Staat, Wirtschaft, Bürger: Wer ist verantwortlich für das Finanzgewissen?
Das Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ der Hochschule Luzern – Wirtschaft hat eine Umfrage zum Thema Finanzgewissen durchgeführt. Die Erkenntnisse zeigen, dass Werten wie Gewissen, Vertrauen und Ethik künftig signifikant mehr Bedeutung beigemessen werden. Einigkeit darüber, wer konkrete Massnahmen umsetzten soll, gibt es nicht.
Zweifellos ersichtlich ist aber, dass die Unternehmen fortan bei der Auswahl ihrer zukünftigen Mitarbeitenden wie auch als Arbeitgebende diesen Aspekten viel mehr Bedeutung beimessen müssen, um nachhaltig erfolgreich zu sein.
Finanzgewissen ist ein künstlicher Begriff, für den es keine allgemein anerkannte Definition gibt. Darüber hinaus wird das Konzept Gewissen im Allgemeinen als etwas Persönliches, als eine Angelegenheit eines einzelnen Menschen betrachtet und nicht mit der Gesellschaft als Ganzem in Verbindung gebracht. Aufgrund der historischen und dramatischen Entwicklungen an den Finanzmärkten in den letzten Monaten, die gravierende Mängel der weltweit vernetzten Finanzsysteme auf äusserst schmerzhafte Weise aufgedeckt haben, hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass fehlendes Gewissen einzelner Marktteilnehmer Auswirkungen auf die Gesellschaft als Ganzes haben kann und somit von gesamtgesellschaftlicher Relevanz ist. Diese Erkenntnis war die Grundlage für die nachfolgend beschriebene Studie.
Gewissenhafter Umgang steht im Vordergrund, nicht Gutes tun
In der Periode von Mitte September bis Mitte Oktober 2008 hat das Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ der Hochschule Luzern – Wirtschaft eine breit angelegte Online- Umfrage zum Thema Finanzgewissen durchgeführt. Die Umfrage richtete sich an Personen mit unterschiedlichem Berufs- und Bildungshintergrund, die am IFZ während der letzten Jahre eine finanzfachbezogene Weiterbildung besucht hatten. Insgesamt wurden rund 3500 Personen angeschrieben, knapp die Hälfte davon hat an der Umfrage teilgenommen. 960 Personen haben diese erfolgreich beendet, was einer Ausschöpfungsquote von knapp 70 Prozent entspricht. Die Hälfte der teilnehmenden Personen ist in der Finanzdienstleistungsbranche tätig. Der Frauenanteil unter den Teilnehmenden beträgt 30 Prozent. Die Umfrage hatte zum Ziel, Erkenntnisse zu folgenden Themenbereichen zu gewinnen:
- Was verstehen die Partizipanten unter Finanzgewissen, und wie schätzen sie dessen Bedeutung heute und in Zukunft ein?
- Wer ist in der Gesellschaft zuständig, als Finanzgewissen zu agieren, und wer in einem Unternehmen?
- Wie verhalten sich die Teilnehmenden bei finanziellen Entscheiden in Bezug auf Rendite, Risiko? Und wie bei der Integration von ethischen Dimensionen bei der Entscheidungsfindung?
- Wie hat sich das Vertrauen gegenüber den Banken über die letzten zwei Jahre verändert, und inwiefern gibt es Unterschiede zwischen den einzelnen Bankenkategorien?
Parallel zu diesen Fragestellungen wurden umfangreiche soziodemographische Angaben erhoben, welche die Auswertung der Daten nach verschiedenen Dimensionen wie Alter, Geschlecht, Nationalität, Wohnort (Stadt/Land), Branche, Beschäftigungsgrad, Einkommen sowie Hauptbankbeziehung ermöglichen. Definitionsgemäss sind die erhobenen Informationen nicht statistisch repräsentativ für die Schweizer Bevölkerung; sie widerspiegeln jedoch gut die Ansichten derjenigen Personen, die sich in ihrer täglichen Arbeit mit dem Thema befassen müssen oder sollten.
Insgesamt ist die Umfrage auf grosses Interesse gestossen, was auf eine wachsende Sensibilisierung für das Thema schliessen lässt. Wie die Ergebnisse deutlich aufzeigen, hat die Mehrheit der Teilnehmenden durchaus eine klare Vorstellung davon, was Finanzgewissen für sie bedeutet: Für knapp 90 Prozent der Befragten bedeutet es, nachhaltige und ethische finanzielle Entscheidungen zu fällen. In gleichem Ausmass stimmten die Befragten zu, dass Finanzgewissen für sie dem gewissenhaften Umgang mit finanziellen Mitteln gleichkommt. Hingegen vereinbaren nur 40 Prozent der Befragten Finanzgewissen damit, mit finanziellen Mitteln Gutes zu tun, und nur knapp ein Drittel stimmte zu, dass sich das Finanzgewissen auch darin äussert, mit finanziellen Mitteln Vertrauen zu gewinnen.
