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Social Networks: Ohne Knigge stehen Unternehmen auf verlorenem Posten

Im Social Web regiert das Chaos. Dieses Gefühl erhält, wer der Frage nachgeht, ob und wie Unternehmen den Umgang mit den neuen Web-2.0-Tools regeln. Viele Firmen verbieten den Zugang und schaden sich damit selbst. Denn wer den Umgang mit den sozialen Netzwerken erlernt, wird im Wettbewerb um Mitarbeiter und Innovationen die Nase vorn haben.

Die Erfolgsgeschichte der sozialen Medien ist beeindruckend. Vor wenigen Jahren noch belächelt, sind Internet-Plattformen wie Twitter, Facebook oder Xing auch in der Schweiz nicht mehr nur für einige Halbwüchsige und einen kleinen Teil der Internet Community interessant, sondern in der breiten Gesellschaft angekommen.

So besassen im Februar dieses Jahres hierzulande erstmals über 2 Millionen Menschen ein aktives Facebook-Konto, weltweit ist Facebook inzwischen Anlaufstelle für 350 Millionen Menschen. Die Nutzerzahlen anderer Social-Media-Plattformen wachsen ähnlich schnell. Das «Mitmach-Web», in dem die User selber sprechen, reicht mittlerweile über die Pionierbranchen der IT- und Mediendienstleister hinaus und erfasst grosse Unternehmen genauso wie KMU. Zudem nutzen auch immer mehr Menschen jenseits der 50 die sozialen Medien, um ihre Freundschaften oder geschäftlichen Netzwerke zu pflegen.

Der digitale Mensch hat viele Rollen

Während Youtube und die ersten Podcasts noch als Unterhaltungsphänomene abgetan werden konnten, müssen die privaten und beruflichen Vernetzungsplattformen ernst genommen werden. Denn deren rasanter Fortschritt hat massive Auswirkungen auf das tägliche Leben. In seinem Buch «Manieren 2.0» beschreibt der Autor Adriano Sack die Entwicklung folgendermassen: «Jeder einzelne Bereich unseres Lebens muss neu formuliert werden. Die Technik hat sich schneller verändert als die Menschen, die mit ihr leben müssen.»

Fallbeispiel Swisscom: Führung als Schlüssel

Beim grössten Schweizer Telekommunikations-Anbieter Swisscom sind Social-Media-Netzwerke ein gern gesehenes Medium. «Denn», so Mediensprecherin Myriam Ziesack, «sie bilden interessante Plattformen für eine neue Art des Austauschs.» Das gilt sowohl für den internen als auch für den externen Gebrauch. Daher ist die Verantwortung für die neuen Netzwerke auch zwischen der Personal- und der Kommunikations-Abteilung aufgeteilt. Der Zugang zu Community-Plattformen ist für alle Swisscom-Mitarbeitenden offen. «Informatikmittel gehören zum Arbeitsalltag; wir erwarten, dass unsere Mitarbeitenden diese im beruflichen Alltag benutzen und die Anwendung im privaten Rahmen auch weitergeben können», betont Ziesack. Die private Nutzung während der Arbeitszeit ist erlaubt, «sie muss aber auf ein Minimum beschränkt werden, darf die geschäftlichen Anwendungen nicht behindern und muss sich an definierte Regeln halten». Definiert sind diese Regeln in den allgemein gültigen Bestimmungen zur Nutzung von Informatik- und Telekommunikationsmitteln, die Swisscom-Mitarbeiter bei Stellenantritt zusammen mit dem Arbeitsvertrag erhalten. Mit dieser Strategie der Eigenverantwortlichkeit macht das Telekom-Unternehmen mehrheitlich gute Erfahrungen. Dennoch gibt es im Falle eines Missbrauchs ebenfalls Guidelines. «Für uns ist es klar ein Führungsthema, wenn ein Mitarbeiter Zeit hat, täglich während mehrerer Stunden über Facebook zu kommunizieren oder privat zu surfen», erklärt Myriam Ziesack. Es sei davon auszugehen, dass dieser nicht sinnvoll beschäftigt ist, und der Vorgesetzte habe das Recht, Massnahmen zu ergreifen. «Die erste Massnahme ist immer das Gespräch mit dem betreffenden Mitarbeitenden. Allfällige Sanktionen liegen beim HR in Rücksprache mit dem Vorgesetzten.»

