Stressbelastung: Unternehmen haben es in der Hand
Unternehmen sind Stress nicht wehrlos ausgeliefert. Eine neue Studie von Gesundheitsförderung Schweiz und dem Schweizerischen Versicherungsverband zur Wirkung von Stressprävention zeigt, dass geeignete Massnahmen bei rund 25 Prozent aller Mitarbeitenden greifen: Die Gesundheit verbessert sich und die Produktivität steigt. Und nach spätestens fünf Jahren zahlt sich das Engagement auch finanziell aus.
Die Folgen von psychischen Belastungen, Stress und Burnout-Erkrankungen kommen Unternehmen und Sozialsysteme teuer zu stehen. Gesundheitsförderung Schweiz beziffert den jährlichen finanziellen Schaden durch Absenzen aufgrund von psychischen Erkrankungen auf 5,3 Milliarden Franken. Das Pilotprojekt SWiNG wurde im Jahr 2008 von Gesundheitsförderung Schweiz und dem Schweizerischen Versicherungsverband SVV initiiert. Es untersucht einerseits Stressursachen sowie die negativen Folgen von Stress und bekämpft sie mit geeigneten Präventionsmassnahmen; andererseits werden die Wirkungsweise und der ökonomische Nutzen dieser Massnahmen analysiert. Dafür wurde SWiNG in acht Testbetrieben aus unterschiedlichen Branchen in der ganzen Schweiz über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren umgesetzt und evaluiert.
Im Alltagsverständnis wird Stress häufig als reiner Zeitdruck verstanden. Dieses Verständnis greift zu kurz. SWiNG zeigt, dass Stress aufgrund eines explosiven Zusammenspiels von verschiedenen dauerhaften Belastungen entsteht: Arbeitnehmer fühlen sich dann gestresst, wenn grosser Zeitdruck herrscht, eine starke Unsicherheit bezüglich der eigenen Rolle besteht oder individuelle Überlastungen vorkommen und gleichzeitig das Führungsverhalten der Vorgesetzten mangelhaft oder die Teamkultur schlecht ist. Und Stress ist auch kein reines Managerproblem – im Gegenteil: Aufgrund ihres grösseren Handlungsspielraums leiden Führungskräfte tendenziell sogar weniger an Stress.
Die Folgen für den Betrieb sind klar erwiesen: Gestresste Mitarbeitende fehlen häufiger am Arbeitsplatz, nehmen öfter medizinische Leistungen in Anspruch und konsumieren mehr Medikamente. Sie leiden auch häufiger unter Rückenschmerzen und Schlafproblemen und sind generell erschöpfter. SWiNG hat gezeigt, dass weniger belastete Mitarbeitende um bis zu zehn Prozent produktiver sind. Stress ist keine Bagatelle, sondern wird von den Betroffenen als sehr belastend empfunden. Immerhin 20 Prozent der am stärksten belasteten Personen der SWiNG-Betriebe wären bereit, auf einen Teil ihres Lohnes zu verzichten, um den eigenen Stresslevel zu reduzieren.
Im Team werden Lösungen für Belastungssituationen gesucht
Im Projekt SWiNG wurden verschiedene Interventionen zur Stressprävention umgesetzt und auf ihre Wirkung untersucht. Der erste Schritt im Kampf gegen den Stress im Betrieb stellt die gründliche Analyse der Ist-Situation dar – denn nur wer weiss, wie die Belastungssituation konkret aussieht, kann effizient handeln. Für diese Detail-Analyse haben Gesundheitsförderung Schweiz und der SVV gemeinsam mit dem Institut für Arbeitsmedizin (IfA) und dem Psychologischen Institut der Universität Bern eigens ein spezielles Instrument entwickelt: das S-Tool (siehe Kasten).
