsarbeit leisten, sich für das nachhaltige Wirtschaften zu engagieren. «Das erstaunt mich manchmal selbst», sagt Ghillani. «Aber die Unternehmen, die keine nachhaltige Entwicklung wollen, die gehen zu einem Unternehmensberater, für den alleine die pure Finanzstrategie und die Gewinnmaximierung im Vordergrund stehen.»

Ghillani wird nicht gerne als Expertin in Sachen Umwelt bezeichnet, was hin und wieder vorkommt. Sie sei Expertin für Wirtschaft, Unternehmensstrategie und -führung, stellt sie klar. Ihre Kunden stehen vor einer strategischen Herausforderung oder führen eine Innovationsdebatte. Ihre Spezialität sei es, sich schnell in neue Geschäftsfelder einzuarbeiten. «Ich kann keine Ökobilanz erstellen, dafür habe ich mein Netzwerk externer Organisationen.» Sie entwickelt mit Spass und Leidenschaft Strategien, die die Aspekte der nachhaltigen Entwicklung integrieren. Nachhaltigkeit sei ein Entwicklungsprozess, der vor allem drei Ziele vereinige. Erstens: erfolgreich wirtschaften, zweitens: gesellschaftliche Entwicklung und drittens: ökologische Verantwortung. Nur so entstehe nicht nur ein finanzieller, sondern auch ein gesellschaftlicher Mehrwert. Und auch die Kunden ihrer Kunden sollen den Mehrwert spüren.

Philosophin mit italienischem Blut, die schon immer ein Leader war

Wenn Firmen zu abhängig würden von fossiler Energie, würden sie wirtschaftlich in einigen Jahren Probleme haben, sagt Ghillani. Die fossile Energie werde knapp und teuer. Da sei es doch besser, jetzt in erneuerbare Energien zu investieren, die dann zu guten Preisen zur Verfügung stünden. «Um so zu denken, muss man kein Einstein sein.» Wer die Thesen von Gottfried Duttweiler lese und nicht genau wisse, was er gemacht hat, könne glauben, er sei ein Philosoph. Und auch Rudolf Steiner mit all seinen Idealen für eine bessere Welt, habe den Mut gehabt, Unternehmer zu sein.

Auf Ghillani scheint das Sprichwort massgeschneidert zu sein: In der Ruhe liegt die Kraft. Besonnen, aber hartnäckig sei sie ihren Weg ganz alleine gegangen. Schon als kleines Kind war sie immer der «Leader», erinnert sich Ghillani. Nicht im Sinne von Autorität, sondern in dem Sinne, andere für eine Sache zu gewinnen und in eine bestimmte Richtung zu gehen. Sie hat immer viel Sport getrieben 
und es oft geschafft, andere anzutreiben und schliesslich den Sieg nach Hause zu bringen. «Ich hatte immer extrem viele Interessen, aber wo meine wirklichen Talente liegen, wusste ich lange nicht.»

Ghillani hat einen Schweizer und einen italienischen Pass. «Aber ich habe ganz und gar italienisches Blut», gibt sie zu. Die Philosophie begleitet sie durch ihr Leben, auch der Natur war sie stets verbunden. «Aber nicht so, dass ich in Wäldern hätte leben wollen», lacht sie. Sie liebe die Wälder, gehe gerne in die Natur zum Wandern, aber sie fühle sich auch wohl in der Gesellschaft. «Ich bin eine ganz normale Person.»

Der Wunsch von der Schweiz als 
Tal der Nachhaltigkeit

Ein Schlüsselerlebnis war für Ghillani, als sie von einer Viper gebissen wurde. Das passierte ihr übrigens nicht in irgendeinem entlegenen Teil der Welt, sondern in der Schweiz, im Greyerzerland. Sie erlebte sich selbst an der Schwelle des Todes, war in einem wunderschönen Licht, wo Vollkommenheit und Glückseligkeit herrschten. Plötzlich beginnt ihr Herz wieder normal zu schlagen. «Es war wie eine Wiedergeburt mit mehr Vertrauen und Zuversicht in mich selbst. Es hat mir gezeigt: Man ist eigentlich fast unzerstörbar. Ich bin dieser Schlange sehr dankbar …»
Ghillanis Wunsch: Die Schweiz möge das Tal der Nachhaltigkeit werden. Denn es sei ein privilegiertes Land, das über das nötige Wissen und Können verfüge, um in den Bereichen Energie, Wasser, Luft, Boden und Abfall zukunftsträchtige Lösungen anzubieten. Sie könne die ganze Welt besuchen, aber leben wolle sie nur in der Schweiz, gesteht Ghillani. Es ist eine perfekte Kombination von Gesellschaft und Natur.

Jeder Mensch solle mit seinen Talenten einen Beitrag leisten, andere Menschen zu sensibilisieren, im Dienste der Menschheit zu arbeiten, sagt sie. «Man kann sich auf diesem Planeten weiterentwickeln, so lange wie möglich – mindestens bis die Sonne stirbt, in fünf Milliarden Jahren. Einfach zu warten, ohne einen Beitrag zu leisten, fände ich schade. Jeder Mensch hat eine Aufgabe auf dieser Erde. Einige erkennen es ganz früh, andere später.» Die Finanzkrise sieht Ghillani nur als Spitze des Eisbergs eines Systems, das nicht nachhaltig ist. «Solche und andere Katastrophen 
fördern ein neues Erwachen.»

Paola Ghillani

ist Jahrgang 1963. Sie ist Tochter italienischer Eltern und wuchs mit drei Geschwistern im Wallis auf. Ghillani studierte Pharmazie an der Universität Lausanne, anschliessend arbeitete sie zehn Jahre lang in verschiedenen Positionen in der Pharmaindustrie. Ihre Kenntnisse im Management erwarb sie an der IMD in Lausanne. Von 1999 bis 2005 war sie Geschäftsführerin der Max Havelaar Stiftung. Mit ihrem Beratungsunternehmen Paola Ghillani & Friends verfolgt sie ihre Vision «Nachhaltiges Wirtschaften für eine bessere Welt». Sie sitzt in Verwaltungsräten namhafter Firmen und Organisationen. Unter anderem des Migros-GenossenschaftsBunds, des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, von Helvetia und Weleda. Bei der Pensionskasse Swisscanto ist sie Mitglied des Nachhaltigkeitsausschusses. Ghillani wurde für ihre Arbeit mehrfach ausgezeichnet. Zuletzt erhielt sie im November 2009 den mit 50 000 Franken dotierten grossen Binding-Preis für Natur und Umweltschutz für ihr Lebenswerk. www.paolaghillanifriends.com

 

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