Stärke oder Schwäche? Ein Gedanke entscheidet!
Wer seine Stärken kennt, ist wesentlich motivierter und erzielt bessere Ergebnisse im Job. So der Tenor vieler wissenschaftlicher Studien. Kein Wunder, dass es immer mehr Tests zur Einschätzung eigener Talente und Stärken gibt. Doch das Kennen der eigenen Stärken führt nicht immer zu besseren Leistungen.
Skepsis besiegt jede Stärke. (Bild: iStock)
Es ist ein bekanntes Phänomen: Ein Mitarbeiter hat einen Persönlichkeitstest ausgefüllt. Endlich, das Ergebnis liegt vor ihm. Neugierig liest der Mitarbeiter, was der Test über ihn enthüllt: Er sei besonders ausdauernd, könne andere Menschen mitreissen, trete auch unter Druck diplomatisch auf und habe einen analytischen Blick für das Wesentliche. Das hört sich im ersten Moment gut an. Ändern tut es im späteren Verhalten des Mitarbeiters in den meisten Fällen aber rein gar nichts. Warum?
Skepsis besiegt jede Stärke
Der Mitarbeiter ist skeptisch, ob das, was er schwarz auf weiss liest, tatsächlich stimmt. Also nimmt er all seinen Mut zusammen und fragt Kollegen oder Freunde, was sie über die Stärken denken, die der Test aus dem Hut gezaubert hat. Zu seiner Überraschung bestätigen sie ihm das Ergebnis und geben ihm ganz konkrete Beispiele, die ihm zeigen sollen, dass er wirklich über diese Stärken verfügt. Glaubt er ihnen dann? Nein – in vielen Fällen bleibt er skeptisch und hat das Gefühl, die anderen wollen ihm nur schmeicheln.
Also bleibt alles beim Alten. Obwohl der Mitarbeiter seine Stärken jetzt kennt und von seinem Umfeld sogar erfahren hat, wie er sie im Berufsalltag nutzen kann, erzielt er keine besseren Ergebnisse. Sind die Tests also doch unzuverlässig? Nein. Haben sich Freunde und Kollegen sich geirrt? Wohl kaum. Warum nutzt er dann seine Stärken nicht effektiver? Das Problem hat nichts mit dem Erkennen der eigenen Stärken zu tun, sondern mit dem Anerkennen.
Grösster Feind: Negative Gedanken
Bei der Unfähigkeit, die eigenen Stärken anzuerkennen, verhält es sich ähnlich wie bei einer Reihe Dominosteine, wo der erste umfallende Stein eine Kettenreaktion auslöst und alle weiteren Steine mit sich reisst. Ein negativer Gedanke, dass wir eine bestimmte Sache nicht können, hat enorme Auswirkungen auf unser Verhalten und damit letztlich auf die Ergebnisse, die aus diesem Verhalten resultieren.
Um es an einem Beispiel deutlich zu machen: Schon bei der Vorstellung daran, eine Präsentation zu halten, bekommt ein Mitarbeiter kalte Füsse. In seinem Hirn hat sich der Gedanke verfestigt: «Mir hören die anderen doch sowieso nicht zu.» Dieser negative Gedanke führt zwangsläufig zu einem unsicheren Auftreten. Dementsprechend schwach ist dann auch die Wirkung seiner Präsentation. Das Tragische daran: Wenn die sich selbst erfüllende Prophezeiung erst einmal in Gang gebracht wurde, ist sie kaum noch zu stoppen.
Wenn Training alles noch schlimmer macht
Um bei unserem Beispiel zu bleiben: Um dem Mitarbeiter zu helfen, bietet der Vorgesetzte ihm an, auch zu anderen Gelegenheiten zu präsentieren, denn «Übung macht den Meister». Oder die Personalabteilung schickt ihn auf ein Seminar – in der Hoffnung, dass er dort sicherer im Präsentieren wird.
Beides ist zwar gut gemeint, führt in den meisten Fällen aber zu gar nichts – ausser zu noch mehr Frust beim Mitarbeitenden und Enttäuschung beim Vorgesetzten. Der Grund ist letztlich trivial: Es wird auf der Verhaltensebene angesetzt. Wenn aber der Auslöser des unsicheren Verhaltens, also der negative Gedanke, nicht verändert wird, bringt häufiges Üben keine Verbesserung. Im Gegenteil. Während Training bei einem Mitarbeiter mit selbstsicherem Denken zu noch mehr Selbstsicherheit führt, führt es bei verunsicherten Denken zu noch mehr Unsicherheit.
Negative Gedanken verändern
Wer die Notwendigkeit sieht, seine Fähigkeiten zu stärken, um bessere Resultate zu erzielen, sollte sich zuerst darüber klarwerden, mit welcher Einstellung er etwas in Angriff nimmt. Sobald er feststellt, dass er sich schwertut, eigene Stärken anzuerkennen, ist der erste Schritt, diesen schwächenden Gedanken zu verändern. Erst dann macht es Sinn, seine Fähigkeiten zu trainieren. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Negativspirale zu unterbrechen.
Neu fokussieren
Sie befinden sich in einer mentalen Sackgasse und fokussieren ausschliesslich auf die negative Seite einer «Stärke». Sie halten sich beispielsweise für pedantisch und blenden leider aus, dass Sie dadurch in vielen Situationen gewissenhaft und genau sind. In solchen Fällen ist es hilfreich, sich an konkrete Beispiele zu erinnern, wo es Ihnen geholfen hat, Aufgaben überlegt und ordentlich zu erledigen. Suchen Sie nach mindestens drei verschiedenen Beispielen, sonst denken Sie vielleicht noch, dass es sich bei dem einen Beispiel nur um einen Zufallstreffer handelt.
Den Zweifel in Zweifel ziehen
Sie zweifeln an Ihren Stärken und Leistungen. Sobald Ihnen etwas gelungen ist, flüstert Ihnen Ihre innere Stimme ein, dass es ein Zufall war. Den Zweifel zu beseitigen, indem man sich einredet, dass es doch die eigene Leistung war, führt nur zu weiteren Zweifeln. Effektiver ist es, den Zweifel selbst zu hinterfragen: Was hindert mich daran, meine Stärken anzuerkennen? Stecken negative Erfahrungen oder Ängste dahinter? Gebe ich den Zweifeln vielleicht nach, weil ich mich in der Rolle des Skeptikers sicherer fühle?
Verallgemeinerungen auflösen
Ein einziger Vorfall, wo Ihnen etwas nicht so gelungen ist wie erhofft – und schon ziehen Sie daraus die allgemeine Schlussfolgerung, etwas nicht zu können. Achten Sie auf typische Verallgemeinerungen wie «nie», «immer», «nichts», «alles». Wenn Sie feststellen, dass Sie diese übertriebenen Verallgemeinerungen verwenden, suchen Sie bewusst nach positiven Ausnahmen. Wo ist Ihnen etwas «wider Erwarten» gut gelungen, als Sie eine bestimmte Fähigkeit eingesetzt haben? Und wo noch?
Fehler produktiv nutzen
Ihnen ist ein Fehler unterlaufen. Sie kritisieren sich dafür – nicht nur einmal, sondern immer wieder. Der begangene Fehler lässt sich nicht aus den eigenen Gedanken streichen. Sinnvoller ist es, ihn als Erfahrung für die Zukunft zu nutzen. Fragen Sie sich: Was kann ich aus dieser Situation lernen? Was ist vielleicht sogar das Gute daran, dass es so gekommen ist?