Im Gespräch

«Stimmt meine Hypothese, dann wird die Qualität der Bewerbungen besser»

Seit 50 Jahren sähen Stelleninserate gleich aus, moniert Jörg Buckmann, Leiter Personalmanagement bei der VBZ. Er und sein Team haben das geändert und bringen nicht nur Videos ins Spiel, sondern bewerben sich damit gleich selbst bei ihren künftigen Mitarbeitern. Damit die Kaderleute auch vor die Kamera treten, braucht es allerdings etwas Überzeugungsarbeit.

Wo entstand die Idee für die Jobvideos?

Jörg Buckmann: Wir haben erste sehr gute Erfahrungen mit Videos bei unseren Kaderevents gemacht. Damit lassen sich nämlich Inhalte transportieren, die man nicht verständlich auf Papier bringen kann. Die Reaktionen auf diese 
Videos haben uns dann veranlasst, die Idee ins Personalmarketing zu übertragen.

Welche Inhalte sind das?

Emotionen. Nehmen Sie das Beispiel 
direkte Führungskultur. Dieser Ausdruck könnte so in einem Stelleninserat stehen. Wir müssen das nicht mehr schreiben, wir können es zeigen. Bei uns steht der Vorgesetzte draussen auf der Baustelle und erzählt, dass er fadengerade sein kann und dass draussen gearbeitet wird, auch wenn es regnet. Das menschliche Profil und solch greifbare Bilder vom Job kann ein normales Inserat nicht transportieren.

Wie kam die Idee bei den Kaderleuten an?

Gemischt. Einerseits fanden es die meisten sehr spannend und innovativ. Auf der anderen Seite gab es auch Ängste, selbst vor die Kamera treten zu müssen. Daran müssen wir noch arbeiten. Wir sind ja auch kein Marketing-getriebenes Unternehmen, wo es die Leute gewohnt sind, nach aussen aufzutreten. Mitarbeiter, die in einem Büro Teamleiter genannt werden, heissen bei uns Meister. Ein grosser Teil unserer Vorgesetzten hat einen technischen Hintergrund. Es brauchte also einen guten Teil Überzeugungsarbeit. Das ist einer der Knacknüsse beim Medium Video.

Was haben Sie konkret getan, um alle ins Boot zu holen?

Als Erstes haben wir die Geschäftleitung hinter uns gebracht. Das war der einfachere Teil. Wichtig war natürlich auch zu sagen, warum wir das jetzt so machen. Und was ich für matchentscheidend halte, ist, dass wir parallel zur Kommunikation schon zwei Videos produziert haben. So konnten wir schnell ein fertiges Ergebnis präsentieren und die Kritiker und mässig Begeisterten damit ins Boot holen. Es hilft nämlich ungemein, den eigenen Kollegen vor der Kamera zu sehen, um für sich selbst zu sagen: «Ich glaube, das kann ich auch.»

Was erhoffen Sie sich durch die neue Personalmarketingstrategie?

Wir wollen spannende Bewerber ansprechen. Vielleicht auch solche, die sonst die VBZ nicht als Arbeitgeber Nummer eins wahrnehmen. Wie bei jeder Marke assoziieren Bewerber auch mit unserem Unternehmen bestimmte Werte: Zuverlässigkeit, Sicherheit, langfristige Planung. Das Bild, das die Bevölkerung von uns hat, ist geprägt von Tram- und Busfahrern. Aber wir sind nicht nur eine Transportfirma, welche traditionellere Werte verkörpert. Wir sind auch ein pfiffiges und modernes Unternehmen, und das wollen wir so zeigen.

Was tun Sie, damit sich die Vorgesetzten vor der Kamera sicher fühlen?

Wir hatten im Vorfeld mehrere freiwillige Mittagsveranstaltungen, an denen unsere Produzentin und ein ehemaliger Kadermann des Fernsehens Tipps für den Auftritt vor der Kamera gegeben haben. Jeder hatte dort die Gelegenheit, zwei Statements in die Kamera zu sagen und so spielerisch den Umgang mit dem «schwarzen Loch» zu üben. Wir wollten bei den Führungskräften ein Aha-Erlebnis produzieren, dass es zwar vor der Kamera ein bisschen komisch ist, aber letztlich für den Einzelnen machbar. Von unseren 150 Vorgesetzten haben rund 80 diese Möglichkeit wahrgenommen.

