«War for talents»: Die Talente schlagen zurück
Jammern in der Kaffeepause war gestern – heute tauschen sich die Frustrierten im Web 2.0 aus. Dort bewerten sie ganz ungeniert ihre Arbeitgeber und plaudern über Interna. Erstaunlicherweise geht es dabei (meist) ganz zivilisiert zu und her.
«Bösartige Spinner dominieren die Arbeitsplätze – es ist Zeit zurückzuschlagen!», konstatiert der Autor und selbsternannte «Democratizer of Information» Guy Kawasaki aus Palo Alto. In seinem Blog «How to change the world» ermuntert er alle Werktätigen, die Referenzen ihrer möglichen zukünftigen Chefs so gründlich auszuspionieren, wie diese es umgekehrt wohl auch tun. Natürlich schlägt er Bewerbern nicht vor, ihre Vorgesetzten in spe gleich um eine Referenzenliste zu bitten («Du kannst das natürlich tun, aber das würde heissen, auf den Job zu verzichten»), sondern er liefert eine Anleitung dafür, wie das Beziehungsnetz einer bestimmten Person über die Social-Web-Seite LinkedIn abgeklärt und bei Bedarf auch ausgenutzt werden kann. Dazu ist nicht einmal die Mitgliedschaft in diesem Netzwerk nötig.
Transparenz durch Anonymität?
Wie Guy Kawasaki treten die wenigsten Blogger im Internet auf. Meist wählen sie ein Pseudonym – schliesslich ist es ja oft gerade die Anonymität, die das Bloggen so attraktiv macht. In ihrem Schutz kann man nicht nur ungehemmt über die Welt, die lieben Mitmenschen und die eigene Befindlichkeit schwadronieren (was die Mehrheit der Blogger tut), sondern auch trendig negatives «Employer Branding» betreiben, sprich: dem Arbeitgeber ungestraft eins überbrennen.
Eher ausnahmsweise tun dies Blogger allerdings mit so viel Engagement und Beharrlichkeit wie ein Ex-Mitarbeiter der Migros, der seinen Blog zu einem wahren Forum der Migros-Kritiker gemacht hat. Gemeinsam kommentieren sie Rabattaktionen, Werbekampagnen und gelegentlich auch Migros-Interna. Warum, erklärt der Blogger auf der Startseite in aller Deutlichkeit: Er wurde kurz vor Weihnachten 2003 entlassen, «und das nach über 13 Jahren Einsatz im Alter von 50 Jahren». Imagewerbung der unbeliebten Art – für das Unternehmen.
Wer etwas Recherchierlust und Geduld mitbringt, findet auf der Schweizer Blog-Suchmaschine slug.ch den einen oder anderen interessanten Hinweis auf Schweizer Unternehmen und ihre Chefetagen. Alleine der Name «Ospel» generiert, was nicht erstaunt, 473 Einträge. Sämtliche Namen der bekannten Schweizer Arbeitgeber tauchen irgendwann, irgendwo in einem Blog auf – meist ganz nebenbei, ohne (bösartige) Absicht. Wer etwa das Suchwort «Personalchefin» eingibt, erfährt unter anderem, wie eine Mutter über HR Manager denkt, die keine Ahnung haben über die Strukturen und Öffnungszeiten von Kindertagesstätten. Unter «SBB» ist der amüsante Erfahrungsbericht eines Bähnlers zu finden, der sich nach einem Blitzschlag im Hauptbahnhof vollbepackt drei Stockwerke hoch zu seinem Pausenraum schleppt, wo ihm genau 20 Minuten zur Erholung bleiben. «Und dies nach dem ‹Fit im job›-Kurs», scherzt der Blogger.
Freundliche Rankings
Ebenfalls mehrheitlich freundlich erweisen sich die User der Online-Ranking-Seite kununu.ch, auf der sie ihre Arbeitgeber bewerten dürfen – wirklich miserable Noten werden kaum je erteilt. Punkte (maximal fünf) dürfen abgegeben werden zu Kriterien wie Chef, Kollegen, Arbeit, Arbeitsatmosphäre, Kommunikation, Gleichberechtigung, Karriere und Weiterbildung, Gehalt und Sozialleistungen oder auch das soziale und/oder ökologische Bewusstsein des Unternehmens, die Freizeit und das Image. Unter Fringe Benefits, die zwar nicht zur Gesamtnote beitragen, aber das Gesamtbild der Firma abrunden sollen, fungieren Kantine, Homeoffice, Mitarbeiterrabatte oder die Frage, ob der «Hund geduldet» sei.
Die Verantwortlichen der Seite weisen ausdrücklich darauf hin, dass eine geringe Anzahl von Bewertungen «unter Umständen» nicht repräsentativ sei – was ein schiefes Licht auf die Top-Ten-Arbeitgeber wirft, die allesamt nur von einer oder höchstens zwei Personen bewertet wurden. Etwa von deren Geschäftsführern? Die Note 3.17 (Bestnote: 5) für die UBS AG in Zürich scheint hier schon etwas glaubwürdiger, kam sie doch aus 19 Bewertungen zustande.
Kein Blatt vor den Mund nehmen manche Kununu-Mitglieder allerdings in ihren Kommentaren: «In dieser Firma wird Mobbing grossgeschrieben», erfährt die geneigte Leserschaft da etwa, «von 25 Mitarbeitern haben 18 wegen schlechten Bedingungen gekündigt» oder «sehr zielgeführte, konservative Firma, wenig persönlicher Spielraum».
Austausch mit Profis
Keine Einwegkommunikation, sondern echten Austausch bieten spezialisierte Blogs für Fachkräfte, wie beispielsweise der unter jungen Werktätigen offenbar beliebte bewerberblog.de. Hier finden sich nicht nur dramatische, tragische und haarsträubende Erlebnisberichte rund um den Bewerbungsprozess, sondern auch Antworten auf Fragen wie: «Wie werde ich Katastrophenhelferin?», «Muss man Arbeit und Privatleben trennen können?» oder «Wie serviert man Mankos auf dem Silbertablett?» Während sich hier viele Schicksalsgenossen auf die virtuellen Schultern klopfen, steuern echte HR-Profis den einen oder anderen wirklich hilfreichen Insider-Tipp bei.