HR Today 4/23: Das Urteil

Vorgeschobene Kündigungsbegründung: Was sagt das Bundesgericht?

Ein CEO erhält sechs Monatslöhne als Entschädigung für seine Kündigung, weil deren Begründung vorgeschoben war. Das Urteil des Bundesgerichtes zeigt, wie wichtig Massnahmen zur Konfliktlösung und deren Dokumentation sind. 

BGer 4A_259/2022, Urteil vom 23. Februar 2023

Das Urteil

Ein Arbeitnehmer wurde zum CEO einer neu gegründeten Gesellschaft ernannt. Der im betreffenden Geschäftsbereich erfahrene Arbeitnehmer brachte hierzu sein gut funktionierendes Team von seiner bisherigen Arbeitgeberin mit. Doch bereits vor und insbesondere nach dem Stellenantritt kam es zu Spannungen zwischen dem Arbeitnehmer und dem Verwaltungsrat. Der Arbeitnehmer sah sich aufgrund der wenig konstruktiven Omnipräsenz des Verwaltungsrats nicht in der Lage, die Gesellschaft in Ruhe zu führen und sein Team zu leiten. Der Arbeitnehmer bekundete daraufhin seine Unzufriedenheit mit der Situation, woraufhin er von der Gesellschaft beziehungsweise von seiner Arbeitgeberin aufgefordert wurde, zwei Wochen Urlaub zu nehmen, um in Ruhe zu versuchen, einen Ausweg aus der konfliktbeladenen Situation zu finden. Nachdem sich der Arbeitnehmer weigerte, den Urlaub zu beziehen, kündigte die Arbeitgeberin den Arbeitsvertrag mit der Begründung, der Arbeitnehmer habe behauptet, die Gesellschaft ohne Rücksicht auf die berechtigten Interessen und Erwartungen des Verwaltungsrats und des Mehrheitsaktionärs führen zu ­können, und sich geweigert, zwei Wochen Urlaub zu nehmen. Aus diesem Grund sei das Vertrauensverhältnis nicht mehr gegeben.

Der Arbeitnehmer erhob daraufhin Klage wegen missbräuchlicher Kündigung gegen die Arbeitgeberin, woraufhin das erstinstanzliche Gericht dem Arbeitnehmer eine Entschädigung in der Höhe von rund einem Monatslohn zusprach. Die zweite Instanz hob das erstinstanzliche Urteil sodann auf und sprach dem Arbeitnehmer die gesetzlich maximal zulässige Entschädigung von sechs Monatslöhnen zu.

Das Bundesgericht wies die dagegen erhobene Beschwerde der Arbeitgeberin ab und bestätigte die Missbräuchlichkeit der Kündigung. Die zweite Instanz habe zu Recht festgestellt, dass die Kündigungsgründe nur vorgeschoben seien. Es sei nicht ersichtlich, inwiefern die berechtigten Interessen und Erwartungen des Verwaltungsrats und des Mehrheitsaktionärs hätten gefährdet werden können. Ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers könne nicht festgestellt werden – die Konfliktsituation sei durch das Verhalten des Verwaltungsrats herbeigeführt worden. Zudem habe die Arbeitgeberin unter Missachtung ihrer Fürsorgepflicht nach Art. 328 Abs. 1 OR und unter Verletzung der Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers die Eingriffe des Verwaltungsrats in das operative Geschäft nicht verhindert und somit verunmöglicht, dass der Arbeitnehmer seine Funktion als CEO ausüben konnte. Im Weiteren habe die Arbeitgeberin vor der Kündigung keine geeigneten Massnahmen zur Konfliktbewältigung ergriffen. Die zweite Instanz habe daher Art. 336 OR korrekt angewendet.

Konsequenz für die Praxis: Konfliktsituationen genau dokumentieren

Das Bundesgericht bestätigt in diesem Urteil seine Rechts­sprechung, wonach sich die Missbräuchlichkeit einer Kündigung nicht nur aus den Kündigungsmotiven, sondern auch aus der Art und Weise ergeben kann, wie die kündigende Partei ihr Recht ausübt. So kann zum Beispiel eine schwere Persönlichkeitsverletzung im Vorfeld einer Kündigung diese als missbräuchlich erscheinen lassen. In der Praxis bedeutet das, dass die Arbeit­geberin sämtliche ihr zumutbaren Massnahmen ergreifen muss, bevor sie einen Arbeitnehmer aufgrund einer am Arbeitsplatz entstandenen Konfliktsituation, die sich nachteilig auf die gemeinsame Arbeit auswirkt, entlässt. Es empfiehlt sich, solche Mass­nahmen schriftlich zu dokumentieren, um in einem möglichen Gerichtsverfahren entsprechende Bemühungen nachweisen zu können.

Ausserdem sollte bei der Begründung von Kündigungen stets darauf geachtet werden, dass keine vorgeschobenen Gründe angegeben werden. Sollte es dem Arbeitnehmer bei einem Gerichtsverfahren gelingen, diese Kündigungsgründe zu ­entkräften, kann dies ebenfalls zur Missbräuchlichkeit der Kündigung führen.

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Andréa Autolitano

Andréa Autolitano ist Rechtsanwalt bei der Wirtschaftskanzlei Suter Howald Rechtsanwälte in Zürich und sowohl beratend wie prozessierend im Arbeitsrecht tätig. andrea. autolitano@suterhowald.ch; suterhowald.ch

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