Reorganisation

Vom Licht in der Küche zum Licht für den Louvre: Kontinuität trotz Change

Das Familienunternehmen Erco GmbH hat schon in der Vergangenheit erfolgreich Change-Prozesse bewältigt. Als die Globalisierung und die Digitalisierung begannen, die Welt zu verändern, musste sich das Unternehmen ein weiteres Mal neu erfinden. Geschäftsführer Kay Pawlik erläutert, mit welcher Philosophie er in der Praxis Überzeugungsarbeit leistete, um die notwendigen Anpassungen mit Motivation und Leidenschaft durchzuziehen.

Herr Pawlik, welche Veränderungen haben Sie in der Unternehmensorganisation vorgenommen, die sich in der heutigen Lichtfabrik manifestiert haben?

Kay Pawlik: Bis Ende der neunzigerer Jahre war ERCO ein KMU mit einer klassischen Aufbauorganisation aus Geschäftsbereichen und Fachabteilungen. Diese Struktur hatte sich seit dem Wandel von einem Hersteller von Küchen- und Wohnraumleuchten zu einem Anbieter von professioneller Architekturbeleuchtung, der Anfang der 1970er Jahre stattfand, durchaus bewährt. Aber mit den neuen Paradigmen der Jahrtausendwende wie Beschleunigung, Vernetzung, Digitalisierung und Globalisierung musste sich ERCO ein weiteres Mal neu erfinden: Heute begreifen wir uns als Hersteller von professioneller Hard- und Software für Architekturbeleuchtung und damit auch als Dienstleister, denn Sie können keine digitalen Lichtanlagen an Kunden ausliefern, ohne zuvor eine ausführliche, dem Gebäude angepasste Beratung zu geben. Während wir also in der Vergangenheit eher für einen Massenmarkt produzierten, erhält heute jeder Kunde eine individuell angepasste Lichtanlage, das heisst, wir mussten eine neue Markt- und Kundendienstleistungsorientierung intern einführen. Das bedeutete vor allem, dass wir uns zu einer vernetzten Prozessorganisation entwickelten und bisherige Abteilungsgrenzen überwanden.

Heisst das, Sie haben die Abteilungsstruktur abgeschafft?

Nein, es geht weniger um die Abschaffung der Abteilungen als vielmehr um eine neue Geisteshaltung. In dem Wort «Abteilung» steckt die Bedeutung des Abtrennens, etwas wird geteilt, und das wollten wir überwinden. Deshalb haben wir das Unternehmen von der Aufbauorganisation zu einer Prozessorganisation umgebaut. Alle Unternehmensbereiche verstehen sich als Dienstleister für die zwei Hauptwertschöpfungsprozesse, die wir identifiziert haben: den Produkteinführungsprozess PEP und den Projektprozess PRP. Statt Abteilungsarbeit stehen jetzt Team- und Projektarbeit im Vordergrund. Jedes Team, egal in welchem Bereich, hat das gemeinsame firmenübergreifende Leitbild vor Augen, um das Gesamtziel zu erreichen. Alle Teams tauschen sich auch untereinander aus.

Wer hat die dafür nötige transparente Unternehmenskultur gestützt?

Die Einführung der Prozessorganisation wurde selbst als Projekt mit dem Titel «Werknetz» aufgesetzt und vom eigens dazu gegründeten Bereich Corporate Development geführt und moderiert. Er unterstützte die jeweiligen Teams bei der Prozessanalyse und beim Prozessdesign und organisierte die notwendigen Schulungen. Trainings zu Gattungsthemen wurden dabei auch extern eingekauft, alle  ERCO-spezifischen Fachthemen dagegen schulte ein internes Weiterbildungsteam.

Wie machen Sie Teams prozessfähig?

