Diversity

Teilzeit für Männer wird salonfähig

Viele Männer möchten es, aber nur wenige tun es: Teilzeit arbeiten. Die Kampagne «Der Teilzeitmann» will den Graben zwischen Wunsch und Wirklichkeit zuschütten: Männer, Unternehmen und Verwaltungen sollen zu Teilzeitarbeit motiviert werden. Nun machen auch Politik und Fachleute Druck.

Das Thema Männer und Teilzeitarbeit drängt, findet FDP-Präsident Philipp Müller. Kürzlich forderte er medial: «Die Unternehmen müssen endlich mehr Teilzeitstellen für Männer und bei Führungspositionen anbieten.» Wenn Männer Teilzeit arbeiten könnten, kehrten auch ihre häufig sehr gut ausgebildeten Frauen ins Arbeitsleben zurück. «Diese Leute brauchen wir dringend», sagt er. Jetzt will Müller im FDP-Generalsekretariat einen Massnahmenkatalog erarbeiten und prüfen lassen, welche Gesetzesänderungen nötig sind.

Und Matthias Mölleney, Präsident der Zürcher Gesellschaft für Personalmanagement und Ex-Swissair-Personalchef, fordert über die Medien: «Personalverantwortliche sollten Kindererziehung und Familienarbeit künftig als Qualifikation anerkennen.» Dies sei heute in den meisten Personalabteilungen leider noch nicht der Fall.

Teilzeitarbeit lohnt sich

Bereits vor zwei Jahren liess eine repräsentative Untersuchung im Kanton St. Gallen aufhorchen. Rund 90 Prozent der befragten Männer gaben an, ihr Arbeitspensum reduzieren zu wollen. Konkret arbeiten in der Schweiz aber nur 13 Prozent aller Männer und 8 Prozent der Väter von kleinen Kindern Teilzeit. Dieses Arbeitsmodell wirkt sich jedoch nicht nur positiv auf die Lebensqualität von Mitarbeitenden aus, sondern kommt auch den Arbeitgebern zugute. Studien zeigen, dass Teilzeitarbeit betriebswirtschaftlich rentabel ist: Sie weisen eine bemerkenswerte Rendite von 8 Prozent aus.

Eine andere Untersuchung spricht von einer 17 Prozent höheren Produktivität und von einer 16 Prozent tieferen Fehlzeitenquote von Teilzeitmitarbeitenden. Sybille Sachs, Professorin an der Hochschule für Wirtschaft Zürich, sagt: «Angestellte, die Teilzeit arbeiten können, sind motivierter und effizienter im Job. Und sie gehen nicht nur in der Freizeit zum Arzt, sondern sind effektiv auch weniger krank.»

Natürlich birgt Teilzeitarbeit auch Nachteile in sich. So steigen die Lohnnebenkosten und der administrative Aufwand, und es ist etwas mehr Koordination unter den Mitarbeitenden nötig. Erfahrungen von Fachleuten zeigen jedoch, dass gute Stellvertreter-Regelungen und sorgfältige Übergaben von Pendenzen diese Nachteile mehr als wettmachen.

Teilzeitkräfte sind kreativer

Das Projekt «Der Teilzeitmann» will die Vorteile von Teilzeit nutzbar machen. Initiant und Co-Projektleiter Andy Keel unterstreicht: «Es liegt sowohl an den Arbeitnehmenden als auch an den Arbeitgebern, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das für beide Parteien gewinnbringend ist. Als Unternehmer erlebe ich Teilzeitkräfte ganz klar als kreativer und ausgeglichener.»

Während dieses Jahres besucht «Der Teilzeitmann» mit sechs männlichen Testimonials Unternehmen, Verwaltungen und Verbände in der Deutschschweiz. Auf Stellwänden zeigen Bilder mit Zitaten der Vorbildmänner, weshalb sie Teilzeit arbeiten und welche Erfahrungen sie mit reduziertem Pensum gemacht haben. Die Männer treten mit Witz und Stil auf. Das «T» ist angelehnt an das «S» des Superman und steht als Symbol dafür, wie die Männer Widerstände auf dem Weg zur Teilzeit überwunden haben. An einer Mittagsveranstaltung erfahren die Mitarbeiter mehr über das Thema. Die Firma kann diesen Vortrag im Intranet platzieren, zusammen mit dem Informationspaket des Projekts. Die Kampagne ist grundsätzlich kostenlos.

