Führung

Vorgesetzte sind 
Talent Manager per se

Noch immer tun sich viele Unternehmen schwer, ein effektives Talent Management einzuführen. Der Grund: Führungskräfte kümmern sich zu wenig um die Talentförderung und schieben die Verantwortung an die HR-Abteilung ab.

Nachhaltiges und wirtschaftliches Talent Management braucht Führungskräfte, die ihre Führungsaufgabe ernst nehmen und voll ausfüllen. Tatsache ist: Heute interessieren sich viele Vorgesetzte mehr für ihre Management- denn für ihre Führungsaufgaben. Wie eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung McKinsey ergab, zählen die mangelnde Einstellung der Führungskräfte sowie bereichsegoistisches Verhalten zu den Haupthindernissen beim Aufbau eines effektiven Talent Managements.

Gemäss der Umfrage sehen zudem zu viele Manager die Zuständigkeit für das Talent Management bei der HR-Abteilung und neigen dazu, die Aufgabe an diese zu delegieren. Aus Sicht der Personaler ist Talent Management hingegen vor allem eine Führungsaufgabe, die in den Verantwortungsbereich der Vorgesetzten fällt.

Brückenbauer für die Karriere von Mitarbeitenden

Talent Management krankt in vielen Unternehmen also nicht nur an mangelnder Führung, sondern auch daran, dass es unter den Beteiligten keine konsistente Einstellung zu diesem Thema gibt und dass die Verantwortlichkeiten sowie die Rollen nicht klar definiert sind. Rolf Wunderer, emeritierter Professor für Führungs- und Personalmanagement an der Universität St.Gallen (siehe auch Interview Seite 14), bringt das vor allem in Grossfirmen herrschende Dilemma auf folgenden Punkt: «In grösseren Unternehmen will man immer noch primär über Systeme, Strukturen und Prozesse führen. Doch gerade wenn es um Menschen geht, müssen Prozesse und Systeme mit individueller Führung verbunden werden.»

Will heissen: Gute Vorgesetzte entsprechen dem Bild eines Meisters, der seinen Schülern Brücken für deren Karriere baut. Die Mitarbeiter der HR-Abteilung sollten lediglich bei der Planung von neuen Instrumenten federführend sein und in Absprache mit den Vorgesetzten Entwicklungsmassnahmen für Talente entwerfen und deren Effektivität überprüfen.

Soll in einem Unternehmen eine fruchtbare Talent-Management-Kultur etabliert werden, sollte sich jeder Vorgesetzte bewusst sein, dass sich sein Part aufs Beobachten und Kontrollieren beschränkt. Und aufs Eingreifen, wenn mal was schief geht.

Mitarbeitende – vor allem talentierte Mitarbeitende – sind selbständig denkende Wesen mit einem eigenen Aufgabenbereich. Und sie verfügen über die Kompetenz, selbst zu entscheiden, wie sie die Arbeit erledigen. Dem Mitarbeitenden die Handlungskompetenz, dem Chef die Führungskompetenz – es könnte so einfach sein. «Leider sind noch zu viele Führungskräfte aufgrund fachlicher Kriterien in ihrer Funktion», konstatiert Carsten Henkel, Partner und Geschäftsführer von Roland Berger Strategy Consultants in der Schweiz. Er ortet bei vielen Vorgesetzten einen grossen Mangel an Fähigkeiten, Nachwuchskräfte zu entdecken und zu fördern. «Dies bedingt Leadership und die charakterliche Grösse, auch bessere und stärkere Leute im Team zu dulden und zu entwickeln.»

Finden, binden und entwickeln von Talenten ist Chefsache

Der viel zitierte Krieg um die Talente, der Fachkräftemangel sowie die demografischen Entwicklungen werden dafür sorgen, dass immer mehr Unternehmen realisieren, dass Talent Management mehr ist als ein wechselseitiger Aktionismus zwischen Programmen zum Personalabbau und solchen zur Personalbeschaffung. Talent Management ist eine langfristig angelegte und verzahnte Strategie zum frühzeitigen Entdecken, Binden und Entwickeln von Mitarbeitern. Und sie ist Chefsache, denn jeder Vorgesetzte ist ein Talent Manager. Ein Weg, wie diese sich ihrer Führungsverantwortung wieder mehr bewusst werden könnten, führt für Wolfgang Jäger, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Wiesbaden, über die Änderung der Incentivierungssysteme: «In den Beurteilungs- und Gratifikationssystemen müsste der Bedeutungsanteil von klassischen Führungsaufgaben drastisch erhöht werden.»

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Sandra Escher Clauss ist freie Journalistin.

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