Survivors – oder: Die Letzten beissen die Hunde
Bei Entlassungen stehen betroffene Mitarbeitende im Mittelpunkt. Diesen werden teilweise umfangreiche Outplacement-Programme zur Neuorientierung angeboten. Das mag zwar wertvoll für die entlassenen Arbeitskräfte sein, aber was wird für die verbleibenden Mitarbeitenden getan, damit deren Motivation sich nicht negativ auf die Produktivität auswirkt?
Die Metatrends von heute und morgen verlangen von den Unternehmen neue Handlungsweisen, um im Wettbewerb zu bestehen. Sie führen in vielen Fällen zu organisatorischen Anpassungen und in letzter Konsequenz auch zu Personalabbau. Einerseits gehören Entlassungen und das damit verbundene Kündigungsgespräch für Vorgesetzte und Mitarbeitende der HR-Abteilung zu den herausforderndsten Aufgaben überhaupt. Andererseits sind Entlassungen nicht nur für die gekündig-ten Arbeitskräfte und die involvierten HR- oder Linienverantwortlichen, sondern auch für die verbleibenden Mitarbeitenden einschneidende Erlebnisse: Diesen so genannten Survivors wird wenig Aufmerksamkeit zuteil. Gerade sie sind es, die für den zukünftigen Unternehmenserfolg entscheidend sind.
«Layoff Survivor Sickness»
Das Phänomen «Layoff Survivor Sickness» wurde bereits in den 60er Jahren durch den Psychiater/Psychoanalytiker William Niederland wissenschaftlich erforscht. Darunter wird eine Form der posttraumatischen Belastungsstörung verstanden oder anders formuliert: verzögerte, längerfristige Reaktionen auf ein ausserordentlich belastendes Ereignis. Die Folge für die Mitarbeitenden, die von einer Kündi-gung verschont blieben, ist ein Gefühlschaos, das zu Veränderungen ihrer Einstellung und ihres Verhaltens führt (siehe Tabelle 1). Die Lösung des Problems liegt darin, sich bei einem Per-sonalabbau um beide Gruppen zu kümmern: die Entlassenen und die Überlebenden.
Ebene 1: Die Verantwortung der Führungskräfte – mit den Überlebenden «richtig» umgehen.
Die Führungskraft muss sich einerseits im Klaren sein, dass immer eine Reaktion der Überlebenden auf die ausgesprochenen Kündigungen folgt und dies einen unmittelbaren Leistungsabfall nach sich zieht. Anderseits muss sie sich bewusst sein, dass, je besser diese Veränderung vorbereitet und begleitet wird, desto schneller die Über-lebenden auf ihr ursprüngliches Produk-tivitäts-niveau zurückkehren werden (siehe Abbildung).
Dabei kommt es auf den richtigen Umgang mit den Überlebenden an. Die Herausforderung für die Führungskraft ist eine konsequente, situative Führung. Hierfür muss sie ein klares Bild haben, in welcher Phase der Veränderungskurve sich der Einzelne bzw. die Gruppe befindet. Je nachdem, wo dieser bzw. diese steht, muss die Führungskraft andere Führungsaufgaben (und eben deshalb einen situativen Führungsstil) umsetzen – sei dies kommunizieren, zuhören, führen, einbinden oder coachen. In der Regel befinden sich Überlebende in den ersten drei Phasen einer Veränderungskurve, und somit beschränken sich die Führungsaufgaben auf die drei erstgenannten. Aber aufgepasst: Auch hier lauern Gefahren (siehe Tabelle 2) …
Ebene 2: Die Verantwortung der Überlebenden – Resilienz entwickeln.
Jeder von uns kennt Menschen, die Zeiten grosser Belastung erfolgreich gemeistert oder unerwartete Veränderungen in ihrem Leben positiv genutzt haben. Diese Menschen verfügen über ein hohes Mass an Resilienz – was so viel bedeutet wie eine innere Stärke. Resiliente Menschen können in schwierigen Situationen innere Schutzmechanismen aktivieren und so Krisen ohne lang anhaltende Beeinträchtigung durchstehen.
Resilienz wird für die Überlebenden zu einer wichtigen Fähigkeit, um in einer Phase der Veränderung stark zu bleiben. Es hilft, wenn auch die Überlebenden wissen, wo sie sich auf der Veränderungskurve befinden. Denn auch hier heisst es für die Überlebenden: Je nachdem, wo ich stehe, muss ich andere Fähigkeiten entwickeln.
Resiliente Menschen verfügen über deren vier: erstens die eigenen Stärken zu erkennen, zweitens das Umfeld zu verstehen und drittens sich die Unterstützung anderer zu sichern. Die vierte entscheidende Fähigkeit ist, die eigene Handlungskompetenz zu erweitern und zu nutzen; das heisst, die persönliche Situation aktiv zu gestalten und sich nicht als Marionette des Schicksals zu verstehen (siehe Tabelle 3).
Ebene 3: Die Verantwortung des Topmanagements – zu viel zu kommunizieren, ist unmöglich.
Es ist heute unabdingbar, dass ein Personalabbau entsprechend begleitet wird. Ein erfolgreiches Change Management beinhaltet neben der Diagnose der Veränderungsabsicht das Entwickeln der Veränderungsstrategie, das eigentliche (Change) Management und das Controlling der Veränderung.
Die Kommunikation muss lebendig sein und wieder für Aktivität, Motivation und Loyalität sorgen. Zudem soll die Kommunika-tion möglichst frühzeitig, offen, lückenlos, wahrheitsgetreu, transparent, für alle verständlich und am besten vom Vorgesetzten direkt an die ihm unterstellten Mitarbeitenden erfolgen.
Fazit – dank Betreuung geringerer Produktionsausfall
Zusammenfassend geht es während eines Personalabbaus nicht nur um die Betreuung der Entlassenen, sondern vielmehr auch um eine mustergültige Vorbereitung und Planung der Restrukturierung, um eine anschliessende kontinuierliche Begleitung (Change Management) und um eine intensive Betreuung der verbleibenden Arbeitskräfte und deren Schutz vor der «Layoff Survivor Sickness» – mit dem Resultat eines massiv geringeren Produktivitätsausfalls.