Mutig bis zögernd

Dreh- und Angelpunkt von dem «Teilzeitmann» ist die Internetplattform www.teilzeitkarriere.ch. Sie listet alle Teilzeitstellen (rund 8000 pro Tag) auf, die in der Schweiz online angeboten werden. Eingebettet in das Stellenportal ist die Website www.teilzeitmann.ch: Hier erfährt der Interessierte mehr über die Vorbildmänner und findet sowohl Fachartikel als auch ein grosses Einmaleins zum Thema Teilzeit. Träger des Vorhabens ist männer.ch, der Schweizer Dachverband für Männer- und Väterorganisationen. Finanziert wird das Projekt durch das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG).

Seit der Lancierung des Projekts im November sind Tausende von Männern direkt oder indirekt angesprochen worden. Denn inzwischen haben fast alle grösseren elektronischen und gedruckten Medien in der Deutschschweiz das Vorhaben thematisiert. Unter anderem berichtete SRF zweimal in der «Tagesschau»-Hauptausgabe darüber und lancierte im «Club» eine Gesprächsrunde zum Thema; auch sind die beiden Kampagnenleiter Anfang September in der Sendung «Aeschbacher» zu Gast.

Die Wanderkampagne von dem «Teilzeitmann» hat seit Februar bei über 20 Unternehmen, Verwaltungen und Verbänden Halt gemacht mit Mittagsveranstaltungen, Referaten, Podien und Workshops; derzeit geplant sind rund 15 weitere Stationen bis Ende Jahr. Eine Erkenntnis aus den Besuchen ist, dass vor allem grössere Unternehmen und Verwaltungen beim Thema Teilzeit für Männer bereits einen Weg eingeschlagen haben. Bei anderen dauern die ausgelösten internen Prozesse oft Monate. Wiederum andere scheinen Angst vor dem eigenen Erfolg zu haben und zögern.

«Ein eindrückliches Feedback»

Was meinen die Unternehmen selbst? UBS reagierte am schnellsten, zeigte die Infoveranstaltung an drei Standorten, zum Beispiel in Altstetten ZH. Stefan Ochsenbein, Head HR Business Partner GT Region Switzerland, sagt: «Das Interesse am Anlass war sehr gross, er war innerhalb nur weniger Stunden ausgebucht. Auch das Feedback der Teilnehmer war eindrücklich.»  So gaben 55 Prozent der Teilnehmer an, ihre eigene Situation konkret zu überdenken. 78 Prozent fanden das Thema interessant oder sehr interessant und insgesamt empfanden 93 Prozent den Anlass und die Auseinandersetzung mit dem Thema positiv.

Die Grossbank sprach auch mögliche Probleme im Zusammenhang mit Teilzeitbeschäftigung an. Grösstes Hindernis ist die aktuelle Belastung am Arbeitsplatz (34 Prozent), die eine Reduktion des Beschäftigungsgrades eher nicht zulässt. An zweiter Stelle kommen finanzielle Einbussen (26 Prozent), die nicht kompensiert werden können. Das Unternehmen bietet verschiedene flexible Arbeitszeitmodelle an. «Obwohl kein rechtlicher Anspruch auf Teilzeitarbeit besteht, hat sich UBS zum Ziel gesetzt, Teilzeit zu fördern und entsprechende Gesuche wohlwollend zu prüfen», unterstreicht Ochsenbein. Massgebend seien primär die Kundenbedürfnisse, die individuellen Anforderungen der Stelle sowie die Situation im Team.

Bei UBS in der Schweiz arbeiten heute 19 Prozent aller Mitarbeitenden Teilzeit. Von den rund 14 000 Männern beim Unternehmen in der Schweiz haben sich 8 Prozent für dieses Modell entschieden. «UBS begrüsst diesen Trend, da dies Männern und insbesondere Familienvätern ermöglicht, eine aktivere Rolle im Managen von Privatleben und Familien einzunehmen», sagt der Head HR.

