Spirituelle Intelligenz

Warum Topmanager «spirituelle Intelligenz» nötig haben

Nach den jüngsten Unregelmässigkeiten im Management bei Volkswagen oder dem Fussballweltverband Fifa sieht sich Mathias Schüz in seiner Forderung bestärkt: In den Augen des Dozenten für Responsible Leadership an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) müssen Führungskräfte von morgen ihre «spirituelle Intelligenz» verbessern – schliesslich hätten schon die alten Griechen ihre Emotionen für ihre Zwecke nutzen können.

Viele junge Nachwuchskräfte streben in Unternehmen nach einer «guten Karriere» mit der Aussicht, einmal eine Führungsposition innezuhaben. Welche Kompetenzen sollten sie mitbringen bzw. entwickeln, damit sie ihrer künftigen Verantwortung voll und ganz gerecht werden können?

Eine Antwort hängt davon ab, was man unter der Verantwortung einer Führungskraft versteht. Die Vorstellungen darüber haben sich gerade in den letzten Jahren erheblich gewandelt: Man hat erkannt, dass Unternehmen nicht länger nur auf ihre Profitabilität achten, sondern zugleich auch der Gesellschaft und der Natur dienen müssen. Sonst besteht die Gefahr, dass sie von ihrer sozialen und natürlichen Umwelt als schädlich gebrandmarkt und als nutzlos diskreditiert werden. Die von Adam Smith abgeleitete Vorstellung, dass die blinde Verfolgung des Eigeninteresses von einer «unsichtbaren Hand» in Gemeinwohl verwandelt wird, hat sich angesichts der aktuellen ökonomischen, sozialen und ökologischen Krise als obsolet erwiesen.

Demzufolge trägt eine Führungskraft nicht nur funktional die Verantwortung für die Profitabilität und sozial für das gute Auskommen mit allen Stakeholdern ihres Bereichs oder Unternehmens, sondern darüber hinaus auch ökologisch für die sinnvolle Einordnung aller unternehmerischen Aktivitäten in das grössere Ganze der Natur. Dabei sollte das generelle Ziel sein, letztlich die Konsequenzen ihres Handelns nachhaltig auszurichten, sprich: auch für künftige Generationen mehr Nutzen als Schaden zu stiften.

Gesucht: «Emotionale Intelligenz»

Von einer nachhaltig verantwortungsvollen Führungskraft (sustainably responsible leader) wird also nicht nur technisches «knowing how», wie man ein Unternehmen profitabel am Leben erhält, und ethisches «knowing whom», wie man mit allen Stakeholdern gut auskommt, erwartet, sondern auch ästhetisches «knowing why», inwieweit das eigene Handeln dem Ganzen langfristig dienlich ist (vgl. Arthur/ Claman/ DeFilippi 1995). Welche Kompetenzen sollte eine Führungskraft mitbringen, damit es diesen Dimensionen der Verantwortung gerecht werden kann?

In der Auswahl und Entwicklung von Führungskräften dürfte es inzwischen im Human Capital Management etabliert sein, dass eine Führungskraft nicht nur kognitive (IQ), sondern auch emotionale Intelligenz (EQ) mitbringen sollte. Erstere erlaubt, durch lineares Denken den technischen Anforderungen einer erfolgreichen Organisation zweckrational gerecht zu werden, während letztere durch assoziatives Denken und Fühlen die ethischen Herausforderungen im Umgang mit Stakeholdern bewältigt. Aber die meisten Trainingsprogramme sind immer noch sehr auf die Techniken der Führung und weniger auf ethische Kompetenzen ausgerichtet. Wie kann man lernen, mit den unterschiedlichsten Interessen, Sprachen und Logiken der Stakeholder zurechtzukommen, etwa mit ihnen in einen konstruktiven Dialog treten zu können?

Ökologische Dimension wird vernachlässigt

Betrachten wir zum Beispiel die emotionale Intelligenz beim Umgang mit Mitarbeitern: Wir wissen zwar, dass diese für ihre Arbeitskraft nicht nur einen angemessenen Lohn, sondern auch Sicherheit, guten Umgangston, Respekt und faire Behandlung am Arbeitsplatz erwarten. Aber wissen wir wirklich, wie ihre Würde zu achten, ihre Authentizität und Teamfähigkeit zu fördern und den Sinn ihrer Arbeit verständlich zu machen ist? Sind wir in der Lage, sie auf die unterschiedlichen Ansprüche aller anderen internen und externen Stakeholder einzustellen? Solche Kompetenzen werden bis heute nicht wirklich systematisch trainiert. Die bereits vor 2500 Jahren von Aristoteles durchdachte und heute verschiedentlich ausgearbeitete Tugendethik liefert hierzu eine ganze Reihe von Übungsprogrammen, die man allerdings erst vereinzelt auch in Firmen einsetzt.