Wie läuft die Vorbereitung für einen solchen Dreh ab?

Sobald der Antrag auf die Ausschreibung einer Stelle kommt, setzen wir uns mit dem Vorgesetzten zusammen und bekommt er eine Art Drehbuch. Wir nennen dies Kleeblattmethode, weil wir versuchen, die Fülle von Informationen in vier Fragestellungen zu strukturieren, zu denen sich die Führungskraft Gedanken machen soll. Anschliessend hat er oder sie fünf Arbeitstage Zeit, sich zu überlegen, was er sagen will. Dann kommen wir nochmals zusammen, gehen die Statements durch und überlegen, wo gedreht werden soll.

Was wird den Vorgesetzten vorgegeben?

Gar nichts. Die Vorgesetzte schreibt den Text allein. Einzig wenn sie eine unnatürliche oder gestelzte Sprache verwendet, versuchen wir, das zu glätten, und ermutigen sie, es so zu formulieren, als würde sie das in einem Café erzählen. Wenn wir ungeübten Leuten sagen, was sie zu sagen haben, wäre das nicht mehr authentisch. Was wir versuchen, ist ein Spagat zwischen Authentizität auf der einen Seite und Professionalität auf der anderen 
Seite.

In den Videos geben die Vorgesetzten zum Teil private Dinge preis; der eine Chef 
segelt, der andere fährt Töff. Ist das von Ihnen so gewollt?

Ja, unbedingt. Es soll eben nicht einfach das gesprochene Stelleninserat sein. Wir animieren alle, eine persönliche Note in die Videos zu bringen. Denn die leben davon, dass der Chef etwas von sich erzählt. Das macht erst die Sympathie aus.

In einem Jobvideo meldet sich neben dem Vorgesetzten auch ein Mitarbeiter zu Wort.

Auch das ist sehr erwünscht und spannender, als wenn der Vorgesetzte selbst erzählt, wie er ist. Generell haben die Videos zwar immer die gleiche Struktur mit Intro und Outro und die gleich Musik. Aber wir wollen natürlich, dass es trotz des gleichen Stils nicht langweilig wird: Deswegen drehen wir ja auch mal auf einer Baustelle, wo es «chlöpft und tätscht». Das sind Bilder, die etwas hergeben. Ich glaube auch, dass das Medium lebt und wir in zwei Jahren vielleicht schon wieder ganz andere Filme drehen.

Erreichen Sie mit dem Internet alle Ihre Zielgruppen?

Das Internet ist nicht mehr nur das Medium für die Jungen und Bessergebildeten. 
Lange dachten wir, dass wir den Printkanal auch noch brauchen. Aber in den letzten zwei Jahren ist das gekippt. Die Zahlen vom Bundesamt für Statistik zeigen, dass 80 Prozent der Erwerbstätigen das Internet mehrmals täglich nutzen. Wir haben kein einziges Feedback, dass jemand aufgrund der Internetnutzung keinen Zugang zu unserem Angebot hatte.

Wie sind die ersten Resonanzen?

Gewaltig. Fast jeden Tag kommt positives Feedback von den Bewerbern. Viele nehmen die Idee auf und verwenden sie im Anschreiben. Man merkt, dass die Leute nicht einfach die Videos konsumieren, sondern aktiv aufnehmen, was dort in Wort und Bild transportiert wird. Ein Kandidat hatte sich beispielsweise mit einer besprochenen CD beworben und gesagt, wie genial er die Idee gefunden hat. Wenn meine Hypothese stimmt, könnte ich mir vorstellen, dass die Qualität der 
Bewerbungen zunimmt.

Ist es Ihr Ziel, dass sich die Bewerber ebenfalls per Video bewerben?

Nein, obwohl es fast ein bisschen paradox klingt. Wir müssen von der Effizienz her aufpassen, dass wir nicht eine Flut von Video- oder Audiobewerbungen bekommen. Natürlich wäre das auch für uns spannend, wenn sich Bewerber so vorstellen. Aber bei 150 Bewerbungen wird das etwas schwierig in der Bearbeitung.

Haben andere Medien in Ihrer neuen Personalstrategie noch Platz?

