Spitzenmodell Topsharing: Weniger Arbeit – mehr Motivation
Im Jobsharing teilen sich zwei Personen eine Arbeitsstelle. Dass dieses Modell auch auf Managementebene funktioniert, zeigt das Beispiel der beiden Chefärztinnen in der Frauenklinik Maternité des Stadtspitals Triemli in Zürich. Das Zauberwort für die Umsetzung heisst «gleiche Augenhöhe».
In der Frauenklinik Maternité des Stadtspitals Triemli in Zürich teilen sich zwei Frauen den Chefarzt-Posten.
Manager in Teilzeit? Noch vor ein paar Jahren war das fast undenkbar. Wer keinen vollen Job machte, wurde nicht für voll genommen. Das hat sich jedoch gewandelt. Weniger Arbeit, mehr Motivation so die Devise, und die Rechnung scheint aufzugehen. Topsharing ist Jobsharing auf Managementebene und bringt nicht nur für die Mitarbeitenden Vorteile, auch das Unternehmen profitiert.
«Wir teilen ja nicht einfach nur den Job, vieles wird auch mehr», erklärt Dr. Brida von Castelberg. «Wir haben zu zweit mehr Ideen, mehr Wissen, mehr Motivation und mehr Austausch.» Die Chefärztin der Frauenklinik Maternité des Zürcher Stadtspitals Triemli hatte bereits 15 Jahre ihre Position inne, als Dr. Stephanie von Orelli im März dieses Jahres hinzukam. Seitdem teilen sie Arbeit und Verantwortung, haben persönlich mehr Freiraum. Aber: «Den grössten Vorteil der Doppelführung hat die Klinik.» Eine Position – doppelte Qualifikation, das zahle sich aus, für alle Seiten, meint auch von Orelli. «Ich erlebe es als sehr bereichernd und auch spannend, dass wir die Möglichkeit haben, Dinge miteinander zu diskutieren.» Manchmal sei man betriebsblind, sehe bestimmte Aspekte eines Problems nicht.
Mehr Zeit für Familie, Hobbys und Weiterbildung
Auch Unternehmensberaterin Julia K. Kuark, Autorin von «Das Modell TopSharing», sieht darin eines der wichtigsten Argumente für Topsharing. Mit Kollege Hans Ulrich Locher hatte sie bereits 1998 den Begriff Topsharing geprägt und sich seither mit diesem für sie zukunftsweisenden Führungsmodell intensiv beschäftigt. Das Fazit des fünfjährigen Projekts, das vom Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Mann und Frau finanziell unterstützt und vom Netzwerk Arbeitsgesellschaft sowie vom Verein «UND» getragen wurde, ist vor allem: «Vier Augen sehen mehr als zwei. Es werden im Topsharing qualitativ bessere Entscheidungen gefällt, strategische Entwicklungen sind breiter abgestützt.»
Das entscheidende Merkmal dieses Arbeitsmodells ist, dass Einzelaufgaben untereinander aufgeteilt werden, ein definierter Teil der Verantwortung aber gemeinsam getragen wird. Im Gegensatz zur reinen Teilzeitstelle kann die Position im Jobsharing praktisch durchgehend besetzt werden und in Krankheitsfällen ist die Stellvertretung mit den Abläufen bereits bestens vertraut. Regelmässige Reflektion im Team gewährleistet die Weiterentwicklung und Optimierung der Zusammenarbeit.
Mit dieser Flexibilität haben Manager deutlich mehr Zeit für Familie, Hobbys oder Weiterbildung. «Vor dem Sharing hat meine Lebensqualität enorm gelitten», berichtet von Castelberg. Ihre Position als Chefärztin hatte sie quasi rund um die Uhr vereinnahmt. Von Orelli war bereits früher als Assistenz- und Oberärztin an der Maternité tätig, bevor sie leitende Ärztin am Universitätsspital wurde. Von Castelberg wusste, das Modell könnte für sie eine Lösung sein, aber wenn, dann nur mit von Orelli. Hätte sich die Chance nicht ergeben, hätte von Orelli weiter 100 Prozent in ihrer alten Position gearbeitet. «Doch heute weiss ich, was ich gewonnen habe», sagt die zweifache Mutter. «Ich bin viel motivierter, nicht mehr so ausgebrannt. Und meine Batterien sind immer aufgeladen.»
