Vergessen Sie Ihren Schlüssel: Sicherheit sieht bald anders aus
Moderne – zum Beispiel biometrische – Systeme verdrängen zunehmend die herkömmlichen Sicherungssysteme. Schlüssel sind auf dem Rückzug, dafür existieren inzwischen Schränke, die sich automatisch ver- und entriegeln. Bei aller Technik darf aber nicht vergessen werden, dass der Mensch ein zentrales Element des Sicherungssystems ist.
Keine Firma lässt heutzutage mehr ihre Server ungeschützt herumstehen oder spart an Firewalls, um ihre IT abzusichern. Aber die physische Sicherheit im Unternehmen braucht ebenfalls grosse Aufmerksamkeit. Und ihre Tücken dürfen nicht unterschätzt werden.
An Badges und Schleusen statt einfacher Eingangstüren haben wir uns gewöhnt. Künftig werden immer ausgeklügeltere Systeme auf uns zukommen. Franca Burkhardt, Sicherheitsbeauftragte im Bankbereich, meint: «Man muss aus einer einfachen Firma kein Alcatraz machen. Aber die Frage, wie hoch die Bedrohung ist und welche Sicherheitsmassnahmen angemessen und wirksam sind, muss regelmässig gestellt werden.»
Ohne Badge und Schleuse sollte niemand weiter als bis zum Empfang kommen. Bereiche, in denen etwa mit noch unpatentierten Plänen oder sensiblen Kundendaten gearbeitet wird, werden innerhalb des Gebäudes nochmals einer eigenen Sicherheitsstufe unterstellt. Das können weitere Schleusen und Videoüberwachung sein oder spezielle Zugangsbadges oder -codes, manchmal auch schon biometrische Systeme.
Grundsätzlich können je nach Struktur entweder alle Büros einzeln in verschiedene Sicherheitszonen unterteilt werden oder das Gebäude selbst in Zonen. Da meist Grossraumbüros vorherrschen, in denen sich jeder frei bewegen kann, ist es umso wichtiger, sensible Zonen durch Sicherheitsmassnahmen abzutrennen.
Komfort wird wichtiger
Thomas Kläy, Geschäftsführer beim Sicherheitsunternehmen Safos, kennt die Trends in der Sicherheitstechnik. Er beobachtet, dass immer mehr Unternehmen von aufwendigen Schlüsselsystemen wegkommen. Schlüsselverluste bedeuten grossen Aufwand und ein hohes Sicherheitsrisiko, während man eine verlorene Karte einfach sperren kann. Kläy: «Wir spüren eine steigende Nachfrage nach biometrischen Systemen. Häufig auch aus dem Komfortgedanken heraus, dass man morgens nicht mehr daran denken muss, Badge oder Schlüssel einzustecken. Das ewige Schlüssel herauskramen empfinden die Leute als lästig. Finger oder Handrücken hat man immer dabei.»
Aber auch ohne biometrische Systeme wird die Zahl der umlaufenden Schlüssel für Räume wie Lager oder Archiv, die selten betreten werden, reduziert. Sie liegen in einem elektronischen Ausgabesystem bereit und Berechtigte können sie dort beziehen. Durch die aufgezeichneten Daten ist zudem nachvollziehbar, wer wann im Besitz von Schlüsseln für solche Räume war.
Schrank versperrt sich von selbst
Aktenschrankschlüssel, die unerreichbar bei der kranken Kollegin zuhause liegen, wird es wohl auch immer seltener geben. «Es gibt Lösungen, bei denen sich die Schränke mit wichtigen Unterlagen automatisch entriegeln, wenn die richtige Person den Raum betritt», berichtet Kläy. Das verhindert auch, dass vergessene Akten von jemandem aus der nächtlichen Putzkolonne inspiziert werden. Und für die Mitarbeitenden ist es ein Komfortgewinn, nicht mehr ans Einschliessen denken und nicht ständig mit unpraktischen Schlüsseln hantieren zu müssen – so sie sich denn überhaupt konsequent an die Einschlusspflicht halten.
Ohnehin ist Komfort ein wichtiges Thema. Sobald Sicherungssysteme umständlich zu bedienen sind, den Arbeitsfluss stören oder schlicht nicht reibungslos funktionieren, beginnen die Mitarbeitenden Wege zu finden, sie zu umgehen. Und Wege gibt es immer. Franca Burkhardt kennt das gut: «Das ist ein ständiger Kampf zwischen Sicherheit und Bequemlichkeit. Es gilt, ein gesundes Mittelmass zu finden, sonst nehmen die Mitarbeitenden die Massnahmen nicht an.»
Schwachstelle Mitarbeitende
All die immer ausgeklügelteren Systeme haben nämlich denselben Schwachpunkt: den Menschen. Franca Burkhardt kämpft täglich darum, die Mitarbeitenden zu Aufmerksamkeit gegenüber Normabweichungen zu ermutigen: «Wer sagt denn, dass sich nicht jemand einfach einen teuren Anzug besorgt? Bewegt er sich dann selbstverständlich in den Räumen und tritt etwas arrogant auf, hält man ihn womöglich für eine wichtige Person und wagt nicht ihn aufzuhalten.» Denn gewöhnlich ist es ein leichtes, sich in den Büros einer Firma frei zu bewegen, ist erst einmal die Eingangskontrolle überwunden.
«Wenn ein Mitarbeitender durch eine gesicherte Badgetüre geht, muss er sich ganz automatisch umdrehen, um zu überprüfen, dass niemand hinter ihm durchgeflutscht ist», nennt Burkhardt ein Beispiel. Und was nützt die beste Vereinzelungsschleuse, wenn der Lieferant eine grosse Lieferung nur bei Vollöffnung ins Gebäude bringen kann? Wenn dann nicht die ganze Zeit jemand in der Nähe steht, um die Türe zu überwachen, kann sich das ein aufmerksamer Beobachter schnell zunutze machen.
Es braucht eine Kultur, in der sich jeder einzelne Mitarbeitende als wichtigen Baustein im Sicherheitskonzept wahrnimmt. Diese Sicherheitskultur muss von ganz oben getragen und immer wieder geschult werden. Das wird in Zukunft noch wichtiger werden. Denn auch wenn die Technik immer ausgeklügelter wird – auf sie allein verlassen kann man sich nicht. Alle Sperren lassen sich irgendwie umgehen, mag auch der Aufwand steigen. Autodiebe rücken ja auch nicht mehr mit der Drahtschlinge an, sondern mit dem Laptop. Und sollte womöglich tatsächlich ab und zu ein Geschäftsleitungsmitglied auf seinen fehlenden Badge angesprochen werden – so ist das ein Erfolg der Sensibilisierung. Ein Grund für Lob, nicht für Ärger.