Auch leitende Mitarbeiter dabei

Die Novartis in Basel mit rund 8500 Mitarbeitenden zeigte die Mittagsveranstaltung zweimal. Das Unternehmen sei überzeugt, dass sich ein ausgewogenes Privatleben bei den Mitarbeitenden positiv auf deren Produktivität und Innovationsfähigkeit auswirke, erklärt Valerie Guertler, Head Diversity & Inclusion Switzerland. «Die Zusammenarbeit mit dem ‹Teilzeitmann› war eine Gelegenheit für uns, bei den Mitarbeitenden die Aufmerksamkeit für die verfügbaren Optionen wie Teilzeitarbeit, Telework und Jobsharing zu schärfen, speziell bei den Männern», sagt sie.

Im Grossunternehmen und vorab bei den männlichen Mitarbeitenden soll eine Diskussion in Gang gebracht werden, weshalb Teilzeit eine gute Sache ist; gleichzeitig sollen auch Hindernisse sowohl für die Angestellten als auch für die Firma thematisiert werden. «Die Rückmeldungen sind motivierend», stellt Guertler fest. Dass auch männliche leitende Angestellte am Anlass dabei waren, habe ebenfalls für ein positives Signal gesorgt.

Vollzeitstellen im 80-Prozent-Pensum

Yvonne Seitz, Head Diversity bei AXA Winterthur: «Der Anlass der Wanderkampagne ‹Der Teilzeitmann› verdeutlichte, wie wichtig es ist, dass unsere Geschäftsleitung dem Thema flexible Arbeitsmodelle grosse Bedeutung zumisst. Und zwar sowohl für Frauen und Männer.» Zudem brauche es interne Vorbilder diverser Hierarchiestufen, die mit ihrem Beispiel vorangehen und anderen Mut machen würden. «Zum Beispiel der AXA-Mitarbeiter, der, nachdem er sein Arbeitspensum reduziert hatte, zum Senior Manager befördert wurde. Oder der Familienvater, der nach der Geburt seines Sohnes auch noch mit 30 Prozent Arbeitspensum als wertvoller Mitarbeitender angesehen wird und dessen Frau gleichzeitig eine Führungsposition annehmen konnte», erzählt Seitz.

Heute sind beim Versicherer rund 300 männliche Mitarbeitende mit einem Teilzeitpensum beschäftigt, das sind 40 Prozent mehr als vor fünf Jahren. Das Unternehmen schreibt zudem neu alle Vollzeitstellen konsequent mit einem 80- bis 100-Prozent-Pensum aus.

Ein Zeichen aus der Führungsetage

Auch die Zürcher Kantonalbank macht ihren rund 5000 Mitarbeitenden Mut zu Teilzeit. Die Bank fördere Teilzeit als Möglichkeit, Beruf und Familie zu vereinbaren, sagt Personalchef René Hoppeler: «Flexible Arbeitszeiten, mobile Arbeitsplätze, Jobsharing und Haushaltsunterstützung – die ganze Palette wird gewünscht und wir versuchen, ein attraktiver Arbeitgeber zu sein.» Grundsätzlich ist Teilzeit bei der ZKB auf allen Stufen möglich. Um dies zu beweisen, entschied sich der 60-jährige Kadermann für ein persönliches Experiment. Er wollte Teilzeit in der Führungsetage vorleben: «Ich möchte selber ein Zeichen setzen und zeigen, dass Teilzeitmodelle auch auf der Führungsebene praktikabel sind.»

Das Reglement der Bank schreibt vor, dass das Pensum auf dieser Führungsstufe mindestens 80 Prozent sein muss. Seit gut einem Jahr hat Hoppeler nun 15 Wochen pro Jahr mehr Ferien. Der Ferienplan ist mit dem Takt des Unternehmens abgestimmt, so dass er bei wichtigen Sitzungen und Prozessen anwesend ist. Trotzdem sei auch die Regelung der Stellvertretung zentral, betont er.

Diese Beispiele zeigen: Teilzeitarbeit für Männer ist auf dem besten Weg, in der Schweiz salonfähig zu werden. Das Projekt «Der Teilzeitmann» ist befristet bis Ende Jahr. Derzeit läuft beim Bund ein Antrag auf Verlängerung bis Ende 2014. Denn das Thema drängt.

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Jürg Wiler ist Leiter der Kampagne 
«Teilzeitmann» Schweiz.

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