Virtuelle und laterale Führung boomen

Über das Thema virtuelle Führung wurde in den vergangenen zwei Jahren corona-bedingt viel gesprochen. Doch auch laterales Führen gewinnt an Bedeutung. Ein Interview mit Barbara Liebermeister, Leiterin des Instituts für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ).

«Führung ohne Weisungsbefugnis», also laterales Führen, ist im Aufwind. Weshalb?

Barbara Liebermeister: Weil zumindest die Kernleistungen der Unternehmen aufgrund der steigenden digitalen Vernetzung immer häufiger in einer abteilungs-, bereichs- und oft auch unternehmensübergreifenden Team- und Projektarbeit erbracht werden. Deshalb stehen die Führungskräfte top-down heute, wenn sie sicherstellen möchten, dass ihr Bereich seinen Beitrag zum Unternehmenserfolg leistet, meist auch vor der Herausforderung, Personen zu führen bzw. zu inspirieren, die ihnen disziplinarisch nicht unterstellt sind. Also zum Beispiel die Führungskräfte und Mitarbeitende anderer Bereiche und auch externe Dienstleister und ähnliche Business-Partner, die am Leistungserbringungsprozess mitwirken.

Was sind die wesentlichen Treiber dieser Entwicklung?

Die vielen neuen Möglichkeiten, die die Digitaltechnik im Bereich Kommunikation und Kooperation bietet, und das Bestreben der Unternehmen ihre Agilität, also Reaktionsgeschwindigkeit zum Beispiel auf Marktveränderungen, zu erhöhen. Diese Faktoren führen dazu, dass die Arbeits- und Kommunikationsstrukturen in den Unternehmen immer komplexer werden und die Interdependenzen, also wechselseitigen Abhängigkeiten, steigen.

Können Sie das an einem Beispiel erläutern?

Wenn zum Beispiel ein Wohnhaus oder Bürogebäude gebaut werden soll, dann steht der Bauherr oder der von ihm beauftragte Architekt vor der Herausforderung, die verschiedensten Gewerke wie Maurer, Malerinnen und Dachdecker zu koordinieren. Nur, wenn ihm dies gelingt, werden überflüssige Mehrarbeiten vermieden, ist das Gebäude zum geplanten Termin bezugsfertig und erfüllt die Erwartungen. Eine schwierige Führungs- und Koordinationsaufgabe, nicht nur, weil hierfür jeder Prozessbeteiligte wissen muss, was seine Aufgabe ist und welche Anforderungen das Endprodukt erfüllen soll, auch weil die involvierten Personen und Organisationen Eigeninteressen haben. Die gilt es so gut es geht unter einen Hut bringen.

Und solche Strukturen prägen zunehmend auch die Zusammenarbeit in Dienstleistungsunternehmen?

Ja, auch weil diese, im Zuge ihres Bestrebens agiler zu werden, immer mehr Teilaufgaben an externe Dienstleister sowie Spezialisten an verschiedenen Standorten übertragen. Trotzdem spielt das Thema laterale Führung in den Führungskräfte-Entwicklungsprogrammen der Unternehmen bisher nur eine marginale Rolle.

Führungskräfte brauchen hierfür vermutlich teils andere Fähigkeiten als bei der «klassischen» Führung. Welche sind das? 

In der modernen, digitalen Arbeitswelt müssen die Führungskräfte sich zu Beziehungsmanagern entwickeln, die sich unter anderem durch eine hohe Persönlichkeits-, Beziehungs- und Digitalintelligenz auszeichnen. Sie müssen andere Personen für sich und ihre Ideen begeistern und tragfähige Beziehungen aufbauen können – auch zu Mitarbeitenden, denen sie nicht direkt vorgesetzt sind.

Inwiefern ist das den heutigen Führungskräften bereits bewusst?

Aus meiner Sicht: Ja. Wenn ich mit Führungskräften über Teamführung spreche, beziehen sie sich meist nicht nur auf die ihnen disziplinarisch unterstellten Mitarbeitenden. Sie rekurrieren vielmehr in ihren Erzählungen über die Herausforderungen, vor denen sie stehen, auch immer wieder auf solche Netzwerkpartner wie Mitarbeitende und Führungskräfte anderer Bereiche sowie externe Partner wie Dienstleister und Kunden. Wichtig dabei: Vertrauen ist bei dieser Art der Zusammenarbeit, ebenso wie beim Führen auf Distanz, ein zentraler Erfolgsfaktor.

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