Streitfall: Die Lohnfortzahlungspflicht bei Krankheit des Arbeitnehmers
Jedes Unternehmen, das Personal beschäftigt, wird früher oder später damit konfrontiert, dass Arbeitnehmer erkranken. Die unvollständige gesetzliche Regelung der Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers führt in diesen Fällen immer wieder zu rechtlichen Auseinandersetzungen.
Nach der rudimentären Regelung des Obligationenrechts (OR) hat der unverschuldet erkrankte Arbeitnehmer für eine beschränkte Zeit Anspruch auf Lohn. Im ersten Dienstjahr hat ihm der Arbeitgeber während dreier Wochen den Lohn zu entrichten, nachher während einer «angemessenen» längeren Zeit. Die Gerichte haben im Interesse der Rechtssicherheit Skalen (die so genannte Berner, Basler und Zürcher Skala) entwickelt, welche die Dauer der Lohnfortzahlung nach Anzahl der Dienstjahre staffeln. Diese Skalen haben an sich keine verbindliche Gesetzeskraft. Trotzdem halten sich die meisten Gerichte recht streng an sie, wobei je nach zuständigem Gericht entweder die Zürcher, Berner oder Basler Skala angewendet wird.
Wiederholte Abwesenheiten werden zusammengezählt
Zu beachten ist, dass die gesetzliche Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers bei einem Arbeitsvertrag, der auf einen Termin gekündigt werden kann, der vor Ablauf von drei Monaten seit Beginn des Arbeitsverhältnisses liegt, erst am ersten Tag des vierten Anstellungsmonats beginnt. Bei wiederholter Verhinderung im gleichen Dienstjahr werden für die Berechnung des Lohnfortzahlungsanspruchs alle Abwesenheiten zusammengezählt. Dies unabhängig davon, ob ein Arbeitnehmer wegen der gleichen Krankheit mehrmals fehlt oder ob die Absenzen verschiedene Ursachen haben. Beginnt während der bestehenden Krankheit ein neues Dienstjahr, entsteht wieder ein neuer Lohnfortzahlungsanspruch, dessen Höchstdauer sich nach dem entsprechenden neuen Dienstjahr bemisst.
Über die Lohnzahlung bei Arbeitsverhinderung kann eine abweichende, schriftliche Vereinbarung getroffen werden, die aber gleichwertig mit der beschriebenen gesetzlichen Regelung sein muss. Es handelt sich dabei meist um eine vom Arbeitgeber abgeschlossene Taggeldversicherung (vgl. dazu HR Today 4/08, S. 91).
Was gilt bei teilweiser Arbeitsunfähigkeit?
Ist ein Arbeitnehmer nur teilweise arbeitsunfähig, besteht sein (teilweiser) Lohnfortzahlungsanspruch nach herrschender Meinung so lange, bis der erhaltene Lohn einem vollen Salär für die beschränkte Zeit gemäss anwendbarer Skala entspricht (bei 50-prozentiger Arbeitsunfähigkeit wäre also der Lohn im ersten Dienstjahr während sechs statt dreier Wochen zu bezahlen). Einzelne Arbeitsgerichte gehen allerdings davon aus, dass der Lohn auch bei teilweiser Arbeitsunfähigkeit nur während der in der Skala vorgesehenen Dauer zu zahlen ist.
Schwangerschaft und Geburt
Die Lohnfortzahlung für Schwangere untersteht den geschilderten allgemeinen Regeln über die Lohnfortzahlung bei Krankheit. Die gesetzliche Mutterschaftsversicherung greift erst nach der Geburt. Bei schwangerschaftsbedingter Abwesenheit vor der Geburt besteht deshalb nur dann ein Anspruch auf Lohnfortzahlung, wenn die Arbeitnehmerin auch tatsächlich arbeitsunfähig ist (sei es wegen der Folgen der Schwangerschaft oder davon völlig unabhängig), und nur während der Dauer gemäss anwendbarer Skala.
Der 14-wöchige (bzw. 98-tägige) gesetzliche Mutterschaftsurlaub beginnt, sobald das Kind lebensfähig geboren wird. Wenn das Kind tot geboren oder nach der Geburt verstorben ist, hat die Mutter Anspruch auf Leistungen, wenn die Schwangerschaft mindestens 23 Wochen gedauert hat. Ein Anspruch auf die Leistungen der Mutterschaftsversicherung besteht allerdings nur, wenn die Mutter während der neun Monate vor der Niederkunft bei der AHV versichert war (bei vorzeitiger Geburt reduziert sich diese Dauer entsprechend) und in der Zeitspanne vor der Niederkunft mindestens fünf Monate gearbeitet hat. Die Mutterschaftsversicherung richtet während der Dauer des Mutterschaftsurlaubs grundsätzlich 80 Prozent des durchschnittlich vor der Niederkunft erzielten Lohns aus. Die Entschädigung wird in Form eines AHV-pflichtigen Taggeldes von maximal 172 Franken pro Tag ausbezahlt, womit das maximale Taggeld bereits bei einem Monatseinkommen von 6450 Franken (Jahreseinkommen von 77400 Franken) erreicht wird. Den Arbeitgebern steht es jedoch frei, über das gesetzliche Minimum hinausgehende Leistungen zu gewähren beziehungsweise entsprechende Versicherungen abzuschliessen.
Folgen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erlischt grundsätzlich die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers. Kündigt der Arbeitgeber nach Ablauf der Sperrfrist, um sich von der Lohnfortzahlungspflicht zu befreien, ist die Kündigung deswegen nicht missbräuchlich. Allerdings hat der Arbeitnehmer den ganzen Lohnfortzahlungskredit für das laufende Dienstjahr zugute und nicht nur einen Anteil pro rata temporis, selbst wenn er das Dienstjahr aufgrund der Kündigung nicht beenden kann. Hat der Arbeitgeber eine bestimmte Dauer der Lohnfortzahlungspflicht vertraglich explizit zugesichert, muss er sich zudem bewusst sein, dass seine Lohnfortzahlungspflicht auch wirklich so lange dauert, wie er zugesichert hat, und deshalb unter Umständen auch über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus dauern kann. Dies gilt unabhängig davon, ob die gesetzliche bzw. die Dauer gemäss anwendbarer Skala oder eine längere Dauer vereinbart wurde.
Wurde eine Taggeldversicherung abgeschlossen, ist das Schicksal der Versicherungsleistungen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses abhängig von der spezifischen Versicherung. In vielen Fällen, insbesondere wenn die Versicherung dem Krankenversicherungsgesetz untersteht, hat der Arbeitnehmer ein Recht auf Übertritt in die Einzelversicherung, ohne dass der Versicherer neue Gesundheitsvorbehalte anbringen könnte. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Arbeitnehmer auf ein solches Recht aufmerksam zu machen, ansonsten kann er ihm hierfür haftbar werden.