Auch für Männer ist Topsharing ein Modell der Zukunft
Die Frauen wollen auch anderen Menschen und Unternehmen Mut machen, über eine Doppelspitze nachzudenken. «Das Interesse bei Männern wie Frauen ist sehr gross, obwohl wir hier nicht von einem quantitativen Durchbruch sprechen können», sagt Kuark.
Die Rollen in der Gesellschaft haben sich im Laufe der letzten Jahrzehnte entschieden verändert. Dies erfordert innovative Arbeitsmodelle. So wie Frauen auf Beruf und Karriere nicht mehr verzichten wollen, haben auch Männer immer mehr den Wunsch, nicht nur für die Firma, sondern auch für die Familie da zu sein. Das Modell könne natürlich dazu beitragen, den Frauenanteil in Kaderpositionen zu erhöhen, so Kuark.
Aber auch für Männer könne Topsharing durchaus Zukunft haben. Damit sie den Schritt zur Umsetzung wagen – und damit einen Teil ihrer Macht abgeben –, müsste auf verschiedenen Ebenen ein Umdenken stattfinden. Zunächst auf der individuellen Ebene mit der Frage: Wo setze ich meine Zeit ein, wie wichtig ist mir mehr Freizeit oder Familienzeit? Dann müssen das kollektive Arbeitsumfeld und die Betriebskultur neue Lebensentwürfe integrieren, und schliesslich müssten auf der gesellschaftlichen Ebene die Rollen reflektiert werden: «Wir müssen uns auf allen Ebenen von genderspezifischen Erwartungen verabschieden und bereit sein, Vorurteile abzubauen, gerade im Punkt Teilzeit.» sagt Kuark. Denn der Wunsch, weniger zu arbeiten, sei nicht gleichbedeutend mit weniger Motivation. Ganz im Gegenteil.
Topsharing bringt aber nicht nur mittelfristig Entwicklungsvorteile, es steigert auch die Attraktivität auf dem Arbeitsmarkt, denn familienfreundliche und gesundheitsfördernde Unternehmenspolitik wird ein immer wichtigeres Argument im Kampf um qualifizierte Mitarbeiter. Es kann die Unternehmenskulturen und das Verständnis von Führung verändern. Der Führungsansatz Kommandieren, Kontrollieren, Korrigieren sei veraltet, meint Kuark. Die Beraterin setzt in innovativen Organisationen auf moderne Partnerschaftskulturen, die durch egalitäre, soziale und ideologische Strukturen gekennzeichnet sind und in denen verschiedene Werte geschätzt werden. Topsharing sei nicht das einzig wahre Modell der Zukunft, aber es zeige, dass es zu den starren Arbeitsformen eine Alternative gibt.
So leicht, wie es sich anhört, ist das Modell jedoch nicht umzusetzen. Ein Dreivierteljahr haben die beiden Ärztinnen sich auf ihre gemeinsame Führung vorbereitet. Ein Coach half ihnen, wichtige Fragen vorab zu klären: Wo können Probleme auftreten, wie muss was kommuniziert werden, ist diese Klinik der richtige Ort für unser Vorhaben, wie werden Patienten und Mitarbeiter reagieren und, das Wichtigste: Passen wir überhaupt zusammen? Das Zauberwort heisst «gleiche Augenhöhe». Hier liegt wahrscheinlich der Grund, dass sich diese geteilte Arbeitsweise eher zögerlich etabliert. Es braucht zwei mit gleicher oder sich optimal ergänzender Ausbildung, mit der gleichen Motivation, der gleichen Effizienz, den gleichen Wertevorstellungen, dem gleichen Führungsverständnis.
