Talent Management

Talent-Pools: Jetzt zählt nicht mehr 
die Position, sondern die Funktion

Hierarchische Nachfolgemodelle sind out. Unternehmen, die langfristig genügend Leute für Schlüsselpositionen 
aufbauen wollen, setzen auf Nachfolgepools. Das motiviert die Mitarbeitenden und bringt Gewinn für die Unternehmen. Allerdings braucht es dazu nicht nur 
saubere Prozesse, sondern auch eine 
genaue Validierung.

Was passiert, wenn ein Mitarbeiter in einer kritischen Position morgen nicht mehr am Arbeitsplatz auftaucht? Mit dieser Frage setzen sich Unternehmen seit jeher auseinander – insofern ist Nachfolgeplanung nichts Neues. Um bestehende Positionen abzusichern, müssen potenzielle Nachfolger benannt werden.

Dies geschah bisher eher fokussiert auf einzelne Positionen. In der Regel benennen Vorgesetzte einen Nachfolger aus unteren Hierarchieebenen. «Dies ist die einfachste Form der Nachfolgeplanung und völlig legitim, wenn es um eine kurzfristige Risikoabsicherung geht», erklärt Kai Anderson, Partner beim HR-Beratungsunternehmen Promerit. Aus dieser Denkweise seien in den 1980er-Jahren die hierarchischen Nachfolgemodelle entstanden. Mittlerweile hat sich aber bei vielen Unternehmen die Erkenntnis durchgesetzt, dass ein solches Konstrukt nicht ausreicht. Immer wieder, so Anderson, komme es vor, dass ganze Teams abwandern. Fallen mehrere Mitarbeiter auf gleicher Ebene aus, gerate das ganze Gebilde ins Wanken. Die herkömmliche Nachfolgeplanung sei zu statisch und berücksichtige die Dynamik in Unternehmen nicht, die vor allem im Bereich von Schlüsselfunktionen stattfinde.

Reservoir an Potenzialkandidaten

«Trotz aller Gleichheitsgrundsätze gibt es Funktionen in Unternehmen, die zum Erreichen der Unternehmensziele relevanter sind als andere», sagt Anderson. Dies sind nicht nur Führungskräfte, sondern auch Spezialisten. Im Bereich der Automobil- oder Textilindustrie sind es beispielsweise die Designer und in einer Warenhauskette nicht nur die Direktoren der Warenhäuser, sondern auch die Einkäufer, die sich mit den Kollektionen der Hersteller und den Markttrends genau auskennen. 

«‹Also Müller, wenn Sie sich ein bisschen anstrengen, bekommen Sie in drei Jahren meinen Job.› Diese Art von Nachfolge- und Karriereplanung war nie wirklich erfolgreich», so Anderson. Die Auswahl von Nachfolgekandidaten könnten auch die wenigsten Führungskräfte wirklich treffen. «Und es ist auch nicht ihre Aufgabe. Die sollen zwar mitreden, aber primär ist hier HR gefragt.»

Die ergänzende Lösung sind Nachfolgepools. Es wird ein Reservoir an Potenzialkandidaten aufgebaut, nicht mehr für eine einzelne Position, sondern für einen bestimmten Funktionsbereich. «Dies erachten wir über alle Personalinstrumente hinweg als notwendig», erklärt Anderson. Es gehe nicht mehr nur darum, die einzelne Position des Verkäufers «Schneider» abzusichern. Es sei dagegen sicherzustellen, so Anderson, dass Unternehmen kurz-, mittel- und langfristig in der Besetzung dieser Position ein gewisses Reaktionspotenzial haben. «Der Anspruch, der sich daraus ergibt, ist, dass beide Bereiche, Nachfolgeplanung und Entwicklungsplanung, zusammen funktionieren müssen.»

In der Praxis bedeutet dies für die Karriereplanung des einzelnen Mitarbeiters, dass er nicht mehr auf den Goodwill des Vorgesetzten angewiesen ist, der ihn vielleicht zu seinem Stellvertreter oder Nachfolger macht, sondern, dass letztlich die Kompetenzen entscheidend sind. Objektive Kriterien stehen hier im Vordergrund und begegnen der Tendenz mancher Vorgesetzten, Nachfolger nach dem «Nasenfaktor» zu bestimmen. Das bringt dem einzelnen Mitarbeiter, aber auch dem Unternehmen entscheidende Vorteile.

Der Kulturwandel bei Manor

«Wir können unseren Mitarbeitern konkrete Karriere- und Entwicklungsperspektiven bieten», erklärt Daniel Vogel, Leiter Talent Management der Schweizer Warenhauskette Manor. Das Unternehmen hat bereits Ende 2006 damit begonnen, Nachfolgepools aufzubauen. Zunächst wurden erfolgskritische Funktionen im Unternehmen identifiziert. Das seien, so Vogel, neben allen Geschäftsleitungspositionen in den Warenhäusern die Direktionen, die Supermarktleiter und die Dekorationsverantwortlichen, in der zentralen Warenbeschaffung die Einkäufer und Einkaufsleiter. «Diese Schlüsselfunktionen lassen sich extern schwer besetzen und die interne Besetzung gestaltet sich schwierig, weil es lange Vorlaufzeit braucht, geeignete Kandidaten für Schlüsselfunktionen vorzubereiten.» 

