Arbeitszeitmodelle

Ticken wir noch richtig?

Von Mitarbeitenden Vollzeitarbeit zu verlangen, ist heute nicht mehr zeitgemäss. Wollen Unternehmen auf dem Arbeitsmarkt attraktiv sein, müssen sie flexible Modelle ­anbieten und auf die individuellen Bedürfnisse Rücksicht nehmen. Die Folge: motiviertere Mitarbeiter, die mehr leisten.

Vollzeit, Teilzeit, Jahresarbeitszeit oder Jobsharing – die Vielfalt an Arbeitszeitmodellen ist enorm. In vielen Firmen herrscht nicht einfach ein Modell vor, sondern verschiedene Formen werden kombiniert. Einige Modelle wie Teil- oder Vollzeit sind weitverbreitet und allgemein bekannt, andere, wie etwa die Lebensarbeitszeit, kommen nur in wenigen Unternehmen zur Anwendung. In Zeiten von Fachkräftemangel, modernen Technologien und gewandelten Bedürfnissen ist vor allem eines wichtig: Flexibilität.

Während Arbeitnehmer an flexiblen Modellen interessiert sind, wäre es vielen Arbeitgebern dagegen am liebsten, ihre Mitarbeiter würden 100 Prozent arbeiten und möglichst lange im Unternehmen bleiben – zumindest Fachkräfte mit spezifischem Wissen. «Arbeitgeber interessiert, welches Modell die höchste Produktivität mit sich bringt, und welches das höchste Commitment», sagt Adrian Blum, Mitglied der Geschäftsleitung der Personalforschungsfirma Empiricon und Experte für Arbeitszeitmodelle. «Arbeitnehmer dagegen fordern Flexibilität und wollen Beruf und Karriere mit ihrem Privatleben in Einklang bringen.»

Bei den Unternehmen finde langsam ein Umdenken statt, stellt Sybille Sachs, Leiterin des Instituts für Strategisches Management / Stakeholder View an der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich, fest. Lange stand die Leistungskompetenz im Vordergrund, jetzt wird vermehrt die Erholungskompetenz wichtig. Lange verlangten Arbeitgeber von ihren Mitarbeitenden Präsenz, jetzt setzen sich langsam flexible Modelle durch. Denn einseitiger Präsentismus führt häufig zu Demotivation, Ineffizienz und Absentismus und verursacht hohe Kosten, sowohl für die Firmen als auch für die Volkswirtschaft. Heute wollen sich Firmen vermehrt als attraktive Arbeitgeber präsentieren. Zudem erkennen sie, dass ausserberufliches Engagement zusätzliche wertvolle Kompetenzen generiert. Somit kommen Arbeitgeber zunehmend dem Wunsch der Arbeitnehmer nach mehr Flexibilität und Eigenverantwortung entgegen. Damit nimmt auch die Bedeutung von Vertrauensarbeitszeit zu. «Diese Flexibilität führt jedoch dazu, dass die Leute eher länger arbeiten und es zu einer heiklen Vermischung von Arbeit und Freizeit kommt», warnt Sybille Sachs.

Modell den Bedürfnissen anpassen

Doch nicht nur die Bedürfnisse von Arbeitgebern und Arbeitnehmern sind verschieden; auch die unterschiedlichen Generationen haben unterschiedliche Präferenzen. Ältere sind an gleitender Pensionierung und zusätzlichen Ferientagen interessiert. Die mittlere Generation liebäugelt mit Teilzeitarbeit und Sabbaticals. Auch die unter 35-Jährigen wollen Teilzeit arbeiten und erwarten dabei flexible Arbeitsmöglichkeiten wie Home Office. Ihnen geht es auch um Nachhaltigkeit und Selbstverwirklichung. Dafür sind sie bereit, vollen Einsatz zu leisten. «Die Bedürfnisse ändern sich je nach Lebenssituation. Chefs sollten ihren Angestellten Mitsprache und Mitgestaltung ermöglichen», fordert Blum. Ziel sei, gemeinsam herauszufinden, welche Bedürfnisse vorhanden sind und das dafür geeignete Modell auszuwählen. Denn der Trend bei der Arbeitszeit gehe klar Richtung Individualisierung, Flexibilisierung und Mitgestaltung, betont Blum.