Im Falle der Chefärztinnen scheint alles zu stimmen. Das Erfolgsrezept des Duos Castelberg/Orelli basiert jedoch noch auf einem weiteren Aspekt. «Uns verbindet seit Jahren eine gute Freundschaft», sagen die Frauen. Wichtig seien Toleranz und Respekt. «Es geht ja nicht darum, dass einer kommt und sich einen Teil der Macht schnappt. Es ist wie eine Beziehung, die gepflegt werden muss.»
Gemeinsame Entscheidungen – ausser in Notfällen
Die beiden Frauen teilen sich ein Büro, ein Sekretariat und die Verantwortung für eine Klinik mit 25 Ärzten. Sie haben die Aufgaben untereinander strikt aufgeteilt. Während von Castelberg sich eher der Geburtshilfe und dem Ambulatorium widmet, ist von Orelli zuständig für die Operationen und die gynäkologische Onkologie. Klar definierte Zuständigkeiten gehören zum Arrangement, genauso wie feste Telefonzeiten, an denen sich die beiden Chefinnen regelmässig austauschen.
Strategische und personelle Entscheidungen treffen sie gemeinsam, auch die medizinischen, sofern kein Notfall vorliegt. Dann muss diejenige, die gerade Dienst hat, entscheiden. Die Arbeitszeiten sind genau geplant: Orelli hat dienstags frei, von Castelberg freitags. Mittwoch und Donnerstag sind die Frauen gemeinsam im Büro und gehen verschiedenen Aufgaben nach, jede von ihnen betreut bestimmte Patientinnen. Montags sind die Frauen im Wechsel anwesend. «Und wer montags Dienst hat, hat die ganze Woche das Sagen», erläutert von Orelli.
Die Expertin Julia K. Kuark empfiehlt, Topsharing im Unternehmen zunächst einen Projektcharakter zu geben. Es handle sich um einen Gestaltungsprozess, in den man investieren müsse. Zudem gäbe es verschiedene Varianten. Ob die «Arbeitszwillinge» die gleichen Qualifikationen haben oder zwei Personen mit komplementären Qualifikationen sind – wichtig sei, jedes Detail der Aufgabenverteilung vorab zu klären. Grundsätzlich aber überschneiden sich beim Topsharing-Modell die Kernaufgaben wie übergeordnete Zielsetzungen, strategische Entscheidungen und Budgetverantwortung. Ein Anteil gemeinsamer Verantwortung unterscheidet das Modell vom Jobsplitting, das neben den Aufgaben auch die Verantwortung aufteilt.
Ein Weg, gute Mitarbeitende an das Unternehmen zu binden
Eine geteilte 100-Prozent-Stelle heisst jedoch für das Unternehmen nicht gleich zwei Mal 50 Prozent, sondern eher zwei Mal 60 Prozent. Damit fallen auch höhere Kosten an. Doch wer nur diese aufrechnet, macht nach Kuarks Einschätzung einen Fehler. «Die Vorteile überwiegen, der Verlust für das Unternehmen ist wesentlich grösser, wenn eine kompetente Person die Firma verlässt. Damit geht wichtiges Know-how verloren.» Topsharing bietet hochqualifizierten Mitarbeitenden, die kürzer treten möchten, einen Anreiz, in der Firma zu bleiben und ihre individuelle Work-Life Balance durch eine Reduktion der Arbeitszeit erheblich zu verbessern. «Diese Mitarbeitenden identifizieren sich meist stärker mit dem Unternehmen, Absenzen und Fluktuation sinken», so Kuark.
Leicht fiel es ihr am Anfang nicht, sagt von Castelberg und meint damit nicht etwa das Teilen von Arbeit und Verantwortung. Vielmehr war die zusätzliche Freizeit für sie eine Herausforderung, «Loslassen, das kannte ich gar nicht mehr», sagt sie. «Einfach rausgehen und abschalten, das musste ich erst wieder lernen.» Ein halbes Jahr hatte sie sich gegeben, um sich auf die neue Situation einzustellen. Jetzt habe sie viel mehr Energie als vorher. Und die Klinik profitiert von zwei Powerfrauen. «Wir sind beide hochmotiviert», sagen die Chefärztinnen unisono.