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Temporärarbeit in der EU 
und der Schweiz

Temporärarbeit und kollektive
Vertragsverhandlungen in Europa(1)

Die Temporärarbeit ist in den meisten EU-Mitgliedstaaten eine bedeutende Arbeitsform und beschäftigt eine grosse Zahl von Arbeitnehmern, vor allem aber in Belgien, Frankreich, Deutschland, Italien, Holland, Spanien und Grossbritannien. Diese Branche verzeichnet ein schnelles Wachstum in Bezug auf die Anzahl der temporär beschäftigten Arbeitnehmenden und den Branchenumsatz.

Einerseits wird das Wachstum der Temporärarbeit durch die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsprozess begünstigt, aber auch durch die Zunahme von Arbeitskräften, welche auf die Temporärarbeit angewiesen sind oder diese Beschäftigungsform einfach bevorzugen. Andererseits ermöglicht die Temporärarbeit den Einsatzbetrieben, die Mitarbeiterzahlen relativ einfach den entsprechenden Marktbedürfnissen anzupassen und durch die Auslagerung von Rekrutierungs- und Administrationsaufgaben an die Verleihbetriebe Kosten zu sparen. Die Temporärarbeit wird vielfach in Branchen genutzt, die saisonalen Schwankungen unterliegen, aber auch um Mitarbeiterabsenzen – oft unvorhergesehene wie Krankheit, Unfall und Ähnliches – auffangen zu können.

Die einzelnen EU-Mitgliedstaaten unterscheiden sich klar in der Struktur der Temporärbranche und in der Art, wie sie Temporärarbeit nutzen. Die Unterschiede liegen auf der einen Seite im Gleichgewicht zwischen grossen und kleinen Temporärfirmen: In einigen Staaten besteht ein hochkonzentrierter Temporärarbeitsmarkt, der vorwiegend von den grossen multinationalen Firmen beherrscht wird.

Auf der anderen Seite bestehen in den einzelnen Staaten Abweichungen hinsichtlich der Branchen, in denen Temporärarbeit vorkommt. Die offensichtlichsten Unterschiede sind dabei die Art und der Inhalt der Regulierung: Die Temporärarbeit ist weitgehend eine Branche, die aufgrund einer Kombination von Gesetzgebung, Gesamtarbeitsverträgen und Instrumenten zur Selbstregulierung auf nationaler Ebene eine hohe Regulierungsdichte aufweist. Die EU-Mitgliedstaaten kennen unterschiedliche Traditionen in der Arbeitsmarktregulierung und verwenden verschiedene Regelungen, um ein Gleichgewicht zwischen Arbeitsmarktflexibilität und -sicherheit zu gewährleisten. In den meisten Fällen sind es rechtliche Bestimmungen, welche die Temporärarbeit regulieren und durchsetzen. Trotzdem sind kollektive Vertragsverhandlungen ein wichtiges regulatorisches Instrument in den «alten» EU-Mitgliedstaaten (EU15); mit Ausnahme von Grossbritannien kennen die meisten kollektive Vertragsverhandlungen im Bereich der Temporärarbeit. Im Gegensatz dazu verfügen die «neuen» EU-Mitgliedstaaten (N-EU) praktisch über keine gesamtarbeitsvertraglichen Bestimmungen, welche die Temporärarbeit regulieren; einige davon haben jedoch in den vergangenen Jahren relativ strenge rechtliche Rahmenbedingungen eingeführt.

In den meisten EU-Mitgliedstaaten gibt es entweder Berufsverbände, welche die Temporärarbeit fördern und auch selber regulieren, oder es gibt Arbeitgeberorganisationen (total deren elf), die sich zusätzlich an kollektiven Vertragsverhandlungen beteiligen. Im Gegensatz dazu sind gewerkschaftliche Organisationen in den Mitgliedstaaten weniger ausgeprägt: Lediglich in Frankreich, Griechenland und Italien existieren Gewerkschaften, die auf die Temporärarbeit ausgerichtet sind. Zehn EU-Mitgliedstaaten konnten Schätzungen über die Gewerkschaftsdichte in der Temporärarbeit abgeben, die Hälfte dieser Staaten wies eine eher tiefe bis mittlere Dichte aus. Besonders in den N-EU sind die Gewerkschaften wenig verbreitet. Fast alle EU-Mitgliedstaaten kennen Equal-Pay-Bestimmungen, die den gleichen Lohn für Festangestellte und temporär Beschäftigte durch gesetzliche und/oder kollektive Vereinbarungen regeln. Die Regulierungen betreffen vorwiegend folgende Bereiche:

  • die Gründe und Umstände, unter welchen Einsatzbetriebe auf Temporärarbeit zurückgreifen können;
  • die Beschränkung des verhältnismässigen Anteils von Temporärarbeitenden an der
 Gesamtbelegschaft in einem Betrieb;
  • 
das Verbot von Temporärarbeit in gewissen Branchen oder Berufsgruppen;
  • 
die Einschränkung von Temporäreinsätzen in zeitlicher Hinsicht oder bezüglich ihrerAnzahl.