Der digital sozialisierte Mensch agiert im Internet nicht nur als Privatperson, er kommuniziert gleichzeitig auch in seiner Rolle als Mitarbeiter und wird somit absichtlich oder unabsichtlich zum Vertreter und Sprecher seines Unternehmens. Das ist neu und gerade bei Firmen schüren diese Entwicklungen 
Ängste, sie fühlen sich hilf- und machtlos. Kein Wunder also, dass sogar im «Social-Media-Paradies» USA nur gerade 20 Prozent der Unternehmen ihren Mitarbeitern einen uneingeschränkten Zugang zu sozialen Netzwerken erlauben.

Auch in der Schweiz gibt es neben SBB, Post oder Grossbanken unzählige Beispiele von Firmen, die ihren Mitarbeitenden das Surfen auf sozialen Netzwerken verbieten. Sorgen ob der Sicherheit und der Produktivität sind die häufigsten Gründe dafür. Ob die Angestellten sich den Einschränkungen fügen, ist fraglich: Gemäss Nielsen Research verbringen amerikanische Nutzer täglich sechs Stunden auf einem Beziehungsportal – zwei Stunden mehr als europäische – und es ist mehr als zweifelhaft, ob sie dies nur in ihrer Freizeit tun.

Trocken-Twittern gegen Ängste

Unternehmen, die sich für ein striktes Verbot sozialer Medien am Arbeitsplatz entscheiden, müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie zwar gewissen Risiken aus dem Weg gehen, sich gleichzeitig aber auch grosse Chancen nehmen. Sie schliessen ihre Mitarbeiter – zumindest theoretisch – während der Arbeitszeit von relevanten Informationen im Internet aus und verhindern, dass sie sich mit Gleichgesinnten vernetzen.

Fallbeispiel SAP: Demokratisch und motivierend

Social Media sind für den Software-Giganten SAP sowohl aus der internen wie auch aus der externen Kommunikation nicht mehr wegzudenken. Sie zu benutzen, ist nicht nur erlaubt, sondern schon fast ein «Must». Für die Erarbeitung von Richtlinien im Umgang mit den neuen Medien involvierte der Konzern daher nicht nur einzelne Abteilungen, sondern die gesamte Belegschaft. In einem internen Wiki arbeiteten sie zusammen an dem Dokument, bis ein Konsens erreicht war. «Das war für uns der einzig richtige Weg, weil wir so von den unzähligen Erfahrungen, die unsere Mitarbeitenden im Umgang mit sozialen Netzwerken bereits gemacht hatten, profitieren konnten», begründet Michael Prosceno, bei SAP global verantwortlich für Social Media Relations, das Vorgehen. «Zudem repräsentiert der soziale Weg der Zusammenarbeit unsere Firmenkultur.» Der Grundtenor der Policy lautet: sei ehrlich und respektvoll, schreibe unter eigenem Namen, Qualität statt Quantität, trenne Meinungen von Fakten und breche keinen Streit vom Zaun. Und ganz wichtig: «Unsere Guidlines verstehen sich nicht als Gesetze, sondern sollen die Mitarbeitenden dazu motivieren, die neuen Tools vielfältig einzusetzen.» Denn, so Prosceno, gesetzliche und ethisch-moralische Verhaltensrichtlinien sind Teil des konzernweiten Code of Conducts von SAP.

«Abschotten bringt nichts», betont auch Philippe Surber, Kommunikationsverantwortlicher bei Unic, einem der grössten Schweizer Anbieter für internetbasierte Lösungen für E-Business und Enterprise Content Management. «Die Unternehmen müssen einerseits einen Umgang mit den neuen Technologien finden und andererseits eine Web-2.0-Kultur entwickeln.» Damit eine solche entstehen kann, braucht es vor allem eines: Interesse für die neuen Kommunikationsformen. «Um zu verstehen, was im Social-Media-Dschungel abgeht, ist es wichtig, zuzuhören und den Umgang mit den einzelnen Plattformen zu üben.»

