HR Today Nr. 2/2023: Abwerbung

Talent-Diebstahl?

Es enttäuscht, wenn engagierte und talentierte Mitarbeitende ihre Kündigung einreichen. Insbesondere, wenn sie von einem Konkurrenten abgeworben wurden. Diese Rekrutierungstaktik ist jedoch weit verbreitet.

Mit Active Sourcing ist es in den sozialen Netzwerken, allen voran LinkedIn, einfacher denn je, Mitarbeitende bei der ­Konkurrenz ausfindig zu machen, Talent Pools zu bilden, Vertrauen zur Zielgruppe aufzubauen und die Aufmerksamkeit für das Unternehmen erhöhen.

Es gibt jedoch Unternehmen, die es als unangemessen oder unethisch betrachten, Mitarbeitende der Konkurrenz anzusprechen. Manche bevorzugen eine subtilere Herangehensweise, indem sie Recruiting Marketing Aktivitäten nutzen, welche die Aufmerksamkeit potenzieller Bewerbenden auf sich zu ziehen und das Unternehmen indirekt als attraktiven Arbeitgeber darstellen. Solange die Ansprache nicht auf Übertreibungen oder Unwahrheiten basiert und realistische Erwartungen setzt, ist eine Direktansprache ethisch vertretbar, da ja der Mitarbeitende von sich aus Interesse zeigt. Es spielt dabei keine Rolle, ob das Abwerben durch einen Recruiter oder eine Mitarbeiterempfehlung erfolgt. Doch die Art und Weise, wie jemand angesprochen wird, kann die gesamte Situation verändern.

Fallen bei einem Stellenwechsel etwa vertrauliche Informationen in die Hände von Konkurrenten, ist das für Firmen, deren Mitarbeitende abgeworben werden, problematisch. Deshalb verlangen viele zum Schutz ihrer Geschäftsgeheimnisse, dass Mitarbeitende ein Wettbewerbsverbot unterzeichnen. Dabei handelt es sich um arbeitsrechtsrechtliche Verträge, die es Beschäftigten untersagen, während einer bestimmten Zeit nach der Kündigung in einem ähnlichen Unternehmen zu arbeiten. Recruiter müssen über solche Wettbewerbsverbote informiert sein, da bei einem Verstoss empfindliche finanzielle Konsequenzen drohen. Bevor Kandidaten der Konkurrenz eingestellt werden, sollten sie sich deshalb von der Rechtsabteilung beraten lassen.

Abwerbungsvorteile aus Kandidatensicht

Mitarbeitende, die von anderen Unternehmen angesprochen werden, erhalten oft bessere Gehälter und Benefits. Ein Wechsel in ein neues Unternehmen bietet ihnen zudem Karrieremöglichkeiten und Herausforderungen, die sie beim aktuellen Arbeitgebenden nicht haben. Wer beruflichen stagniert, kann in einer neuen Position in einem anderen Unternehmen somit neue Inspiration und Motivation finden. Um eine Abwanderung zu verhindern, sollten sich Unternehmen deshalb bemühen, eine positive Arbeitsumgebung zu schaffen und die Entwicklung sowie das Wohlbefinden der Mitarbeitenden fördern. Auch eine starke Unternehmensidentität, die den Mitarbeitenden die Ziele und Visionen des Unternehmens vermittelt, erhöht die Bindung an das Unternehmen. In diesen Kontext passt das Zitat von Richard Branson: «Bilde die Leute gut genug aus, damit sie gehen können, und behandle sie gut genug, damit sie nicht wollen.»

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Ich wurde vor ungefähr zwei Wochen von jemandem ­«abgeworben». Grundsätzlich freuen mich solche Anfragen, sofern sie in meinem Wunschbereich liegen, interessant und spannend sowie innovativ daherkommen. Bisher habe ich erst einmal ein solches Angebot angenommen und das ist schon einige Jahre her. Damals kündigte ich meinen Job für eine neue Position, die mir von einem Headhunter auf Linkedin angeboten wurde. In meinem jetzigen Job bin ich aber sehr glücklich. Das Team stimmt und die Beziehung zu meinem Vorgesetzten schätze ich sehr. Wäre das nicht der Fall, hätte es ein potenzieller Abwerber einfacher, mich von seinem Angebot zu überzeugen.

– Christina Haag, Mandat Manager Technopark Winterthur AG

zitatErhalte ich Anfragen, muss ich schmunzeln, denn irgendwie fühle ich mich dadurch auch geehrt. Für mich zählen das Team und der Sinn in der Arbeit jedoch mehr als grossartige Versprechen. Arbeitgeber sollten sich bewusst sein, dass wir uns in einer schnelllebigen und anspruchsvollen Arbeit­nehmerwelt bewegen. Daher ist es umso wichtiger, so nahe wie möglich bei den Mitarbeitenden zu sein, sie zu fördern und ihnen Vertrauen zu schenken. Bei Viavanta leben wir eine familiäre, wertschätzende, vertrauensvolle und flexible Unternehmenskultur. Solange das so ist und ich den Tag lieber im Büro verbringe als im Homeoffice, gibt es keinen Grund, ein anderes Angebot anzunehmen.

– Filipa Nobre, Projektleiterin, Recruiterin, Viavanta

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Weiji Stocker

Weiji Stocker ist Recruiting Expertin und Inhaberin der Firma Recruitment Process GmbH.

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