Interview über Innovation

«Übermorgengestalter sind die treibende Kraft, damit das notwendige Neue entsteht»

Die Zukunft ist jetzt: Es liegt an uns, wie sich Wirtschaft, Gesellschaft und Klima entwickeln. Buchautorin Anne M. Schüller erklärt, wie wir sie angehen und die Transformation im Unternehmen fördern können.

Frau Schüller, Machen Sie sich Sorgen über die Zukunft?

Anne M. Schüller: Persönlich bin ich ein Mensch mit einer sehr positiven Grundhaltung und wachsamem Optimismus. Natürlich befasse ich mich auch mit möglichen Risiken und kalkuliere ihre Tragweite ein. Leichtsinn und Blauäugigkeit wären sehr dumm. Doch mein Hauptaugenmerk liegt auf den Chancen. Optimismus ist lösungsorientiert und sorgt für Gestaltungswillen. Pessimismus hingegen verengt den Blick, überzeichnet Gefahren, glaubt nicht an den Erfolg und lähmt uns. Wer die Zukunft erreichen will, braucht allem voran Optimismus.

Wie charakterisieren Sie die derzeitige Stimmung in unserer Gesellschaft im Kontext von Veränderungsbereitschaft – ist sie eher «heiss» oder «kalt»?

Schüller: Die Unterscheidung zwischen «kalten» und «heissen» Kulturen geht auf den französischen Ethnologen Claude Lévi-Strauss zurück. Ihm zufolge sind «heisse» Gesellschaften durch ein tiefgreifendes Bedürfnis nach Wandel geprägt, weil dies ihnen Fortschritt und damit ein besseres Leben verspricht. In «heissen» Gesellschaften ist der Anteil junger Menschen sehr hoch. Sie starten erst ins Leben und können eine Menge gewinnen. «Kalte Gesellschaften» hingegen haben viel erreicht und somit auch viel zu verlieren. Sie klammern sich an Altbewährtes und hüten ihren Bestand. Neues macht ihnen Angst, Zukunftsangst. Das trifft derzeit wohl recht gut auf weite Teile der DACH-Region und unsere alternde Bevölkerung zu.

Bestsellerautorin und Businesscoach

Anne M. Schüller, Buchautorin und Businesscoach

Anne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenzentrierte Unternehmensführung. Zu diesen Themen hält sie Impulsvorträge auf Tagungen, Fachkongressen und Online-Events. 2015 wurde sie für ihr Lebenswerk in die Hall of Fame der German Speakers Association aufgenommen. Beim Business-Netzwerk Linkedin wurde sie Top-Voice 2017 und 2018. Von Xing wurde sie zum Spitzenwriter 2018 und zum Top Mind 2020 gekürt.

 

Ihr Buch ist in drei Zukunftsfelder unterteilt: Regenerative Nachhaltigkeit, Strukturelle Transformation und Top-Innovationskompetenz. Wie interagieren diese drei Felder in Ihrer Vision der Zukunftswirtschaft und wie sind Prioritäten zu setzen?

Schüller: Ich nenne es die Erfolgstriade der Zukunft. Die drei Handlungsfelder sind eng miteinander verwoben: Um regenerative Nachhaltigkeit zu realisieren, brauchen wir strukturelle Transformationen in weiten Bereichen der Wirtschaft – und zugleich eine Vielfalt unverbrauchter Ideen. Eine hohe Innovationskompetenz verhilft zu neuen, transformativen Geschäftsmodellen in attraktiven Zukunftsmärkten, und dies setzt ein umweltschonendes und zugleich menschenfreundliches Handeln voraus. Wo die Prioritäten im Unternehmen liegen, hängt von Reifegrad des Handlungsfelds ab.

Der hiesige Sommer wird immer wärmer, der Klimawandel offensichtlich. Was sind die grössten Hürden und Chancen auf dem Weg zu einer vollständig regenerativen Wirtschaft?

Schüller: Natürlich macht jedes Unternehmen in Sachen Umwelt- und Klimaschutz schon dies und das. Jede Initiative ist äusserst begrüssenswert. Doch bis zu einer vollständig regenerativen Wirtschaft, die insbesondere auch das weithin vernachlässigte Thema «Circularity» umfasst, ist es noch weit. Oft ist der Wille erkennbar, doch es fehlt am nötigen Tun. Auch das grundsätzliche Ambitionsniveau ist zu klären. Will die Firma Vorreiter der Branche sein, also jemand, der einem sofort in den Sinn kommt, der als Paradebeispiel genannt und in den Medien regelmässig zitiert wird? Will sie in puncto Klimaschutz, Nachhaltigkeit und «Circularity» dem Mittelfeld angehören, also das tun, was mehr oder weniger alle früher oder später machen? Oder will sie nur die gesetzlichen Mindestauflagen erfüllen, und zwar gezwungenermassen immer erst dann, wenn die entsprechenden Regularien amtlich werden? Nachdem das definiert ist, empfehle ich einen siebenstufigen Handlungsplan, der in meinem neusten Buch ausführlich erläutert wird.

