Viel erreicht, viel zu tun
Seit der Einführung des Frauenstimmrechts im Jahr 1971 hat die Geschlechtergleichstellung beachtliche Fortschritte erzielt. Das revidierte Gleichstellungsgesetz (GIG) verlangt erstmals eine Lohngleichheitsanalyse und die Aktienrechtsrevision auferlegt grösseren Firmen Geschlechterrichtwerte in der Führung. COVID-19 droht, diese Errungenschaften zu unterwandern. Darum sollten die Unternehmen agieren – nicht nur, um gesetzliche Pflichten zu erfüllen, sondern vor allem, um attraktiv und wettbewerbsfähig zu bleiben.
50 Jahre Fortschritt
Seit das Frauenstimmrecht eingeführt wurde, hat sich viel getan: 1984 wurde die erste Bundesrätin vereidigt. 42 Prozent des Nationalrats und 43 Prozent des Bundesrats sind Frauen.¹ Frauen sind sogar besser ausgebildet: 42.7 Prozent der 25- bis 34-jährigen haben einen Hochschulabschluss; bei den gleichaltrigen Männern sind es 36.1 Prozent.²
1992 arbeiteten in Haushalten mit dem jüngsten Kind unter vier Jahren knapp 60 Prozent der Männer Vollzeit; die Frauen waren nicht erwerbstätig. 2019 war dieses Rollenmodell nur noch in jedem fünften Haushalt vertreten.³
Errungenschaften in Gefahr
Viele Unternehmen beschäftigen heute fast gleich viele Frauen wie Männer.⁴ Allerdings widerspiegelt sich dieser Trend nicht in der Chefetage. Nur 29 Prozent der Führungs- und 18 Prozent der Topmanagementkräfte sind weiblich. Zudem stieg der Lohnunterschied von 18.1 Prozent (2014) auf 19.0 Prozent (2018).⁵
COVID-19 wirkt sich zusätzlich negativ auf weibliche Arbeitnehmende aus. Deren Mehrfachbelastung durch Arbeit, Kinderbetreuung, Haushalt und Pflege nahm 2020 massiv zu. Ebenso wurde 2020 Frauen in der OECD schneller gekündigt als Männern.⁶
D&I ist mehr als Kosmetik
Nach dem revidierten GIG müssen Unternehmen ab 100 Mitarbeitenden bis zum 30. Juni 2021 eine Lohngleichheitsanalyse durchführen. Die Aktienrechtsrevision 2020 verlangt von Firmen ab 250 Mitarbeitenden seit Jahresbeginn 30 Prozent Frauen im Verwaltungsrat und 20 Prozent in der Geschäftsleitung.
Die meisten Firmen haben Diversität und Inklusion (D&I) in ihrer Unternehmensstrategie verankert. Denn D&I-Überlegungen sind zunehmend entscheidend für Nachhaltigkeitsbestrebungen nach ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance). Goldman Sachs kündigte 2020 an, nur noch Börsengänge von Firmen mit Diversität zu unterstützen.⁷
Verantwortung gefragt
Ereignisse wie COVID-19 oder der Tod des Afroamerikaners George Floyd haben die (Arbeits-)Welt aufgerüttelt. Darum ist der Zeitpunkt für die Unternehmen ideal, ein weiteres Zeichen zu setzen.
a) Lohngerechtigkeit herstellen
Lohngleichheit ist Menschenrecht, ökonomisches Muss und neuerdings gesetzliche Pflicht. Die Lohngleichheitsanalyse lässt sich mit dem kostenlosen Tool LOGIB erstellen. Wer einen Schritt weitergehen möchte, kann sich zum Beispiel von der international anerkannten Stiftung EQUAL SALARY zertifizieren lassen. Das verpflichtet zu einem integrativen HR-Management und stärkt die Arbeitgebermarke.
b) Chancengleichheit in HR-Prozessen etablieren
Globalisierung, Migration, digitale Arbeitsformen – Diversität ist für die Gesellschaft selbstverständlich – und in den Chefetagen angekommen. Trotzdem stimmt das, was Führungskräfte anstreben, mit dem, was Mitarbeitende wahrnehmen, nicht überein.⁸ Um Gleichstellung und Chancengleichheit sicherzustellen, empfehlen wir den Arbeitgebenden, ihren D&I-Reifegrad überprüfen zu lassen und ein Benchmarking durchzuführen.
c) Inklusion kulturell verankern
Inklusion führt nachweislich zu einer besseren Performance. Wer eine inkludierende Kultur pflegt, legt den Mehrwert von Diversität frei. Damit alle bestmöglich zum Erfolg beitragen können, muss gerade das mittlere Management Inklusion, Vertrauen und flexible Arbeitsmodelle vorleben – insbesondere und mehr denn je in Krisenzeiten.
Quellen:
- ¹ vgl. Bundesamt für Statistik (BFS), Die Frauenrepräsentation in den politischen Institutionen
- ² vgl. Bundesamt für Statistik (BFS), Bildungsstand der Bevölkerung nach Geschlecht und Altersgruppen 2019
- ³ vgl. «15 Fakten zur Gleichstellung», SRF Schweizer Radio und Fernsehen, (01.02.2021)
- ⁴ vgl. «Gender Intelligence Report 2020», Ko-Studie von Advance und Universität St. Gallen, 2020
- ⁵ vgl. Bundesamt für Statistik (BFS), Schweizerische Lohnstrukturerhebung
- ⁶ vgl. «Women in Work Index», PwC UK, 2021
- ⁷ vgl. Goldman Sachs, «Our Commitment to Diversity» (02.04.2020)
- ⁸ vgl. «Global Diversity & Inclusion Survey», PwC Global, 2020