Unic empfiehlt seinen Kunden zum Beispiel «Trocken-Twittern». Abgeschottet von der breiten Öffentlichkeit können Berührungsängste abgebaut und der technische und sprachliche Umgang mit der neuen Plattform geübt werden. Sind die Basics einmal verstanden, sollten sich die Verantwortlichen darüber Gedanken machen, wie sie die sozialen Medien einsetzen und nutzen wollen. Denn Web-2.0-Strategien, das ergab eine aktuelle Studie der Deutschen Hochschule RheinMain, sind im Moment in den wenigsten Konzernen vorhanden, geschweige denn in kleineren und mittelgrossen Unternehmen.

Benutzer-Guidelines sind ein Muss

Ähnliches gilt für Richtlinien und Vorschriften im Umgang mit den Social-Media-Plattformen. Lediglich in 18 Prozent der deutschen Unternehmen existieren solche Regelungen, wie der «Social Media Report HR 2010» ergab. Die Situation in der Schweiz präsentiert sich sehr ähnlich. In den meisten Unternehmen, dies die Erfahrung von Philippe Surber, fehlen Guidelines ganz. «Mitarbeitende wissen oft nicht, ob sie die sozialen Netzwerke während der Arbeit nutzen dürfen, welche Plattformen gestattet sind und in welchem Umfang sich das Engagement bewegen darf.» Doch dies ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist das Reputationsrisiko, das für Firmen aus einem unbedachten und ungeregelten Umgang mit Facebook & Co. entstehen und grossen Schaden anrichten kann. Ist eine Information mal publiziert, kann sie online unkontrolliert verändert, kommentiert und verbreitet werden. Spezielle Richtlinien sind daher ein absolutes Muss. Diese sollten zwei Bereiche regeln: Wann und wie dürfen soziale Medien während der Arbeitszeit benutzt werden? Was darf auf sozialen Medien kommuniziert werden? Zudem muss die Regelung für alle Mitarbeiter bindend sein, im Büro wie auch in der Freizeit (siehe Kasten oben).

Digitales Sozialverhalten erlernen

Ob eine Social Media Policy von oben oder von unten her entwickelt wird, hängt im Wesentlichen von der Unternehmenskultur ab. «Wichtig ist auf jeden Fall», betont Surber, «dass nicht nur die IT-Abteilung involviert ist, sondern auch HR und die Kommunikation.» Auch die Verantwortlichkeiten können durchaus auf verschiedene Abteilungen verteilt sein.

Swiss verfügt als eines der ersten Schweizer Unternehmen über einen Chief Social Media Officer. «Dies, weil wir vom Potenzial der Social Medias überzeugt sind und weil Social-Media-Aktivitäten vom Unternehmen selber gesteuert und bearbeitet werden müssen», wie Stelleninhaber Christoph Lüdi betont. Sein Job umfasst unter anderem die Pflege der unterschiedlichen Social-Media-Plattformen und Communities, Martkforschung sowie Konkurrenzbeobachtung im Web. Swiss-Mitarbeitende dürfen die Plattformen für die interaktive Vernetzung in einem vernünftigen Rahmen benutzen, sofern sie nicht gewaltverherrlichende, kriminelle, rassistische oder pornografische Inhalte verbreiten und den Geschäftsprozess nicht negativ beeinträchtigen. Spezifische Richtlinien zur Nutzung der Social-Media-Plattformen kennt das Unternehmen nicht. Es verfügt jedoch über IT Security Guidelines, die den Umgang mit IT-Geräten und der Nutzung von Daten für den geschäftlichen und massvollen privaten Gebrauch regeln.

Ganz im Gegensatz zum Fotokonzern Kodak, der spezifische Leitlinien im Umgang mit dem Web 2.0 besitzt. Diese sind im Netz als PDF zu finden und beinhalten neben den Does and Don’ts auch zehn Schreibtipps von Kodaks Chef-Bloggerin Jennifer Cisney. Denn: in der Internetwelt hat eine Firma nicht mehr nur eine Stimme, die gebündelt und gefiltert von der PR-Abteilung ausgegeben wird, sondern viele Stimmen. Diese sollten also wenigstens sprachlich einigermassen kongruent und anständig daherkommen.