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«Wer die Zukunft erreichen will, braucht allem voran Optimismus.»

 

 

 

Wie sehen Sie in diesem Kontext die Aufgaben von HR-Fachkräften?

Schüller: Zunächst: Sustainability darf nicht silomässig in eine Abteilung gesperrt werden, sie betrifft jeden und jede im Unternehmen über alle Bereiche hinweg. Interdisziplinäres Agieren ist insofern ein Muss. Die Führungsrolle sehe ich dabei im HR-Bereich. Dies ist Verpflichtung und Versprechen zugleich. Der Fokus liegt auf dem Wohlergehen der Menschen im Verantwortungsbereich des Unternehmens. Zudem befasst sich HR mit den vielfältigen Aspekten der Unternehmenskultur. Dazu gehören auch Ethik und Werte. Insofern sind umwelt- und klimaschädigende Aktivitäten zugunsten der Profitmaximierung inakzeptabel. Hier soll und muss HR klipp und klar Stellung beziehen. Damit wechselt HR in die Rolle des proaktiven Zukunftsgestalters und kann schliesslich zu einem strategischen Partner der Geschäftsleitung werden.

Was zeichnet «Übermorgengestalter» aus?

Schüller: Übermorgengestalter sind die treibende Kraft, damit das notwendige Neue entsteht. Sie sind Brückenbauer zwischen gestern, heute und morgen, Konnektoren zwischen drinnen und draussen, Voraustrupp ins Neuland, Helfershelfer auf dem Weg in die Zukunft, Lotsen in die kommende Zeit. Sie sind aufgeschlossen für das Wohlergehen der Menschen, für Digitales und alles rund um den Schutz des Planeten. Kurz, sie sind die wichtigsten Menschen in den Unternehmen, die die Zukunft erreichen wollen.

Welche häufigen Widerstände begegnen Innovatoren und Innovatorinnen heutzutage, und wie können diese erfolgreich überwunden werden?

Schüller: Neues macht den Widerstand der Nutzniesser des Alten nahezu zwingend. Vieles bleibt im «Eigentlich müsste man …» stecken und hat zu wenig Wumms. Um ihre eigene Haut zu retten, schützen so manche ihren Besitzstand und versuchen so, eine Zukunft aufzuhalten, die sich nicht aufhalten lässt. Menschen mit einem solchen Mindset nenne ich «Vorgesternbewahrer». Manche brauchen etwas mehr Zeit. Doch von systematischen Fortschrittsbremsern muss man sich trennen, denn sie führen ihre Arbeitgeber ins Aus.

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«Die tragfähigsten Lösungen kommen zustande, wenn man den besten Input der jüngeren und älteren Generationen zusammenfügt.»

 

 

 

Wie sollte die Zusammenarbeit zwischen Menschen und künstlicher Intelligenz gestaltet sein, um positive strukturelle Transformationen zu erleichtern?

Schüller: Überall rücken Mensch und KI enger zusammen. Als Tandem sind sie sowohl dem Menschen allein als auch der KI allein überlegen. Die Fortschritte der KI sind nicht ganz risikofrei, doch sie halten vor allem Chancen parat. Sie dienen nicht nur der Unterstützung, sondern auch der Erhöhung menschlicher Intelligenz. So wird KI uns nicht ersetzen, sondern die werden ersetzt, denen es nicht gelingt, KIs als Assistenten für ihre eigene Intelligenz zu nutzen. Wir haben wie immer die Wahl. Wir können klagen und tatenlos warten, bis KI uns vertreibt. Oder wir nutzen die jeweils neueste Technologie, um das Beste aus einem Mensch-Maschine-Zusammenwirken zu machen.

Welche Rolle spielen die unterschiedlichen Generationen in Transformationsvorhaben?

Schüller: Die tragfähigsten Lösungen kommen zustande, wenn man den besten Input der jüngeren und älteren Generationen zusammenfügt. Doch das Alte darf nicht die Messlatte für das werdende Neue sein. Die Grenzen des Möglichen zu verschieben, war schon immer das Vorrecht der jungen Generation. So kann sie den Etablierten helfen, sich auf die immer schnelleren Zyklen der Zukunft vorzubereiten, also: agiler zu werden, digitaler zu denken, kollaborativer zu handeln und Disruptives zu wagen. Wer die junge Generation in den Boardroom holt und sie an Entscheidungen massgeblich beteiligt, liegt in Zukunft vorn. Denn es ist ihre Zeit, in die wird uns gemeinsam hineinbewegen.

Buchempfehlung: Anne M. Schüller, Zukunft meistern: Das Trend- und Toolbook für Übermorgengestalter, Gabal Verlag 2024, 232 Seiten.

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Online-Redaktorin, HR Today. jc@hrtoday.ch

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