Grosse Einigkeit besteht darüber, dass die Bedeutung des Finanzgewissens innerhalb der nächsten fünf Jahre allgemein zunehmen wird. Die grösste Zustimmung ist in der Finanzdienstleistungsbranche selbst zu finden, wo 75 Prozent der Befragten diese Aussage bejahten. Auch die meisten Partizipanten aus der Industrie sowie aus den sonstigen Dienstleistungsbranchen teilen diese Meinung mit Zustimmungsraten von 73 Prozent bzw. 65 Prozent. Der öffentliche Sektor hat mit 55 Prozent die geringste Zustimmungsrate, was aufgrund der geringeren Auswirkungen der Finanzkrise in diesem Bereich nicht weiter erstaunen sollte.
Vertrauensverlust verlagert die wahrgenommene Zuständigkeit
Auf die Frage, welcher der nachfolgenden drei Stakeholder Staat, Wirtschaft/Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürger in der Schweiz als Finanzgewissen agieren soll, gaben die Hälfte der Befragten den Staat an. Nur knapp 18 Prozent waren der Ansicht, dass die Wirtschaft respektive die Unternehmen eine solche Rolle haben, und ein gutes Viertel der Befragten nannte zusätzlich die Bürger. Die geringe Bedeutung der Wirtschaft zur Einhaltung des Finanzgewissens mag aufgrund der in der Zwischenzeit allgemein anerkannten Verfehlungen seitens der Unternehmenswelt auf den ersten Blick schon etwas erstaunen.
Auf der anderen Seite ist es vielleicht gerade diese Erkenntnis und der damit verbundene Vertrauensverlust in die Unternehmen welche die Gewissensallokation weg von der Unternehmenswelt und hin zum Staat verursacht haben. Auch die Antworten auf die Frage, wie es innerhalb von Unternehmen um die Verantwortlichkeiten in Bezug auf das Agieren mit Finanzgewissen steht, sind teilweise unerwartet. Nur 22 Prozent der Befragten sehen die Verantwortung beim Verwaltungsrat, dem aktienrechtlichen Leitungs- und Oberaufsichtsorgan eines Unternehmens. Knapp 45 Prozent geben an, dass der CEO und der CFO (Chief Financial Officer) mit Finanzgewissen ihre Pflichten und Rechte wahrzunehmen haben. Dem Management insgesamt kommt eine Zustimmungsrate von 72 Prozent zu. Die Audit- oder Controlling-Abteilung, die gerade im Bereich des Risikomanagements eine zentrale Rolle einnimmt, hat eine Zustimmung von lediglich 63 Prozent gefunden. Der Ausübung von Finanzgewissen durch gesamthaft alle Mitarbeitenden stimmten mit 96 Prozent fast alle Befragten zu.
Kleinere Banken sind auch die kleineren Verlierer
Wie hat sich das Vertrauen in die Banken über die Zeit verändert? Ingesamt haben knapp 40 Prozent der Befragten weniger Vertrauen gegenüber ihrer Hausbank als noch vor zwei Jahren. Die Vertrauensverluste unterscheiden sich jedoch signifikant zwischen den Kunden der einzelnen Bankenkategorien. Am meisten Vertrauen büssten wenig überraschend die Grossbanken ein: fast 60 Prozent der befragten Grossbankkunden gaben an, ihrer Bank heute weniger zu vertrauen. Bei den Kantonal- und Regionalbanken fällt dieser Anteil mit rund 25 Prozent der Befragten deutlich tiefer aus. Die grossen Gewinner bzw. die kleinsten Verlierer sind die Raiffeisenbanken: Raiffeisenbank-Kunden unter den Befragten notierten zu nur knapp 20 Prozent, dass sie ihrer Bank weniger vertrauen als noch vor zwei Jahren, und ganze 25 Prozent äusserten, dass ihr Vertrauen in die Raiffeisenbank über die Zeit sogar zugenommen hat.
Welche Erkenntnisse lassen sich aus diesen Umfrageergebnissen gewinnen? Aus Sicht der Unternehmen gilt es zunächst, das verloren gegangene Vertrauen im Markt und damit der Kunden wieder zu gewinnen. Dies wird nur möglich sein, wenn fortan bei der Rekrutierung von Mitarbeitenden – und insbesondere von Führungskräften – starkes Augenmerk auf deren Werte und Motivationsfaktoren sowie auf ein verantwortungsvolles und gewissenhaftes Geschäftsgebaren gelegt wird. Diese Aspekte müssen sich auch in den Anreizmechanismen, von welchen die Entschädigungspolitik nur eine Dimension darstellt, widerspiegeln. Institute, die diese Themen nicht oder ungenügend an die Hand nehmen, werden längerfristig nicht nachhaltig erfolgreich handeln können. Die Folge ist, dass diese Organisationen sich auf dem Markt nicht als attraktive Arbeitgeber werden etablieren und damit kein erstklassiges Humankapital werden anlocken können. Gerade die Finanzdienstleistungsindustrien werden von diesen Entwicklungen in besonderem Ausmass betroffen sein.