Adventsserie 2020: Corporate Learning

Verhalten oder Verhältnisse?

Die mangelnde Zusammenarbeit von Personal- und Organisationsentwicklung ist eigentlich ein ziemlich alter Hut. Der aber in Zeiten, wo alle von fehlendem oder schlimmer noch falschem Mindset reden, wieder sehr aktuell ist. Häufig macht man dieses zu einem Thema der Personalentwicklung: Man versucht das Verhalten zu entwickeln, fasst die Verhältnisse hingegen nicht an – mit kontraproduktiven Folgen.

«Wir müssen einfach die Menschen mitnehmen» oder «denen fehlt lediglich das richtige Mindset», sind nur zwei von vielen ähnlich gelagerten Aussagen, die das Dilemma in der Personalentwicklung in seiner ganzen Grösse deutlich machen. Zum einen scheint hier das alte Prinzip der schwächen-orientierten Pädagogik auf, in der ein falsches Funktionieren repariert, oder ein pauschal vermutetes Defizit behoben werden soll. Am liebsten natürlich in skalierbarer Form, damit man dabei möglichst effizient und kostensparend bleibt.

Zum anderen – und das ist meiner Erfahrung nach problematischer – ist das mit dem Versuch verbunden, die Menschen in deren Verhalten zu ändern. Nun ist es ja gewiss nicht so, dass unser Verhalten in beruflichen Kontexten stets tadellos wäre oder wenigstens dergestalt, dass es fortwährend den Unternehmenszielen dienen würde. Andererseits können wir unser Handeln immer nur so weit entwickeln, wie es uns die herrschenden Rahmenbedingungen erlauben. Mit anderen Worten: Die Verhältnisse bestimmen das Verhalten. Verfahren wir – insbesondere was das Lernen und die persönliche Entwicklung betrifft – mit engen und genauen Vorgaben, werden wir nur selten auf neugier-getriebenes, selbstorganisiertes Lernen treffen. Sprechen wir hingegen die Erwartung aus, dass die Menschen doch endlich mal selber mehr Initiative und Engagement für ihre eigene Weiterbildung ergreifen sollen, stossen wir auf unterschiedliche Dysfunktionalitäten.

Nur nicht hinterfragen

Die ohnehin schon engagierteren Kolleginnen werden versuchen, diesem Aufruf gerecht zu werden und dabei an den unveränderten Rahmenbedingungen anecken. Ihre Chefin könnte sie beispielsweise ermahnen, lieber zu arbeiten, statt ihre Zeit zu vertrödeln. Ihre Kolleginnen könnten sie schräg anschauen und mit anderen über ihre Faulheit tuscheln. Dabei holen sie sich eine blutige Nase oder sie fühlen sich frustriert. In beiden Fällen dürfte ihr persönliches Engagement eher abnehmen. Die eher in Konsumhaltung verharrenden Menschen indes, sind verunsichert und wissen nicht, was sie denn jetzt genau machen sollen.

Letztere dürften die Mehrheit bilden, denn schliesslich sind wir in unserer Bildungsbiografie alle entsprechend sozialisiert. Wir durften in Lernkontexten selten oder gar nie die Initiative ergreifen, wurden nie gefragt, was wir denn bräuchten und bekamen stets vorgegeben, was wann und in welcher Reihenfolgen zu bearbeiten war. Wie sollen wir das auf einmal können?

Selbständigkeit fördern

Aus meiner Sicht gibt es eigentlich eine ganz einfache Antwort auf dieses Dilemma. Es braucht ein Setting in Organisationen, das Menschen den nötigen Raum gibt, ihr Lernen selber zu gestalten. Es braucht ein Zuhören auf die Frage, wie die Mitarbeiterinnen denn lernen wollen. Und auf die Frage, wie sie ihr Lernen in ihre Arbeitsrealität integrieren wollen.

Können wir Rahmenbedingungen partizipativ mitgestalten, entwickeln wir ein anderes Verantwortungsbewusstsein, uns in diesen zu bewegen. Es wird also auf ein Joint Venture von Organisations- und Personalentwicklung hinauslaufen. In dem wir zeitliche, wie auch physische Gelegenheiten verfügbar machen, in denen Menschen sich eingeladen und sanktioniert fühlen, ihre Entwicklung im Kontext ihrer Arbeit selber in die Hand zu nehmen.

Der nächste Artikel der Adventsserie 2020 zum Thema «Corporate Learning» erscheint am 11. Dezember. Darin geht es um die Bildungs-Biografie, die wir mit uns tragen und die uns schon so manchen Stein in den Weg gelegt hat.

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos

Mit seiner Firma Participation.Rocks unterstützt Martin Geisenhainer Organisation bei der Einführung partizipativer Lern- und Arbeitsformen. Zudem ist er Founder und Mitorganisator des Swiss Social Collaboration Summit und lizensierter Working Out Loud Coach.

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