Noch weniger wird die dritte, ökologische Dimension der Verantwortung bewusst entwickelt. In den USA hat man hierfür die sogenannte intuitive oder auch sogenannte spirituelle Intelligenz (SQ) entdeckt. Mit ihr verfügt eine Führungskraft die Fähigkeit:

  • intuitiv grössere Sinnzusammenhänge zu erfassen
  • Hoffnungen und Visionen für eine gewünschte Zukunft zu hegen
  • günstige Gelegenheiten (windows of opportunities) blitzartig zu erkennen und auch persönlich wie beruflich nutzbringend wahrzunehmen
  • ihre Sinne für Kontexte etwa der inneren und äusseren Natur zu aktivieren
  • sich selbst und den Sinn ihres Tuns zu reflektieren und dadurch Lösungen für Probleme des eigenen und fremden Überlebens zu entdecken
  • also gewissermassen die ökologische Nische ihres Tun und Lassens zu kreieren und vollkommen auszufüllen

Es sind nicht nur Hirnforscher, Neurophysiologen und –psychologen, welche die drei unterschiedlichen Funktionen des Gehirns des linearen, assoziativen und holistischen Denkens entdeckt haben. Der notwendige Zusammenhang dieser drei unterschiedlichen Hirnaktivitäten für ein geglücktes Leben entspricht auch den Erfahrungen derjenigen, die nach allgemeinem Dafürhalten eine «gute Karriere» gemacht haben.

Im Rückblick auf ihre Karriere machen erfolgreiche Leader neben ihrem Fachwissen und guten Beziehungsnetz oft als dritten Faktor auch glückhafte Umstände, günstige Gelegenheiten oder den Zufall für ihre Laufbahn verantwortlich. Warum und wie sie diese wenig greifbaren Situationen überhaupt wahrnehmen und nutzen konnten, wird dann meist nicht weiter reflektiert.

Angela Serratore ist 2012 an der School of Management and Law in einer unveröffentlichten Studie dieser weit verbreiteten Auffassung nachgegangen. Eine Befragung von 41 Führungskräften bestätigte, dass diese ihren Erfolg in Wirtschaft und Politik tatsächlich auf drei Faktoren zurückführen:

  • auf gutes Fachwissen
  • Beziehungsnetz
  • Orientierungs- bzw. Reflexionswissen

Mit letzterem wird häufig die Fähigkeit verbunden, intuitiv Gelegenheiten für neue Karriereschritte, die einem versteckt oder offensichtlich geboten werden, zu erfassen und auch wahrzunehmen.

Das wird dann häufig auch als «Glück», das man gehabt habe, bezeichnet. Dass dazu gewisse Fähigkeiten erforderlich sind, haben schon die alten Griechen gewusst. Sie haben die «günstige Gelegenheit» oder der «rechte Zeitpunkt», der Kairos, als eine Gottheit dargestellt, die nur an der Stirnseite Haare trägt, auf dem Hinterkopf jedoch kahl ist. Wem sich also der Kairos nähert, der sollte geistesgegenwärtig sein «Glück beim Schopfe packen». Ansonsten hat er vor lauter Bedenken und Ängsten seine Chance für sich und sein Unternehmen verpasst.

Um Erfolg zu haben, sollte man also auch Tugenden wie Achtsamkeit, Demut, Entschlossenheit, Initiative, Mut, Offenheit, Optimismus und Weisheit entwickelt haben. Diese erlauben es, Neuland zu betreten, selbst wenn man damit nach rationalen Gesichtspunkten durchaus erhebliche Risiken eingeht. Eine entwickelte Intuition zeigt jedoch an, ob sich mit der Chance tatsächlich eine einmalige «window of opportunity» aufgetan hat, die man nicht ungenutzt vorübergehen lassen sollte – und genau diese Kompetenz wird auch von heutigen Führungskräften verlangt, die in der Lage sein müssen, sich in einer hoch dynamischen und komplexen Welt zu orientieren und Entscheidungen unter Unsicherheit zu treffen, die längst nicht mehr mit kognitivem und emotionalem Denken allein zu verantworten sind, sondern auch von einer «geschulten Intuition» getragen sein müssen. Und, wie die Biographien grosser Karrieren immer wieder gezeigt haben, solche Entscheidungen treffen häufig auch die Bedürfnisse des Ganzen und erweisen sich dann als erfolgreich.


Spirituelle Intelligenz lässt sich antrainieren

Selbstverständlich stellt sich nun die Frage, ob und wie man die spirituelle Intelligenz trainieren kann. Neben den Traditionen in Ost und West, die eine Vielzahl von Methoden zur Selbst- und Ganzheitsreflexion wie Meditation, Kontemplation und verschiedene Yogamethoden anbieten, gibt es auch Wege der Kunst-, Outdoor- Naturerfahrungen, aber auch verschiedene tiefenpsychologische Methoden, wie sie etwa Carl Gustav Jung zur Individuation oder Viktor Frankl zur Sinnfindung entwickelt haben.

Welchen Weg jemand einschlägt, hängt natürlich auch von seinem psychologischen Typus ab. Ist er etwa nach der Typologie C. G. Jungs ein Denk-, Fühl-, Wahrnehmungs- oder Intuitionstyp, extra- oder introvertiert? Je nachdem ergeben sich für ihn andere Zugänge zum inneren Selbst oder äusseren Ganzen.

Danah Zohar und Ian Marshall haben in ihrem Buch «Spiritual Intelligence – The Ultimate Intelligence» eine ganze Reihe von Tests und Methoden zur Einübung in diese Form der Intelligenz vorgestellt. In der Entwicklung des nachhaltigen Verantwortungsbewusstseins von Führungskräften sollten wir uns solchen Übungsformen auch in Unternehmen nicht länger verschliessen, denn sie sind unabdinglich, dass der Mensch mit seinen Organisationen sich wieder sinnvoll in das grössere Ganze der Gesellschaft und Natur einfügt.

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Prof. Dr. phil. Mathias Schüz studierte Physik, Philosophie und Pädagogik, war fast 20 Jahre in Grossunternehmen tätig und ist nun Professor für Responsible Leadership am Zentrum für Human Capital Management an der School of Management and Law (ZHAW).

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