Marcel Châtelain: «Selbst bei einer Leitungsfunktion in Teilzeit muss die Führungsfunktion ungeteilt sein.»
Herr Châtelain, wieso arbeiten Sie seit 1983 Teilzeit?
Marcel Châtelain: Damals wollte ich meinen Sohn mitbetreuen und meine Frau wollte teilzeitlich weiterarbeiten. So bin ich auf den Geschmack gekommen. Heute dient mir das reduzierte Pensum dazu, soziale, kulturelle und kreative Aktivitäten wahrzunehmen und mich zu regenerieren.
«Sich zu regenerieren» – Wie ist die Reaktion auf diese Aussage?
Die Aussage, dass mir auch die Erholung für die Arbeit etwas bringt, wird immer noch als Schwäche ausgelegt – mit der unterschwelligen Annahme, ich sei wohl nicht mehr voll leistungsfähig. Ich behaupte das Gegenteil: Es macht mich leistungsfähiger. Aber auch heute noch muss ich mich rechtfertigen. Ausserdem drückt Vollzeit nur die zeitliche Präsenz aus und nicht die Leistung. Scherzhaft füge ich jeweils an, ich würde in 80 Prozent der Zeit 100 Prozent Leistung erbringen, im Gegensatz zu denjenigen, die in 100 Prozent der Zeit nur 80 Prozent Leistungen zeigen.
Haben Sie für andere Männer Vorbildcharakter?
Vor dreissig Jahren nicht. Wenn ich heute mit Leuten in meinem Alter rede – ich bin bald 60 –, merke ich, dass mein Arbeitsmodell sie zumindest zum Nachdenken bringt. Für jüngere Männer bin ich immer noch kein Vorbild, sie wollen 100 Prozent arbeiten. Obwohl wir unsere Stellen in der Regel zwischen 80 und 100 Prozent ausschreiben, auch für leitende Funktionen. Für Frauen hingegen bin ich Vorbild: Wenn ihr Chef «nur» Teilzeit arbeitet, dürfen sie das auch, auch in leitenden Funktionen.
Haben sich die Reaktionen Ihrer Umwelt seit 1983 zum Thema Teilzeit verändert?
Sie sind leider noch ähnlich. Verbessert hat sich die Bereitschaft von Unternehmen, Teilzeit überhaupt zuzulassen. Ich brauchte ja damals noch einen Regierungsratsentscheid, so exotisch war mein Wunsch. Die traditionellen Rollenbilder/-verteilungen scheinen mir aber trotzdem noch stark verwurzelt.
Es heisst oft, auf Führungsebene sei Teilzeit nicht möglich.
Das streite ich schlichtweg ab. Ein Führungsjob besteht aus Patchwork. Ich behaupte, mit einer schlauen Stellvertreterregelung und der Fähigkeit delegieren zu können, sind reduzierte Pensen von bis zu 40 Prozent möglich. Aber Flexibilität gehört dazu, manchmal gibt es eben Sitzungen am Abend. Teilzeit auf Führungsstufe bedingt zudem einen Führungsstil, der den Menschen Vertrauen entgegenbringt. Ein Kontrollfreak kann nicht Teilzeit arbeiten. Klar muss sein, wer der Chef ist. Selbst bei einer Leitungsfunktion in Teilzeit muss die Führungsfunktion ungeteilt sein.
Warum gibt es so wenige Teilzeitler auf GL-Ebene?
Der Status. Man meint, wer in einer Führungsfunktion nicht mindestens 100, gegen aussen 120 Prozent arbeite, sei schwach. Von mir aus gesehen scheitert es am Wollen. Am Wollen seitens der Unternehmen, aber in erster Linie am Wollen der Betroffenen selber.
Wäre (mehr) Teilzeitarbeit auf höchstem Niveau wünschenswert?
Ja. Führungsleute laufen Gefahr, ihren Motor zeitlich immer auf Höchstleistung laufen zu lassen und sich zu überfordern. Wenn sie ihn etwas runterfahren könnten, wären sie länger leistungsfähig, kreativer und die Ergebnisse wären besser.
Marcel Châtelain
arbeitet seit 1983 zwischen 70 und 80 Prozent. Er hatte immer Führungsfunktionen inne und ist heute Chef Amt für soziale Sicherheit Kanton Solothurn.