Auf allen anderen Medien gibt es keine Detailinformationen mehr zu unseren Stellen. Sie sind nur noch Lieferanten fürs Internet. Dennoch mussten wir uns überlegen, wie wir die anderen Medien einbinden. Gerade bei den Online-Stellenplattformen mussten wir vorher abklären, ob unsere Videos dort laufen. Nur alleine Videos zu drehen, reicht eben nicht. Es braucht ein Gesamtkonzept.

Auf Print verzichten Sie jetzt komplett?

Die klassischen Stelleninserate haben wir ganz abgeschafft. Stattdessen haben wir ganz einfache, bedeutend kleinere Inserate konzipiert – so genannte Teaserinserate. Die sehen nicht mehr wie Stelleninserate aus und sind zum Teil auch gar nicht mehr dort platziert. Dort steht dann ganz trocken: «Herr Müller bewirbt sich bei Ihnen als Ihr neuer Chef», zusammen mit einem Verweis auf die Website. Keine gestalterischen Elemente, einfach die Botschaft.

Wie wirkt sich das auf Ihre Kosten aus?

Wir wollen die Kosten möglichst senken, aber sicher nicht teurer werden. Bei den Jobvideos versuchen wir natürlich, bei jedem Mal den zeitlichen Aufwand zu drücken. Und wenn wir bei den teuren Printinseraten auf die Bremse treten, können wir das Geld für die Videos einsetzen.

Würden Sie anderen Unternehmen zu diesem Schritt raten, und wenn ja, wieso?

Ich bin überzeugt vom Medium Video. Ich denke auch, dass das Handling gar nicht mehr so schwierig ist, ebenso wie die Einbindung ins Internet. Viele Firmen scheuen vermutlich den zeitlichen oder finanziellen Aufwand. Manchen fehlt wohl auch der Mut. Wir haben das Ganze, nachdem wir den Entschluss getroffen hatten, innerhalb eines halben Jahres umgesetzt. Der Teufel steckte wie so oft im Detail und es kamen unerwartete Hürden. Generell würde ich jedem dazu raten, doch es muss wohlüberlegt und gut geplant sein. Einfach ein paar Videos zu drehen, reicht nicht. Wir haben wirklich alles durchdacht, von der Einbindung bei unseren Partnern bis hin zu den Vertrösterbriefen, die ebenfalls an Wording und Denkhaltung angepasst werden mussten.

Wie sieht das konkret aus?

Zum Beispiel so: «Sie haben sich bei Herrn Müller als Tramfahrer beworben und wir sind jetzt daran, die spannendsten Dossiers für Herrn Müller zusammenzustellen.» Dann hat der Bewerber das Gefühl, zu wissen, was genau jetzt in der HR-Abteilung abläuft. Auch bei der Einladung schreiben wir, dass sich Herr Müller freut, die Person kennenzulernen. Wir versuchen, es persönlich zu machen und nicht nur im Internet der Person ein Gesicht zu geben, sondern wirklich bis hin zu den Schriftstücken. Aber das ist auch die Idee hinter dem Konzept «Wir bewerben uns»: Der Bewerber ist König.

Geht das manchmal vergessen?

Ich finde ja. Das Produkt «Freie Stelle» ist ohnehin ein Paradox. Bei jedem anderen Produkt erzählt man ihnen lang und breit, was die Vorzüge sind, man kann sich informieren, in Ruhe überlegen. Bei Jobs ist das völlig anders. Das ist eigentlich verrückt, aber gemeinhin völlig akzeptiert. Ich weiss nicht, wer meine Dossiers liest, wer mein Vorgesetzter ist und wie das Umfeld an meinem Arbeitsort aussieht. Wir versuchen jetzt, das Informationsbedürfnis unserer Bewerber zu berücksichtigen – mit einem hohen Mass an Kundenorientierung. Sich können wir auch nicht alles machen, was lässig ist. Aber vor lauter Geschrei nach schlanken Prozessen und Effizienz ist die persönliche Ansprache verloren gegangen. Und wir versuchen das Rad ein wenig zurückzudrehen.

Jörg Buckmann

verfügt über eine kaufmännische Ausbildung sowie über Weiterbildungen zum dipl. HR-Leiter und über ein NDS FH in Dienstleistungsmanagement. Bevor er 2007 zu den VBZ kam, war Buckmann Leiter Personalpolitik bei den SBB. An seiner Arbeit schätzt er vor allem, wenn es ihm gelingt, auch in einem Umfeld mit hoher Regelungsdichte Freiräume für kreative Lösungen zu schaffen.

 

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