Vertrauen schafft den Zugang zum impliziten Wissen der Mitarbeitenden
Unternehmen, die unter Wissensmanagement nicht nur die Pflege von Datenbanken verstehen, sondern auch die Pflege von Menschen, profitieren von einem Innovationsvorsprung. Denn Wertschätzung, Offenheit und Vertrauen sind ein Muss, um an das implizite Wissen der Mitarbeitenden zu gelangen – ein Schlüsselfaktor für die unternehmerische Zukunft.
Wissen ist Macht – vorenthaltenes Wissen doppelte Macht. Denn wer mehr weiss als andere, hat einen Vorteil. «Mit seinem Wissen, vor allem seinem ganz persönlichen Erfahrungswissen, verhält sich der Mensch gerne wie ein Eichhörnchen», konstatiert Professor Norbert Thom, Leiter des Instituts für Organisation und Personal an der Universität Bern. «Er sammelt und hortet es aus Angst vor Feinden.» Und potenzielle Feinde lauern überall. «Das kann der Arbeitskollege sein, aber auch der Chef.»
Beim impliziten und personenbezogenen Wissen handelt es sich um den Erfahrungsschatz einer einzelnen Person. «Dieser macht es ihr möglich», so Norbert Thom, «Informationen auf ganz spezifische oder sogar einzigartige Situationen anzuwenden und sich dadurch gegenüber anderen abzugrenzen.» Aus diesem Grund ist es für Unternehmen auch so schwierig, das implizite Wissen oder das «tacid know-how» der Mitarbeitenden anzuzapfen und für den Unternehmenserfolg zu nutzen. Doch genau das wäre dringend notwendig, da das implizite Wissen zunehmend zu einem strategischen Schlüsselfaktor wird.
Monetäre Anreize sind eher kontraproduktiv
Denn die technische Evolution verkleinert die Halbwertszeit des rein faktenbasierten oder expliziten Wissens rasant. Zudem sorgen die freiwilligen oder unfreiwilligen Abgänge von spezialisierten Wissensträgern in Zeiten hoher Fluktuationsraten dafür, dass immer weniger implizites Wissen in den Unternehmen vorhanden ist. Andererseits lässt die hochspezialisierte Dienstleistungsgesellschaft immer weniger standardisierte Lösungen zu. Die Herausforderungen werden komplexer, die Entscheidungen einzigartiger und der Mensch mit seinem spezifischen Wissen wird dadurch zur wichtigsten Ressource.
Noch immer scheitern aber viele Firmen beim Versuch, Wissensmanagement erfolgreich zu implementieren – dies obwohl alles Erdenkliche dafür gemacht wird. Wissen wird zwar gerne abgefragt, doch eigenes Expertenwissen wird nur sehr zögerlich bereitgestellt. Wie bringt denn nun eine Firma das Eichhörnchen Mensch dazu, sein Wissen zu teilen? «Ganz einfach», sagt Professor Thom, «indem sie eine Wissenskultur etabliert und für die Mitarbeitenden Anreize schafft, das Wissen zu teilen.» Gemeint sind aber keinesfalls monetäre Anreize. Diese sind nämlich, so Bettina Sollberger, Projektleiterin Wissensmanagement bei der Schweizerischen Post, absolut kontraproduktiv. «Geldprämien fördern das Einzelkämpfertum, nicht aber den Teamgeist. Und den braucht es, um das implizite Wissen der Mitarbeiter anzuzapfen.»
Wertschätzung, Offenheit, wahrgenommene Autonomie, Lernbereitschaft, Fürsorge und Vertrauen heissen die Schlüsselwerte einer funktionierenden und gelebten Wissenskultur. «Diese muss Teil der Unternehmenskultur sein und alle Werte und Normen umfassen», erklärt die Wissensmanagerin. Und ganz wichtig: Sie muss täglich vorgelebt werden, auch von der obersten Geschäftsleitung. «Ohne deren Commitment und deren Vorleben kann sich keine Wissenskultur entwickeln», betont auch Berater Thomas Auer, der als Geschäftsführer von Auer Consulting & Partner seit vielen Jahren Unternehmen zum Thema Wissensmanagement berät und begleitet.
Informeller Wissensaustausch bei der Post
Die Schweizerische Post betreibt seit sechs Jahren systematisches Wissensmanagement. Das Fazit: Auch im Zeitalter der Informations- und Kommunikationstechnologie ist der persönliche Kontakt zentral. Dieser fördert das Vertrauen und eine unkomplizierte Kommunikation. Daher setzt das Unternehmen primär auf Vernetzungsaktivitäten sowie «Communities of Practice» (siehe Hauptartikel). Für deren Erfolg sind gemäss Bettina Sollberger, Projektleiterin Wissensmanagement bei der Post, folgende Punkte mit verantwortlich:
- Die Vernetzungsaktivitäten werden nicht unter dem Begriff Wissensmanagement vermarktet. Der Grund: mögliche Vorbehalte der Mitarbeitenden gegenüber dem eher schwer fassbaren Begriff.
