Unsichtbare Frauen am Arbeitsplatz
In den meisten Betrieben fehlen Strategien, wie sie Frauen in den Wechseljahren unterstützen können. Dr. Joëlle Zingraff und Dr. Adrian Krahn – Co-CEOs und Gründer von The Women Circle AG – beleuchten die wichtigsten Hintergründe und zeigen, wie Unternehmen eine unterstützende Kultur schaffen können – und warum sich das lohnt.

Foto: CoWomen / Pexels
Die Wechseljahre sind eine Lebensphase, die viele Frauen zwischen Mitte 40 und Mitte 50 durchlaufen. Sie dauern im Durchschnitt acht Jahre und können von körperlichen und seelischen Veränderungen begleitet sein. Dennoch bleibt das Thema in vielen Unternehmen tabu. Oft fühlen sich betroffene Frauen unsichtbar oder alleingelassen, weil sie ihre Beschwerden nicht offen ansprechen können. Das führt zu Stigmatisierung und zu unnötigen Belastungen – für die Frauen selbst, aber auch für die Arbeitgeber.
Dabei ist das Potenzial dieser erfahrenen Fachkräfte enorm: Frauen über 45 bilden die am stärksten wachsende Gruppe auf dem Arbeitsmarkt. In Zeiten des Fachkräftemangels kann es sich keine Firma leisten, gut ausgebildete Mitarbeiterinnen zu verlieren. Dennoch fehlen in den meisten Betrieben Strategien, wie sie Frauen in den Wechseljahren unterstützen können.
Der Stigma-Effekt: Wenn Schweigen belastet
Die Wechseljahre bringen oft Beschwerden wie Hitzewallungen, Schlafstörungen oder Konzentrationsprobleme mit sich. Doch viele Frauen verschweigen diese Symptome. Sie fürchten, als «schwach» abgestempelt zu werden, oder sie haben das Gefühl, dass ihr Umfeld das Thema als privat oder peinlich empfindet.
Das Ergebnis ist ein Teufelskreis: Wo nicht geredet wird, fehlt das Verständnis. Und wo kein Verständnis vorhanden ist, bleiben Hilfsangebote aus. Betroffene Frauen leiden still vor sich hin und fühlen sich zunehmend isoliert.
Eine im Juli 2023 durchgeführte Schweizer Studie zu den Wechseljahren am Arbeitsplatz zeigt den Ernst der Lage. 59 % der befragten Frauen fühlten sich weniger selbstbewusst als zuvor. 48 % waren besorgt darüber, wie ihre Arbeitsleistung wahrgenommen wird. Diese Unsicherheit beeinflusst das Arbeitsklima und die Produktivität. Wenn Frauen mit Beschwerden alleine klarkommen müssen, wirkt sich das nicht nur auf ihre Gesundheit, sondern auch auf ihre Motivation und Leistung aus.
Absentismus, Präsentismus und Leavismus
Die Auswirkungen der Wechseljahre machen sich in verschiedenen Bereichen bemerkbar. Drei Hauptphänomene sind besonders relevant:
- Absentismus: Frauen in den Wechseljahren fehlen öfter ungeplant, weil sie sich nicht in der Lage fühlen, ihren Arbeitsalltag zu bewältigen. Die Symptome können so belastend sein, dass ein Durchhalten nicht mehr möglich ist.
- Präsentismus: Hier kommen Betroffene trotz Beschwerden zur Arbeit und versuchen, ihren Aufgaben so gut wie möglich nachzukommen. Das Engagement ist zwar hoch, doch die Konzentration und Leistungsfähigkeit können eingeschränkt sein. So steigt das Risiko von Fehlern und Unfällen.
- Leavismus: Dieser Begriff beschreibt, wenn Mitarbeitende ihren Urlaub oder freie Tage nutzen, um Arbeit nachzuholen oder um den Belastungen zu entkommen, anstatt sich zu erholen. Frauen in den Wechseljahren versuchen oft, ihre Aufgaben in Phasen ohne Kollegenkontakt zu erledigen, um Kritik oder Unverständnis zu vermeiden.
All diese Phänomene zeigen: Wo die Wechseljahre tabuisiert werden, entstehen Mehrbelastungen und Fehlzeiten. Diese wiederum schlagen sich in höheren Kosten und geringerer Produktivität nieder.
Fachkräftemangel und das ungenutzte Potenzial
Der Arbeitsmarkt in der Schweiz steht vor grossen Herausforderungen: Eine alternde Bevölkerung und der anhaltende Bedarf an qualifizierten Mitarbeitenden verschärfen den Fachkräftemangel. In diesem Kontext wird die Gruppe der Frauen über 45 immer wichtiger. Die Zahlen sind alarmierend: Bis zu 15 % der Frauen in den Wechseljahren beenden ihre berufliche Laufbahn frühzeitig. Bis zu 30 % reduzieren ihre Arbeitszeit. Beides führt zu einem Verlust von Know-how, Erfahrung und Stabilität im Unternehmen. Vor allem in Führungspositionen ist dieser Verlust gravierend, denn dort sind oft Frauen in der Lebensphase der Wechseljahre tätig. Wenn sie sich zurückziehen oder die Firma verlassen, fehlt eine wertvolle Perspektive in den Entscheidungsgremien.