Das Bedürfnis nach Flexibilität steigt aufgrund der demografischen und gesellschaftlichen Veränderungen, die ein neues Phänomen mit sich bringen: Die Menschen werden immer älter und Frauen haben immer später Kinder. Deshalb kommt es häufig zu einer Überschneidung: Nicht nur die Kinder müssen betreut werden, sondern auch Eltern oder andere ältere Angehörige wollen gepflegt werden.

Firmen können es sich heute fast nicht mehr erlauben, starr an einem Modell festzuhalten. Wollen sie auf dem Arbeitsmarkt attraktiv sein und bleiben, brauchen sie verschiedene Modelle. «Bietet ein Unternehmen Teilzeitarbeit oder Sabbaticals an, sind das starke Argumente», sagt Blum. Auch Weiterbildungsmöglichkeiten sind wichtig – und zwar für Vollzeitarbeiter wie auch Teilzeitler, für junge Arbeitnehmer wie auch die Generation X oder ältere Mitarbeiter.

Wollen Firmen ein neues Modell einführen, funktioniert das aber nicht einfach auf Knopfdruck, warnt Blum: «Neue Arbeitszeitmodelle sind kein Selbstläufer. Sie müssen geplant sein und die Führungskräfte müssen darauf vorbereitet werden.» Dafür nötig sei eine Unternehmenskultur, die ein solches Vorhaben auch fördere. Führt eine Firma beispielsweise Teilzeitarbeit ein, kommt den Vorgesetzten eine wichtige Rolle zu, da sie eine Vorbildfunktion haben: Arbeitet der Chef Teilzeit, trauen sich auch die Mitarbeiter eher, ihr Pensum zu reduzieren.

Doch nicht nur die Vorgesetzten spielen eine Rolle, auch das soziale Umfeld, betont Sybille Sachs: «Die Anforderungen der Familie und die Meinungen von Freunden und Arbeitskollegen können einen Einfluss haben, welche Arbeitsform jemand wählt.» Es sei den Menschen nicht gleichgültig, was andere über sie denken, und gerade Teilzeitarbeit von Männern werde oft noch belächelt. Viele Männer hätten zudem Angst vor einem Karriereknick, wenn sie Teilzeit arbeiten. Doch die Akzeptanz steigt, davon ist Sybille Sachs überzeugt. Inzwischen arbeiten 12 Prozent der Männer Teilzeit, wenn auch oft in einem 80- bis 90-Prozent-Pensum. Frauen arbeiten weiterhin mehrheitlich Teilzeit, aber zunehmend in einem Pensum von über 50 Prozent. «Heute haben mehr Frauen ein grösseres Pensum und mehr Männer arbeiten Teilzeit als früher», fasst Sachs zusammen. Ob da ein kausaler Zusammenhang bestehe, sei aber unklar.

Frauen lindern Fachkräftemangel

Die höheren Pensen der Frauen sind für die Unternehmen von Vorteil: Die Frauen können dadurch mehr qualifizierte Arbeit leisten und sind als Fach- und Führungskräfte einsetzbar. «In der Wirtschaft herrscht die Hoffnung, dass sich der Fachkräftemangel durch Frauen ausgleichen lässt, die mehr arbeiten», sagt Sachs. Doch wie kommt es überhaupt dazu, dass Frauen plötzlich mehr arbeiten wollen? «Einerseits haben viele Frauen heute eine bessere Ausbildung, andererseits gibt es auch eine bessere Infrastruktur für die Kinderbetreuung», sagt Sachs. Auch werden immer mehr Ehen geschieden, was bei Frauen den Wunsch nach mehr Eigenständigkeit weckt.

«Unternehmen haben viel Potenzial, wenn sie auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter Rücksicht nehmen», betont Sachs. Und fordert provokativ: «Wir sollten uns mehr Gedanken darüber machen, wie wir Vollzeit legitimieren – statt Teilzeit.» Denn flexible Arbeitszeiten ermöglichten mehr Lebensqualität und das wiederum führt zu einer höheren Motivation bei den Mitarbeitern.

Generell gehe es aber um die Frage: Was brauchen die Unternehmen, was die Mitarbeitenden? Es lasse sich nicht allgemein sagen, dass Vollzeit besser sei als Teilzeit, oder umgekehrt, sagt Sachs. Viele Menschen würden gerne Vollzeit arbeiten. Im Vordergrund stehen deshalb die Bedürfnisse von Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos
Weitere Artikel von Yvonne Bugmann