- Informelle Austauschmöglichkeiten ermöglichen es allen Mitarbeitenden, ihr Netzwerk zu pflegen und zu erweitern. Dies fördert das berufliche Weiterkommen.
- Die Vernetzungsaktivitäten werden auf die einzelnen Zielgruppen und deren Bedürfnisse zugeschnitten.
- An den Veranstaltungen treten unternehmensinterne und -externe Referenten auf. Dadurch wird die Gefahr der Betriebsblindheit gemindert.
- Die Teilnahme an den Veranstaltungen ist freiwillig und erfolgt nur, wenn ein persönlicher Nutzen ersichtlich ist.Den persönlichen Austausch und die Vernetzung fördern
Genau das hat auch Bettina Sollberger bei der Schweizerischen Post erlebt. Vor sechs Jahren wurde sie damit beauftragt, für den ehemaligen Staatsbetrieb ein Wissensmanagement aufzubauen und dieses zu implementieren. «Der Konzernleitung war bewusst: Um an das Wissen der Mitarbeitenden zu gelangen und dieses möglichst vielen Leuten zugänglich zu machen, geht es nicht primär um den Aufbau von Datenbanken, sondern darum, den zwischenmenschlichen Austausch zu fördern»
Und dazu zählt vor allem eines: der persönliche Kontakt. Trotz allem brauchte es aber in einer ersten Welle viele Fakten und technische Lösungen. Nach einer detaillierten und unternehmensweiten Analyse führte Sollberger erste, intranetbasierte Instrumente ein. «Der Fokus lag auf dem Suchen und Finden von Personen mit der benötigten Expertise und einer erhöhten Kostentransparenz». Daraus resultierten ein Bildungsinventar, eine Datenbank mit Lessons learned aus Projekten, eine Veranstaltungsplattform und die Yellow pages.
In einer zweiten Welle wurden der persönliche Austausch und die Vernetzung zwischen den Mitarbeitenden unter die Lupe genommen. Im Mittelpunkt stand vor allem die Etablierung von «Communities of Practice» (siehe Box Seite 29). Das sind informelle Gruppen von Mitarbeitenden und Führungskräften, die sich selber organisieren und sich regelmässig auf freiwilliger und persönlicher Basis treffen. Ziel ist es, Erfahrungen und Wissen zu einem bestimmten Arbeitsgebiet auszutauschen und neue Lösungen zu entwickeln. «Damit möchten wir neben neuen Netzwerken auch bereits bestehende, jedoch versteckte Netzwerke fördern und offen legen.» Die Resonanz bei den Post-Mitarbeitenden war positiv. «Heute gibt es bereits 160 aktive Communities of Practice zu unterschiedlichen Fachthemen wie Teilzeit im Kader, Second Life, Gesundheitsweisen oder Sicherheit bei der PostLogistics», sagt Bettina Sollberger.
Der Anreiz für die Post-Mitarbeitenden, ihr ganz persönliches Wissen mit Kollegen und Vorgesetzten zu teilen, liegt in der Freiwilligkeit und in der Tatsache, dass es auf einem eher informellen Weg geschieht. Ein anderer Motivator zur Wissenteilung kann aber zum Beispiel auch ein anreizgesteuertes Vorschlagswesen sein, bei dem Mitarbeitende und Teams aus allen Bereichen innovative Ideen entwickeln und dafür in Form eines Awards auch belohnt werden. «Individuell ausgestellte Zertifikate und die Bekanntmachung der Gewinner mittels interner oder externer Kommunikation mit den Kunden sind äusserst wirksame Motivationsspritzen», weiss Professor Norbert Thom aus seiner Forschung zum Thema Ideenmanagement.
Ein weiterer, durch die demografischen Entwicklungen immer wichtigerer Punkt ist es, Mitarbeitende über alle Altersgruppen hinaus miteinander zu vernetzen und die Prozesse in der Organisation so aufzusetzen, dass ältere und jüngere Mitarbeitende ihr Wissen austauschen. Dazu dürfen ältere Arbeitskräfte nicht zu früh pensioniert werden und im Idealfall können sie gar über das Rentenalter hinaus an das Unternehmen gebunden werden. «Coaching- oder Mentoring-Modelle sind dazu bestens geeignet», erklärt Berater Thomas Auer. «Durch projektorientierte Eingriffe in die Aufbau- und Ablauforganisation wird der Transfer des impliziten Wissens bewusst gesteuert.» Senioren als identifizierte Wissensträger und Junioren als Kadernachwuchs arbeiten zusammen an Projekten. Absolut zwingend ist es, «dass der Senior nicht in Linienverbindung mit dem Junior steht und keine Weisungsbefugnis hat».
