Spontanbewerbungen: kostengünstiger Weg für Rekrutierer
Viele Unternehmen entdecken Spontanbewerbungen als Quelle für neue Mitarbeitende. Um sie effizient zu nutzen, braucht es spezifische Prozesse.
Alle zwei Sekunden trifft beim Internet-Suchmaschinen-Entwickler Google eine Bewerbung ein, der Grossteil davon ungefragt. Für den europäischen Chefrekrutierer Randy Knaflic ist die Dossierflut daher eine sprudelnde Quelle, um an gute Software-Experten heranzukommen. Beim Kosmetikriesen L’Oréal gingen im vergangenen Jahr allein in Deutschland immerhin rund 6500 Spontanbewerbungen ein. Dies entspricht fast der Hälfte der insgesamt knapp 14000 Bewerbungen. Auch L’Oréal ist froh über die hohe Anzahl an Blindbewerbungen. «Da wir sehr viele Vakanzen haben, sind uns unaufgeforderte Bewerbungen hochwillkommen», sagte der Recruiting-Verantwortliche Dennis de Munck erst kürzlich in einem Interview. «Wir schauen auf die Kompetenzen der Bewerber und nicht darauf, ob es zufällig eine offene Stelle gibt. Daher haben Blindbewerber bei uns sehr gute Chancen.»
Spontanbewerbungen sparen dem Unternehmen Kosten und Zeit
Langsam, aber sicher entdecken auch immer mehr Schweizer Unternehmen den Wert von Spontanbewerbungen. Vor allem in einem ausgetrockneten Arbeitsmarkt stellen diese eine interessante Quelle an neuen Mitarbeitenden dar. Denn von qualifizierten Spontanbewerbungen können Unternehmen letztlich nur profitieren, sparen sie doch die Kosten für Stelleninserate oder Personalvermittlungsbüros sowie die Zeit für aufwändige Auswahlverfahren.
«Gerade für hochdotierte Stellen sind Spontanbewerbungen für uns eine kostengünstige und interessante Alternative», sagt etwa Roswitha Korte, Leiterin Recruiting bei der AXA Winterthur. Bei dem Versicherungskonzern gehen schweizweit gegen 3000 Spontanbewerbungen pro Jahr ein. «Jede wird von uns ernst genommen und auf einen möglichen Einsatz des Bewerbers in einer passenden Funktion innerhalb unseres Unternehmens geprüft.» Ist keine passende Stelle offen, behält die Recruiting-Abteilung interessante Dossiers nach Rücksprache mit dem Bewerber für längstens sechs Monate bei sich.
Die Qualitätsunterschiede bei Spontanbewerbungen sind gross
Auch die Coca Cola Beverages AG erhält regelmässig Spontanbewerbungen. Pro Woche, so Yves Lampreu, HR Business Partner Manager, ungefähr 25 Stück. «Für deren Selektion sind unsere HR Business Partner und die Young-Talents-Verantwortlichen zuständig.» Diese prüfen, ob sich für die Bewerber eine passende Einsatzmöglichkeit oder eine Temporäranstellung biete. «Weil die Qualitätsunterschiede bei Spontanbewerbungen häufig sehr gross sind und diese mit einem hohen administrativen Aufwand verbunden sind, stellen sie aber nur eine bedingt wichtige Rekrutierungsquelle dar.» Mit dem geplanten neuen Webauftritt könnte sich dies aber schon bald ändern. «Innerhalb unserer neuen Homepage planen wir ein Tool, mit dem Spontanbewerbungen künftig systematischer erfasst werden können», erklärt Yves Lampreu.
Etwas weiter geht die Grossbank Credit Suisse. Diese beschäftigt sogar ein spezielles Team für Spontanbewerbungen. Gemäss Sabina Hiestand, Leiterin Sourcing & Placement, kennt dieses die offenen Stellen und vermittelt geeignete Bewerbungen nach eingehender Analyse der Unterlagen an die für die offenen Stellen verantwortlichen Recruiting Manager. «Aus dieser Rekrutierungsquelle gehen immer wieder erfolgreiche Anstellungen hervor, dies primär im temporären Bereich.» Falls keine passenden Positionen zu vergeben sind, behält sich die Grossbank vor, geeignete Dossiers in Einverständnis mit dem Bewerber einige Zeit pendent zu halten.
Dossiers ohne jeden Bezug zum Unternehmen haben keine Chance
Einen anderen Weg hat der Pharmariese Novartis gewählt. Dieser bearbeitet Spontanbewerbungen im Rahmen des normalen Personalprozesses. «Besonders willkommen sind uns Bewerbungen auf ausgeschriebene Stellen, da auf diese Weise ein fokussiertes Bewerbermanagement gewährleistet werden kann. Wir bieten den Bewerbern aber auch die Möglichkeit, ihren Lebenslauf in einer speziellen Datenbank zu hinterlegen, falls sich zum gegebenen Zeitpunkt keine passende Herausforderung finden lässt», sagt Hans Locher, Leiter HR Schweiz. «Diese Datenbank wird von unserer Staffing-Abteilung bei neuen offenen Stellen immer geprüft.»
Für die Alternative Bank Schweiz (ABS) sind Spontanbewerbungen gar ein kleiner Schatz, der aktiv bewirtschaftet wird. «Voraussetzung ist allerdings, dass der Bewerber über eine Vorstellung verfügt, in welche Abteilung er passen könnte und welche Einsatzmöglichkeiten bestehen», betont ABS-Personalleiterin Roswitha Kick. «Ist für eine interessante Bewerbung gerade keine passende Stelle frei, halte ich das Dossier pendent. Ergibt sich später eine Vakanz, laden wir diese Person sofort zum Gespräch ein.» Keine Chance haben – da sind sich alle Personalverantwortlichen einig – unübersichtliche, unvollständige und allgemein gehaltene Bewerbungsdossiers ohne jeglichen Bezug zum Unternehmen oder einer möglichen Stelle. Ebenso, wenn schon am abgegriffenen Papier ersichtlich ist, dass ein Dossier bloss herumgeschickt wird.
Es gibt aber auch Firmen, die ungefragt per Briefpost oder immer häufiger auch per E-Mail hereinflatternde Verkaufsdossiers von Bewerbern als eher mühsam empfinden, die sie mehr schlecht als recht bearbeiten oder gar sofort in den virtuellen oder realen Abfallkorb legen, egal ob diese von guter oder schlechter Qualität sind. «Wir bevorzugen Bewerbungen, die sich auf eine ausgeschriebene offene Position beziehen», betont Roger Kunz, Recruiting & Diversity Leader bei IBM Schweiz. Dies, weil IBM in der Regel sehr individuelle Profile suche und die Wünsche der Bewerbenden so besser berücksichtigt werden können. Und das Industrieunternehmen ABB erteilt spontanen Bewerbungen gar generell eine Abfuhr. «Es kommt äusserst selten vor, dass bei ABB Schweiz jemand aufgrund einer Spontanbewerbung eingestellt wird», sagt Mediensprecher Lukas Inderfurth. «Daran ändert auch die gute Konjunkturlage nichts.»