Nur aus der eigenen Sicht schreiben

Etwas anders wird dieser Punkt bei IBM 
gehandhabt. In den «IBM Social Computing Guidelines» wird gleich zu Beginn festgehalten, dass es jedem IBMler offensteht, sich online zu präsentieren. Einziges Must: Jeder ist persönlich verantwortlich für das, was er schreibt. Daher soll jeder in der ersten Person schreiben – also aus eigener Sicht. Veröffentlicht der Mitarbeiter etwas ausserhalb der IBM-Seiten, soll er seinem Beitrag einen Disclaimer hinzufügen, beispielsweise: «Hiermit erkläre ich, dass die Inhalte hier meiner eigenen Meinung entsprechen und nichts mit den Positionen, Strategien oder Meinungen von IBM zu tun haben.»

Egal ob von unten oder von oben entwickelt, ob ausführlich oder kurz und prägnant – bei der Umsetzung von Verhaltensrichtlinien im Zusammenhang mit sozialen Medien sollte es darum gehen, den Mitarbeitenden ein digitales Sozialverhalten zu vermitteln, genauso wie jeder Mensch das Sozialverhalten im realen Leben erlernen muss. Daher darf es nicht nur beim Verfassen von Verhaltensrichtlinien bleiben. Auch für den Umgang mit 
sozialen Medien gilt: Nur Übung macht den Meister. Nach intensiven Schulungen sollte die Belegschaft dazu ermuntert werden, zu netzwerken, zu bloggen und zu twittern, was das Zeug hält.

Regeln für das digitale Miteinander

Eine Social Media Guideline zu verfassen, ist eine Gratwanderung. Schliesslich soll den Mitarbeitenden die Lust am Kommunizieren im Netz ja nicht verdorben werden. Daher gilt auch für die Gebote rund um den Umgang mit Facebook, Twitter & Co.: C’est le ton qui fait la musique. Eine Social Media Policy ist keine Ansammlung von Verboten. Empfehlungen helfen mehr als Verbote, und Ausdrücke wie «du sollst» haben in dieser nichts verloren. Inhaltlich sollten folgende Themen angesprochen werden:

  • 
Aufklärung: Schaffung des notwendigen Bewusstseins
  • 
Eigenverantwortung der Mitarbeitenden
  • 
Hinweise zur Einhaltung von Datenschutz-, Urheberrechts- und Sicherheitsaspekten
  • 
Netiquette: Respekt vor Kollegen, Kunden und Mitbewerbern
  • 
Regelung bezüglich bereits existierender Kommunikations- und Verhaltensrichtlinien
  • 
Umgang mit vertraulichen Informationen des Unternehmens und der Kunden
  • 
Hinweis auf Nutzung am Arbeitsplatz: Art, Umfang und Ziele
  • 
Rechtliche Verbindlichkeit der Richtlinien, Konsequenzen bei Verstoss dagegen
  • 
Umfang mit Feedback und Fehlern: Hinweis auf sachkundige Ansprechpartner im Unternehmen

Beschränken Sie sich auf die wichtigsten Punkte, denn je kürzer und knackiger Social Media Guidelines geschrieben sind, desto eher werden sie gelesen. Zudem müssen sie für jeden Mitarbeitenden verständlich sein. Als Beispiel sei an dieser Stelle die US-Zeitung «The Gazette» genannt. Deren Policy besteht gerade mal aus einem Satz: «Wenn Sie beruflich surfen, geben Sie sich als Angestellter der Gazette zu erkennen. Posten Sie keine Beiträge, mit denen Sie sich oder Ihr Unternehmen blossstellen könnten oder mit denen Sie Ihre berufliche Reputation beschädigen würden.» Und nicht vergessen: auch die besten Guidelines bringen nichts, wenn sie keiner kennt. Machen Sie das Regelwerk im Umgang mit den virtuellen Netzwerken sichtbar. Publizieren Sie es im Mitarbeitermagazin, im Intranet, als Newsletter per E-Mail oder am schwarzen Brett.

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Sandra Escher Clauss ist freie Journalistin.

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