Sind wir fit für die Berufsbildung von morgen?
Auch wenn die Frage zur Fitness bezüglich Berufsbildung nicht abschliessend beantwortet werden konnte – die KV Impulstagung «Sind wir fit für die Berufsbildung von morgen?» zeigte sich ihrem Titel wahrlich würdig: Sie informierte, inspirierte und aktivierte die Teilnehmer ausnahmslos. Wer nicht dabei war, hat einiges verpasst.
Rolf Butz und Ruedi Flückiger: Die KV-Direktoren von Zürich und Bern begrüssen als Gastgeber das Publikum. (Bilder: Beat Habermacher)
Die beiden KV-Direktoren aus Zürich und Bern – Rolf Butz und Ruedi Flückiger – begrüssten so viele Gäste wie noch nie im GDI Rüschlikon, bevor der erste Redner Josef Widmer, stellvertretender Direktor des Staatssekretariates für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI), das Wort ergriff.
Die Vorteile unseres dualen Systems sind bekannt: Tiefe Jugendarbeitslosigkeit, Arbeitsmarktorientierung, hohe Flexibilität in den Bildungswegen und internationale Anerkennung sind die Stichworte. Aber die Herausforderungen sind augenfällig. Das gleiche Ausland anerkennt unser System noch zu wenig. Um mit unserem Berufsbildungssystem wettbewerbsfähig zu bleiben, lokalisiert das SBFI insbesondere Potentiale in der Innovation*, der Qualitätssicherung und der Verbesserung der Berufsinformation durch die Wirtschaft in der Schule.
Aber wie nur? Stellte sich mancher Besucher die Frage und erhoffte sich die Antwort von Philipp Riederle, dem 20-jährigen Multitalent, zu erhalten. Sein Stern ging schon als 13-jähriger auf, als er über Nacht plötzlich Hunderttausenden per Internet-Video erklärte, wie man das iPhone 1 aus der USA für den hiesigen Gebrauch hackt. In einem beeindruckenden Vortrag relativiert er die Isolation der Generation Y durch die Digitalisierung und zeigt systematisch auf, wie die gesellschaftliche Interaktion dank Smartphone und Social Media sogar steigt. Dass dabei alles Wissen dieser Welt dauernd und überall vorhanden ist, ist ein angenehmer Nebeneffekt.
So oder so ist diese Revolution erst am Anfang. Dabei ist ein markanter Wertewandel der Jugend festzustellen. Nicht Geld, Status und Macht stehen im Vordergrund, sondern emotionale Bindung zum Unternehmen, gefördert durch Sinnstiftung, Selbstverwirklichung und geeignete Rahmenbedingungen. Gewinnung von Unterscheidungsvermögen sei die Kernkompetenz der Zukunft. Deshalb fordert Philipp Riederle alle Führungspersonen und Berufsbildner auf, Feuer der Begeisterung zu entfachen, sich einzulassen, Barrieren zu knacken und offen zu sein.
Leicht gesagt, wird sich der Berufsbildungsforscher Dr. Franz Kaiser vom Bundesinstitut für Berufsbildung in Bonn gedacht haben, bevor er zum Mikrofon greift. Sieht man das ganze aus statistischer Sicht an und versucht den volkswirtschaftlichen Interessen der Marktteilnehmer gerecht zu werden, stehen im Laufe der Geschichte einem einzigen Berufsfeld – dem Kaufmann – plötzlich bis zu 50 Fachrichtungen entgegen, welche in Definition, Praxis und Tauglichkeit einer dauernden Entwicklung unterworfen sind. Neue Berufsbilder entstehen, die Schwerpunkte verlagern sich (mehr Service als Produktion) und alles in die Praxis umzusetzen dauert seine Zeit.
Graziella Contratto (Dirigentin, Hochschulprofessorin und Festivalintendantin) weiht uns in die Talentförderung von hochbegabten Musikern und Sängern ein und unterscheidet zwei Haupttypologien: Jäger und Sammler. Während der eine durch seine Physis, Alarmbereitschaft und Disziplin herausragt, ist der andere eher durch seine Empathie, psychologischen Frühreife und Tiefe auszumachen. Beide Typen bergen Potentiale, welche durch Fördermechanismen entfaltet werden. Kulturelle Öffnung, die menschliche Begegnung und das Repertoire sind die Massnahmen, um die Aspekte der Persönlichkeit, Sachkompetenz oder Selbstmanagement zur vollen Wirkung zu entwickeln.
Niklaus Brantschen (lic. Phil. und lic. Theo. Jesuit, Priester, Zen-Meister), greift die Kernaussagen seiner Vorredner auf. Unter dem Titel «Mehr Tugend, weniger Moral – alte Werte neu gefragt» definiert er die Tugend mit ihren Merkmalen Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mässigung. Er unterscheidet die Tugend von der Moral und definiert eben dieses Unterscheidungsvermögen als Teil der Tugend. Michelangelo antwortete schon auf die Frage, wie er denn den David erschaffen habe, mit «Er war schon da, ich musste nur das entfernen, was nicht zu ihm gehörte». Die philosophisch hergeleitete Tugend zeigt sich plötzlich sehr nahe an den Bedürfnissen und Wertvorstellungen der heutigen Jugend. «Start making sense» ist ein gemeinsames Credo. Den Weg zu finden zu dem, wer ich bin – ein Bedürfnis, welches der Jugend mehr bedeutet als den Generationen davor.
Sind wir fit für die Berufsbildung von Morgen? Den Teilnehmern bleibt noch keine Zeit, das Gehörte zu verwerten, denn Steff la Cheffe (Rapperin, Beatboxerin und Nachhaltigkeitspreis-Gewinnerin) nimmt die Bühne zum Abschluss in Beschlag. «Ha kai Ahnig», Steffs Megahit bildet den Abschluss und begleitet die Besucher nach Hause. Inspiriert, motiviert und mit einem Lächeln im Gesicht. Was will man mehr?
Hier gehts zu den Tagungs-Präsentationen
- *Höhere Ausbildungsquoten im tertiären Sektor, Vitalisierung, Blockmodelle und Übergangsjahre, Talentförderung, internationalere Ausrichtung, mehr Bildungsberatung und eine neue Ausbildungskultur in Schulen und Betrieben.