Die Aufgabe von Talent Management besteht unter anderem darin, High Potentials zu identifizieren, die Nachfolgeplanungen zu systematisieren und die Förderprozesse neu auszurichten. Ausserdem wurde die Personalentwicklung verstärkt. Manor beschäftigt in der Schweiz rund 11800 Mitarbeiter. Darunter wurden rund 300 Mitarbeiter in Schlüsselfunktionen definiert. «Für jede Funktion haben wir uns die Frage gestellt: Wer verfügt über das Potenzial, um zusätzliche Verantwortung übernehmen zu können, und wie müssen wir diese Personen fördern, damit sie in absehbarer Zeit fit genug sind, die entsprechende Position übernehmen zu können? So ist unser Nachfolgepool mit möglichen Nachfolgern für die Schlüsselfunktionen entstanden.»

Während früher die Nachfolge in erster Linie dem Vorgesetzten überlassen wurde, hat man heute bei Manor einen funktions- und bereichsübergreifenden Überblick über die Talente von morgen. «Mit dem Nachfolgepool sind wir in der Lage, uns stärker als früher auf die High Potentials zu fokussieren. Und wir können mit diesem Prinzip die Nachfolge auf der Stufe Generaldirektion genauso regeln wie auf der Stufe Einkäufer oder Einkaufsleiter. In der ersten Phase der Umsetzung gab es schon hier und da Bedenken, dass womöglich gute Leute aus Abteilungen abgezogen werden. Mittlerweile haben die Linienvorgesetzten aber auch realisiert, dass eine Win-win-Situation entsteht», erklärt Vogel. Mit der neuen Ausrichtung der Nachfolgeplanung habe ein wirklicher Kulturwandel stattgefunden. «Wir bieten guten Leuten attraktive Perspektiven. Und wir können mittlerweile Schlüsselfunktionen erfolgreich intern besetzen.»

Beitrag zum Unternehmenserfolg

Der grosse Vorteil von Nachfolgepools liegt laut Anderson darin, Schlüsselfunktionen nachhaltig mit Leistungsträgern besetzen zu können. Für Kandidaten sei sowohl die klare Perspektive ein echter Gewinn als auch das erklärte Vertrauen, ein Nachfolgekandidat zu sein, ein wichtiger Motivationsanreiz. Damit das System Nachfolgepool auch wirklich funktioniert, brauche es aber auch eine Validierung. Es reiche schliesslich nicht, jemandem die Nachfolge zuzutrauen, er müsse auch unter Beweis stellen, dass er es kann. Die Kandidaten bekämen nach und nach erweiterte Aufgaben, wie strategische Projekte und – je nach angestrebter Position – ein Mentoring von oberer Stelle. Sie werden gecoacht und betreut. Das mache wieder deutlich, wie sehr Entwicklungsmassnahmen im Sinne der Karriereplanung und der Nachfolgeplanung ineinander greifen müssen. Ein gut gefüllter Pool enthält auch Kandidaten, die quasi auf dem Sprung sind und in der Lage, kurzfristig eine Hierarchiestufe nach oben zu gehen.

Um einen wirksamen Nachfolgepool aufzubauen, sollten Unternehmen drei bis fünf Jahre einplanen. Da aber in vielen Organisationen bereits einige Grundlagen vorhanden sind, wie eine Personal- oder eine Entwicklungsplanung, sei man auch nach kürzerer Zeit bereits schon handlungsfähig, erklärt HR-Berater Anderson. Innerhalb von sechs bis neun Monaten könne man für spezielle Zielgruppen bereits Erhebungen machen und beginnen, aktiv potenzielle Nachfolgekandidaten intern und extern zu identifizieren.

Wenn HR in der Lage ist, Schlüsselpositionen besser zu besetzen, kann es einen signifikanten Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten. «Dieser Effekt ist messbar», sagt Anderson. «Die richtige Person am richtigen Platz», diese Erfolgsformel ist nicht neu. Mit Nachfolgepools können Unternehmen den zunehmenden Herausforderungen Fachkräftemangel, Diversity und demografischer Wandel begegnen.

Vorteile von Nachfolgepools

  • Kurz-, mittel- und langfristiges Reaktionspotenzial
  • Verringerte Strukturrisiken
  • Garantie, dass Schlüsselpositionen mit Leistungsträgern besetzt werden
  • Objektive Kriterien bei der Kandidatenauswahl
  • Höhere Transparenz und Fairness bei der Stellenbesetzung
  • Klare Karriere- und Entwicklungsperspektiven für die Mitarbeiter

 

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