Jeder einzelne Mitarbeitende bekommt zuallererst den Vertrauensvorschuss, Potenzial für Prozessfähigkeit zu haben. Die Experten der Unternehmensentwicklung machten in der gesamten Organisation Potenzialanalysen, um erkennen zu können, wer wie befähigt ist, im Sinne des neuen Netzwerk-Gedankens arbeiten zu können. In diesen Analysen wurden auch ganz banale Fähigkeiten wie Englischkenntnisse abgecheckt. Wir führten zudem fortlaufend Prozessaudits durch, die über zwei bis drei Jahre liefen. Extrem wichtig bei diesem Vorgehen ist die totale Unvoreingenommenheit von Seiten der Führung und die absolute Gleichbehandlung aller Mitarbeitenden. Von Seiten der Mitarbeitenden ist es essenziell, Mut zur Lücke zu zeigen, um gezielt an den Defiziten zu arbeiten. Und zu unserer Freude konnten wir gegen Ende der Transformation feststellen, dass sich im Schnitt über 80 Prozent der Leute weiterentwickelten.

Wie haben Sie diejenigen weitergebracht, die im Veränderungsprozess nicht mithalten konnten?

Wir haben für jene einen internen Arbeitsmarkt eingeführt, um sicherzustellen, dass sie weiterhin wertschöpfend und mit innerer Motivation in anderen Positionen aktiv sein können. Kündigungen haben wir vermieden, weil diese zu Unruhe in der Belegschaft führen, was wir auf jeden Fall verhindern wollten. Und wenn es doch zu solchen kam, haben wir Outplacementberatung und Qualifikationsabgleichungen angeboten.

Und auch da gab es keine Unruhe?

Na ja, eine gewisse Unruhe halte ich in Veränderungsprozessen für gesund, denn sonst spürt niemand eine Transformation und es schleicht sich der Eindruck der Stagnation ein, die im Change kontraproduktiv ist. Eine gesunde Unruhe ist also positiv, aber Angst aufgrund von Unruhe sollte nicht entstehen dürfen.

Welche Methoden haben Sie angewandt, um den Wandel zur Netzwerkorganisation zu  vollziehen?

Beispielsweise haben wir an 15 Meter langen Stellwänden alle Prozesse visualisiert. Teams von je zehn Leuten wurden bewusst gemischt aus der Produktion, dem Einkauf, dem Vertrieb und aus dem HRM zusammengesetzt. Farbige Klebepunkte signalisierten verschiedene Verbesserungspotenziale. Rot stand für «kritisch», gelb für «Potenzial» und grün für «alles ok». Mit dieser Methode identifizierten wir die blinden Flecken in der gesamten Organisation und im Ablauf. Gleichzeitig waren alle an der Gestaltung aktiv beteiligt und dadurch entstand eine kollektive Verantwortung für den reibungslosen Ablauf aller Prozesse im Unternehmen. Den gleichen Vorgang unternahmen wir für die IT-Systeme, wodurch Medienbrüche schnell und sicher identifiziert wurden.

Wie viele Berater haben Sie in diesen Prozessen begleitet?

Bewusst keiner auf strategischer Ebene. Nur auf der Fachebene und für die neue IT-Infrastruktur holten wir uns externe Unterstützung.

Jedes Unternehmen hat einen kleinen Haufen prinzipieller Nein-Sager. Wie haben Sie die integriert?

Ich kann sagen, das wir auch schon früher nie kategorische Blockierer hatten, was bereits mit der originären Unternehmenskultur zu tun hat. Denn der Gründer Arnold Reininghaus bestand schon vor 75 Jahren auf folgende drei Wesensmerkmale:

  1. «Nur wer sich wandelt, bleibt sich treu.»
  2. «Von Befürchtungen allein kann man nicht leben.»
  3. «Eine geschlossene Hand kann nichts empfangen.»

Diese Leitsätze erleichterten die Transformation, denn durch sie war Veränderung dem Gencode von ERCO quasi schon eingeschrieben. Das Unternehmen stand niemals still.

Und diese Leitsätze allein reichten für eine reibungslose Transformation?