Das Teilen von Wissen wird auch in den Zielvereinbarungen verankert
Das IBM-Forschungslabor in Rüschlikon arbeitet schon seit Jahren mit einem Mentoring-Programm. Alle Mitarbeitenden sind verpflichtet, sich mit Ausnahme des eigenen Vorgesetzten irgendeine erfahrene Person, die möglichst aus einem anderen Arbeitsbereich als dem eigenen stammt, als Mentor auszusuchen. «Dieser Mentor begleitet einen über die gesamte Berufslaufbahn in unserem Unternehmen», erklärt Hans Hofmann, Personalchef des IBM-Forschungslabors in Rüschlikon. Die eher informellen Kontakte erstrecken sich über alle IBM-Labors weltweit und fördern das interne Netzwerk ungemein. «Intensität und Häufigkeit des Austauschs stehen und fallen natürlich mit den beteiligten Personen», so Hofmann, «doch bringt diese Beziehungen in jedem Fall etwas.»
Denn gerade in der Forschung könne einer allein meistens gar nichts erreichen. Möglich sei das nur in Teams. «Weil Innovationen und damit der Wissenstransfer das A und O unseres Geschäftes sind, setzen wir schon lange auf flache Hierarchien und direkte Kommunikation.» Zudem wird das Teilen von Wissen nicht nur verlangt, sondern auch gefördert. «Einerseits durch den Zwang zur Patentierung, andererseits durch interne Awards und dadurch, dass das Teilen von Wissen auch in den Zielvereinbarungen verankert ist.» Letzteres stelle sicher, dass die Mitarbeitenden langfristig angehalten sind, Wissensmanagement aktiv zu betreiben, um sich im Unternehmen zu entwickeln. «Dies bedeutet jedoch auch eine Neudefinition von Karriere, die auf der Anerkennung der fachlichen und sozialen Kompetenz beruht», betont Hans Hofmann.
Intrinsische Motivation fördert den Wissensaustausch
Für Thomas Auer, langjähriger Berater im Bereich Wissensmanagement, ist klar: «Je mehr sich die Wirtschaft hin zu wissensbasierten Organisationen entwickelt, desto bedeutungsvoller wird es für den Unternehmenserfolg, die Wissensarbeiter im Unternehmen zur Nutzung, Teilung und Entwicklung ihres Wissens zu bewegen.» Zur Förderung des Wissenstransfers ist eine mit den Unternehmenszielen kompatible intrinsische Motivation von Mitarbeitenden und Führungskräften erforderlich. Gemäss Auer kann diese unter anderem mit folgenden Massnahmen erreicht werden:
- Anerkennung: Ein wichtiger Anreiz zur intrinsischen Motivation ist Anerkennung als Fachperson auf einem Gebiet. Damit ist die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe verbunden. Die Möglichkeit, sich als Mitarbeitender mit der eigenen Homepage im Intranet zu präsentieren, und ein Wettbewerb über die von den individuellen Homepages am meisten heruntergeladenen Downloads sind Möglichkeiten, Engagement und Wissensteilung zu honorieren.
- Freiräume: Zeit ist für Wissensarbeiter ein immer knapper werdendes Gut. Wissensteilung und -entwicklung können daher mit dem Schenken von Zeit honoriert werden: Die Möglichkeit eines Sabbaticals, des Besuchs eines MBA-Programms oder die freie Verfügbarkeit von zehn Prozent der Arbeitszeit sind stärkere Anreize als Bezahlung oder hierarchischer Aufstieg.
- Gruppenbezogene Vergütung: Unternehmen vergeben keinen individuellen Bonus, sondern machen diesen abhängig von Team-, Bereichs- und Unternehmensergebnissen. Dadurch werden die Mitarbeitenden motiviert, gemeinsam Verbesserungsvorschläge zu erarbeiten und zu realisieren.
- Management by Knowledge Objectives: Vorgesetzte und Mitarbeitende vereinbaren Ziele, welche die Verantwortung jedes Einzelnen in Form von erwarteten Ergebnissen definiert und das Ergebnis anhand von Soll/Ist-Vergleichen misst.
Quelle: ABC der Wissensgesellschaft, www.hrm-auer.ch/grundlagen.php