Temporärarbeit in der Schweiz

Im europäischen Vergleich ist die Schweizer Gesetzgebung in Bezug auf die Regulierung der Temporärbranche relativ liberal. Die meis-ten der alten EU-Länder kennen Vorschriften zugunsten der Gleichbehandlung von temporärem und fest angestelltem Personal. Die Schweiz kennt ebenfalls solche Vorschriften, allerdings auf Stufe von allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträgen. Viele EU-Mitgliedstaaten limitieren darüber hinaus die Temporärarbeit, indem sie diese nur für gewisse Branchen, für eine bestimmte Einsatzdauer und aufgrund bestimmter Gründe für die Einstellung von Temporärarbeitskräften vorsehen.

In der Schweiz hat der Bundesrat am 
13. Dezember 2011 den Gesamtarbeitsvertrag für den Personalverleih (GAV Personalverleih) allgemeinverbindlich erklärt. Der GAV Personalverleih ist am 1. Januar 2012 in Kraft getreten und gilt für alle swissstaffing-Mitglieder sowie jene Personalverleihbetriebe in der Schweiz, die über eine eidgenössische oder kantonale Arbeitsverleihbewilligung verfügen, bei der Suva versichert sind und bezüglich der verliehenen Arbeitnehmenden pro Kalenderjahr dauerhaft eine Lohnsumme von  1 200 000 Franken aufweisen.

Mit dem GAV Personalverleih hat sich eine wesentliche Neuerung ergeben: In den Bereichen des Weiterbildungs- und Vollzugsbeitrags, der beruflichen Vorsorge sowie des Krankentaggelds gilt nämlich für alle unterstellten Einsatzbetriebe unabhängig von der Branche der GAV Personalverleih (siehe Grafik): Die Vollzugsbeiträge betragen dabei insgesamt 1 Lohnprozent, wovon 0,3 Prozent Arbeitgeber- und 0,7 Prozent Arbeitnehmerbeitrag sind; sie sind neu nur noch an eine Paritätische Berufskommission, nämlich an die Schweizerische Paritätische Kommission Arbeitsverleih (SPKA), zu entrichten. Ebenfalls ein Novum ist die Möglichkeit der temporären Arbeitnehmenden, von einem branchenübergreifenden Weiterbildungsangebot (siehe Details unter www.temptraining.ch) zu profitieren. Denn Temporärarbeitnehmende kommen aus unterschiedlichen Berufen – sei es aus dem Bau, der Gastronomie, der Logis-tik, dem Gesundheitswesen, der Informationstechnologie oder anderen – und suchen für ihre berufliche Zukunft gegebenenfalls Anschluss in einem anderen Beruf.

Der GAV Personalverleih ist auch anwendbar, wenn für einen Personalverleiher ein anderer GAV gilt: Im Falle eines allgemeinverbindlich erklärten GAV oder eines GAV im Anhang 1 (zum Beispiel GAV Post, swissport Zürich, swissport Basel, swissport Geneva) übernimmt der GAV Personalverleih deren Bestimmungen über die Mindestlöhne, die Arbeitszeiten, die Ferien, die Feiertage sowie allfällige Bestimmungen über den flexiblen Altersrücktritt (FAR). In der chemisch-pharmazeutischen Industrie, der Maschinen-
industrie, der grafischen Industrie, der Uhrenindustrie, der Nahrungsmittel- und Genussmittelindustrie sowie im öffentlichen Verkehr gilt der GAV Personalverleih ganz, mit Ausnahme der Mindestlohnvorschriften. Die SPKA empfiehlt in diesen Branchen die Einhaltung der orts- und branchenüblichen Löhne.

Im Sinne einer Begleitmassnahme der Personalverleiher im Einführungsjahr des GAV Personalverleih hat swissstaffing von Mai bis September 2012 für Personalverleiher insgesamt 25 GAV-Schulungen durchgeführt, davon 15 in der deutsch- und 10 in der französischsprachigen Schweiz mit einer Teilnehmerzahl von 419 Personen. Dabei wurden vorwiegend praxisbezogene rechtliche Fragen, die sich aus der Anwendung des GAV Personalverleih ergeben, sowie die Anwendung von tempdata, der GAV-Datenbank, behandelt (siehe www.tempdata.ch). Die Rückmeldungen der geschulten Personalverleiher waren positiv, und die zahlreichen konstruktiven Diskussionen mit den branchenerfahrenen Teilnehmern unterstützen swissstaffing dabei, die Bedürfnisse und Interessen der Personalverleiher in der Sozialpartnerschaft und gegenüber den Behörden noch gezielter vertreten zu können.

  • (1) 
European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions (Hrsg.), Temporary agency work and collective bargaining in the EU, Executive summary,
www.ciett.org
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Arie Joehro ist ­Vizedirektor & Leiter Rechtsdienst bei swissstaffing.

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