Ein hohes Mass an Vertrauen in junge Menschen ist ein weiterer wichtiger Faktor. Auch bei der Besetzung von Führungspositionen überspringen wir eine Generation, falls es uns sinnvoll erscheint. Wenn beispielsweise unter den geeigneten Kandidaten der beste zufällig erst 30 Jahre alt ist, dann ist dies kein Hindernis, um die Führungsposition zu übernehmen. Der gleiche Kandidat hätte aber auch 45 Jahre alt sein können – will sagen, Alter ist bei uns kein Kriterium. Dieses Leitbild unterstützte bereits Klaus-Jürgen Maack, der vorherige CEO. Als dieser in den Ruhestand ging, blieb er der Schirmherr des Projekts Werknetz. So fördert er dieses bewusst generationenübergreifende Denken und signalisiert damit auch weiterhin seine Unterstützung der gleichberechtigten, altersunabhängigen Unternehmenskultur. Mit diesem konkret gelebten Gleichberechtigungsgedanken hatten wir einen gut untermauerten Übergang in die neue Organisationsstruktur, der nicht nur Kontinuität signalisierte, sondern auch allfälligen Blockierern keine Chance bot. Aber wie in allen Veränderungsprozessen konnte nicht durchgehend jeder als Gewinner hervorgehen, manche verloren ihren Status und büssten damit auch an Einkommen ein. In der Summe überwogen die Gewinner deutlich.

Wie einfach rekrutiert man heutzutage Top Talents in die Provinz nach Lüdenscheid?

Davon abgesehen, dass es hier landschaftlich sehr schön ist und wir via Autobahn nur 20 Minuten vom Ruhrgebiet entfernt sind, ist Personalmarketing natürlich ein grosses Thema bei uns. Wir haben dafür diverse Massnahmen eingeführt wie die Abschaffung einer Kernarbeitszeit, da wir steigenden Bedarf nach mehr Flexibilität sehen. Überstunden sind bei uns deshalb kein Thema – man macht sie mal und dann mal wieder nicht. Ausserdem vergüten wir leistungsbezogen, um individuelle Erfolge zu honorieren und eigenständiges unternehmerisches Denken zu fördern. Jeder unserer 26 Projektleiter ist bei ERCO auch Unternehmer im Unternehmen. Und das funktioniert nicht zuletzt, weil wir nicht mehr tarifvertraglich gebunden sind. Trotzdem wird jedes Konzept mit dem Betriebsrat abgestimmt, was noch mehr unternehmerische Sicherheit bietet.

Und was die Ausbildung betrifft, entfernen wir uns bewusst von der klassischen 
kaufmännischen oder technischen Lehre. Stattdessen bieten wir gezielt ein Dutzend Werkstudentenplätze in den Fächern Betriebswirtschaft, Ingenieurswissenschaft, Wirtschaftsingenieur und Wirtschaftsinformatiker in Kooperation mit Instituten wie der Fachhochschule Südwestfalen an. Und dennoch, die Suche nach qualifizierten Fach- und Führungskräften wird weiterhin eine Herausforderung der Zukunft bleiben.

Das Unternehmen

Die ERCO GmbH ist Spezialistin für lichttechnische Soft- und Hardware für die Architekturbeleuchtung und nennt sich ERCO, die Lichtfabrik. «Wir verkaufen in erster Linie Licht und nicht Leuchten. Dieser Ansatz, der die immaterielle ‹Software› Licht über die Leuchten-Hardware stellt, prägt unsere Arbeit», heisst es auf www.erco.com. Das Unternehmen wurde 1934 von Arnold Reininghaus gegründet und war bis in die sechziger Jahre ein weltweit führender Hersteller von Küchen- und Wohnraumleuchten. Seit den siebziger und achtziger Jahren entwickelte sich ERCO unter der Führung von Klaus J. Maack zur Weltmarke für Architekturlicht. Weltweit beschäftigt ERCO heute 1100 Mitarbeiter, davon zirka 800 am Firmenhauptsitz in Lüdenscheid. Der Konzernumsatz lag 2007 bei rund 163 Mio. Euro, der Exportanteil betrug 79 Prozent.

Zu den Referenzprojekten gehören u.a. der Grand Louvre in Paris, das Hotel Adlon und das Reichstagsgebäude in Berlin, das Guggenheim Museum in Bilbao sowie die Flughäfen in Dubai, London-Stansted und Buenos Aires. ERCO erhielt vielfache internationale Auszeichnungen für Produkt- und Grafikdesign, Marketing und Corporate Identity. Kay Pawlik ist einer der vier Geschäftsführer.

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Connie Voigt ist 
Executive Coach bei der Firma «Inside Out» sowie Gründerin der Netzwerkorganisation «Interculturalcenter.com GmbH». Zudem ist sie Dozentin für Organizational Behavior an der Edinburgh Business School, FHNW Basel und FU Berlin.

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