Wirtschaftliche Folgen und neue Chancen
Die ökonomischen Auswirkungen sind erheblich. Studien zufolge kostet der Ersatz einer verlorenen Mitarbeiterin mindestens die Hälfte ihres Jahresgehalts. Allein in der Schweiz belaufen sich die Folgekosten, die durch das Ausscheiden von Frauen in den Wechseljahren entstehen, auf über zwei Milliarden Franken.
Weltweit werden die Produktivitätsverluste durch die Wechseljahre auf rund 150 Milliarden US-Dollar pro Jahr geschätzt. Gleichzeitig sind Frauen über 45 eine wichtige Säule in vielen Unternehmen, denn sie verfügen über langjährige Berufserfahrung, ein breites Netzwerk und oft ausgeprägte Führungsqualitäten. Wer diese Ressourcen nicht nur erhält, sondern aktiv fördert, schafft einen klaren Wettbewerbsvorteil. Unternehmen, die ihre Kultur anpassen, werden zu attraktiven Arbeitgebern – gerade in einem Umfeld, in dem Talente rar sind.
Was können Unternehmen tun?
Viele Unternehmen wissen noch nicht, wie sie das Thema Wechseljahre ansprechen sollen. Oft fehlt das Bewusstsein, manchmal auch schlicht das Wissen. Dabei gibt es einfache Massnahmen, um eine unterstützende Umgebung zu schaffen:
- Offene Kommunikation: Eine Kultur, in der die Wechseljahre kein Tabu sind, ist der Schlüssel. Führungskräfte und HR-Verantwortliche sollten signalisieren, dass sie für Fragen und Gespräche offen sind.
- Sensibilisierungstrainings: Schulungen helfen, die Symptome und Bedürfnisse von Frauen in den Wechseljahren besser zu verstehen. Das verhindert Vorurteile und fördert Verständnis im Team.
- Flexible Arbeitsmodelle: Gleitzeit, Homeoffice oder Teilzeitmodelle können helfen, Belastungsspitzen abzufedern. Frauen können ihre Arbeit an ihre Tagesform anpassen und so trotz Beschwerden produktiv bleiben.
- Gesundheitsförderung: Betriebliche Angebote wie Entspannungskurse, Ernährungsberatung oder Sportprogramme unterstützen Frauen in dieser Phase. Auch externe Beratungen oder Sprechstunden mit Fachleuten sind eine Option.
- Ressourcen bereitstellen: Einfache Hilfen wie Zugang zu kühleren Räumen, Ventilatoren oder Ruhezonen können den Alltag erleichtern.
- Individuelle Beratung: In einem vertraulichen Rahmen kann die Situation der betroffenen Mitarbeiterin erfasst und gemeinsam nach Lösungen gesucht werden. Das fördert Loyalität und stärkt das Selbstbewusstsein.
Unternehmen, die hier aktiv werden, investieren in ihre Zukunftsfähigkeit. Sie sichern sich nicht nur eine bessere Mitarbeiterbindung, sondern steigern auch ihre Attraktivität als Arbeitgeber für Fachkräfte aller Altersgruppen.
Männer als Verbündete
Die Wechseljahre gelten oft als reines Frauenthema, doch auch Männer profitieren von einer offenen und respektvollen Gesprächskultur. Führungskräfte, Kollegen und Partner können wertvolle Verbündete sein, indem sie Verständnis zeigen und sich aktiv informieren. Ein Team, das transparent über Gesundheitsthemen spricht, ist eher bereit, sich gegenseitig zu unterstützen. So wird verhindert, dass sich Betroffene zurückziehen oder als «schwaches Glied» betrachtet werden. Männer, die sich für die Anliegen ihrer Kolleginnen einsetzen, stärken das Vertrauen und Fördern eine Unternehmenskultur, in der sich jede Person respektiert fühlt. Auch Männer erleben Wechseljahre: die Andropause.
Der Mehrwert einer unterstützenden Unternehmenskultur
Die Wechseljahre sind mehr als ein rein «weibliches» Thema. Sie betreffen die gesamte Belegschaft, weil ein offener Umgang mit Beschwerden die Zusammenarbeit verbessert und Vorurteile abbaut. Wenn sich Frauen in dieser Lebensphase gut unterstützt fühlen, bleiben sie motiviert und leistungsfähig.
Das Ergebnis ist eine Win-Win-Situation: Frauen profitieren von besseren Arbeitsbedingungen und fühlen sich wertgeschätzt und Arbeitgeber erhalten motivierte, erfahrene und leistungsbereite Mitarbeitende. Die Teams profitieren von einer offenen, fairen und wertschätzenden Kultur, in der Vielfalt als Gewinn wahrgenommen wird. Die Wechseljahre sind kein Randthema, sondern eine Phase, die einen grossen Teil der Belegschaft betrifft. Ignoriert man sie, drohen höhere Kosten, sinkende Produktivität und der Verlust wertvoller Talente.
Eine gezielte Unterstützung von Frauen in den Wechseljahren ist deshalb ein Gebot der Stunde. Mit Sensibilisierungstrainings, flexiblen Arbeitsmodellen und offenem Dialog lässt sich viel erreichen. So entsteht eine Arbeitskultur, in der Frauen ihr volles Potenzial entfalten – und Unternehmen im Wettbewerb um die besten Köpfe bestehen.