Der zweite Schritt auf dem Weg zu einer erfolgreichen Stressprävention besteht in der Schulung der Führungskräfte. Als dritten Schritt sieht das Programm Teamreflexionen vor. In diesem Rahmen werden die Ergebnisse der Ist-Analyse mit S-Tool besprochen und diskutiert. Gemeinsam mit den Teamkollegen werden Lösungen für die Belastungssituationen gesucht und allenfalls notwendige strukturelle Anpassungen vorgenommen, welche die Zusammenarbeit erleichtern. Allein die offene Thematisierung der eigenen Befindlichkeit ist bereits ein entscheidender Faktor im Umgang mit Belastungen. Ein letzter Baustein des Präventionspakets sind individuelle Stressmanagement-Kurse für die Mitarbeitenden und Führungskräfte. Entscheidend für den Erfolg der Stressprävention ist, dass keine der Massnahmen für sich allein nachhaltig wirkt, sondern erst das Gesamtpaket der Interventionen Erfolg verspricht.
Stressprävention ist möglich und wirksam
In den beteiligten Unternehmen konnten dank SWiNG neue Strukturen zur Förderung des stressfreien Arbeitens wie zum Beispiel eine verbindliche Stellvertretungsregelung, die Einführung regelmässiger Teamsitzungen oder wiederkehrende spezielle Führungskräfte-Treffen zum Thema Stress etabliert werden. Insgesamt bestätigen die Testbetriebe eine starke Enttabuisierung des Themas und einen offeneren Umgang mit Belastungen in den Teams. Dies wurde von den Betroffenen als sehr positiv wahrgenommen und stellte eine grosse Hilfe dar. So zeigten die getesteten Interventionen denn auch bei einem Viertel aller am Projekt beteiligten Mitarbeitenden positive Auswirkungen in Form von Produktivitätserhöhungen und einer Verringerung der Absenzen – bei den am stärksten betroffenen Personen um 1,7 Tage pro Jahr.
Die Kosten für eine wirkungsvolle Stressprävention sind gut investiert: Spätestens fünf Jahre nach Projektbeginn zahlt sich das Engagement von durchschnittlich 755 Franken pro Mitarbeitenden aufgrund von Leistungssteigerung und Absenzenreduktion für die Unternehmen auch finanziell aus.
Die SWiNG-Betriebe
Am Pilotprojekt SWiNG haben sich acht Grossunternehmen beteiligt: die Unternehmen ABB Turbo Systems AG, ABB Schweiz AG, Zentrale Funktionen, Alstom Field Service Centre Schweiz, Alstom Rotorenfabrik am Standort Birr und Nestlé Suisse S.A., die Spitäler Hôpital Riviera und Klinik Barmelweid sowie die Kantonale Verwaltung Thurgau. Diese Betriebe sind Pioniere im Bereich der Stressprävention und haben durch ihr Engagement massgeblich zum Erfolg des Projekts beigetragen.
Evaluiert wurden die Stresspräventionsmassnahmen von der Abteilung Gesundheitsforschung und Betriebliches Gesundheitsmanagement, Universität und ETH Zürich, in Zusammenarbeit mit dem Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie der ZHAW .
Die Interventionen und Programme wurden vor Ort in den Pilotbetrieben durch drei externe Anbieterfirmen im Bereich Betriebliche Gesundheitsförderung umgesetzt und begleitet: das Institut für Arbeitsmedizin (IfA), das Institut für Arbeitsforschung und Organisationsberatung (iafob) sowie die vivit gesundheits ag.
Weitere Informationen: www.gesundheitsfoerderung.ch/swing
S-Tool
Der Online-Fragebogen S-Tool basiert auf neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen und gibt einen detaillierten Einblick in die Stressverteilung im Betrieb auf den Ebenen Team, Abteilung und Gesamt- unternehmen. Die Auswertung der Befragung identifiziert frühzeitig sogenannte Stress-Hot-Spots, zeigt die Posi-tion des Unternehmens im Vergleich zu anderen Betrieben auf und ermöglicht gezielte Interventionen zur Stressbekämpfung und -prävention. Der Fragebogen wird online von allen Mitarbeitenden ausgefüllt. Jeder Teilnehmer erhält unmittelbar im Anschluss an die Befragung eine Auswertung der persönlichen Belastungssituation mit einem persönlichen Feedback.
Weitere Informationen: www.gesundheitsfoerderung.ch/s-tool