Warum wir genau jetzt «Moti-Viren» brauchen!
In guten Zeiten ist es einfach, über Sinn zu sprechen und zu schreiben. In unternehmerischen Leitbildern, Ethik-Reports und Nachhaltigkeitsberichten stehen deshalb auch meistens die schönsten Absichtserklärungen. Wenn die Nerven in schwierigen Zeiten blank liegen, zeigt sich, wer es ernst damit meint und für wen Unternehmens-Ethik nur reine Marketing-Kommunikation ist.
Der Fokus muss weg vom Corona-Virus hin zu einem «Moti-Virus» – mit Blick in die Zukunft. (Bild: iStock/HR Today)
Es wird gerade viel darüber philosophiert, dass die Post-Corona-Zeit begonnen hätte. Ich halte das für verfrüht. Die wahren Aus- und Nebenwirkungen dieser Pandemie werden wir wohl erst mit der Zeit erkennen – positive wie auch negative.
Die «Zwangsdigitalisierung» durch Corona war wie ein Knall in der sowieso schon schnellen digitalen Entwicklung. Jeder Schreibmaschinen-Fetischist und jeder CEO mit einer ärztlich attestierten Homeoffice-Intoleranz hat spätestens jetzt bemerkt, dass das Unmögliche gar nicht so unmöglich ist. Die Mitarbeitenden wurden innerhalb weniger Tage mit Laptops und Zugangsdaten zu Meetings- und Kollaborations-Software fürs Homeoffice ausgerüstet.
Corona hat in wenigen Tagen die Digitalisierung der Arbeitswelt vorangetrieben und insgeheim ist man stolz, diese Hindernisse der digitalen Neuzeit gemeistert zu haben. Dies wird auch massive Auswirkungen auf den stationären Handel und viele Branchen haben. Gerade wenn Unternehmen sparen müssen, macht es sich gut, wenn man auf teure Reisen verzichtet und unter dem Label des Umweltgedankens PR-wirksam auf Online-Meetings umsteigt.
Wenn etwas so Tiefgreifendes wie die Covid-19-Pandemie passiert, ist es ratsam, danach kurz innezuhalten und zu analysieren, was wirklich geschehen ist und was man (vielleicht) daraus lernen könnte. Krisen als Chancen auszurufen, mag inhaltlich oft stimmen, kommt jedoch bei Menschen mit akuten existenziellen Problemen, die durch diese Krise entstanden sind, extrem schlecht an. Vor allem, weil wir immer noch in einer Krise sind und sie uns wahrscheinlich noch länger beschäftigen wird, lohnt es sich, bereits heute zu hinterfragen, wie Corona unsere Arbeitswelt und damit auch unser Leben nachhaltig verändert hat und weiter verändern wird.
Neue Kultur des Vertrauens?
Zukünftig wird das Homeoffice wohl einen weitaus höheren Stellenwert einnehmen als bisher. Daraus resultiert aber eine neue Disziplin für Führungskräfte: Die Führung auf Distanz. Dies bedingt zwingend, dass man über Begriffe wie Vertrauen, Selbstdisziplin, Sinnstiftung und Empathie in den Unternehmen vertieft sprechen muss. Denn, ist kein gegenseitiges Vertrauen da, wird Homeoffice nicht funktionieren. Der Mythos, dass im Homeoffice (also ohne Kontrolle des Vorgesetzten) weniger gearbeitet wird, gehört endlich aus der Welt geschafft. Laut einer repräsentativen Studie von Prof. Michael Beckmann von der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Basel arbeiten Angestellte bei Vertrauensarbeitszeit pro Woche durchschnittlich 80 Minuten länger als Angestellte mit festen Arbeitszeiten.
Trotzdem ist die Präsenz der Mitarbeitenden vielen Führungskräften heute immer noch enorm wichtig. Vermittelt sie doch eine Art «Sicherheit». Hier muss und wird sich die Führungskultur verändern. Hin zu weniger Kontrolle, dafür mehr echtes Vertrauen. Kurz: Leadership muss sich wandeln. Weg vom Befehlsgeber hin zum Teamplayer. Eine Führungsperson ist Dienstleister seiner Mitarbeitenden. Ist man als Führungskraft an alten Denkmodellen gebunden, wird es in neuen Strukturen eng. Die Strukturen verlangen nach weniger Führung, dafür nach echten inhaltlichen Autoritäten. Anführer*innen, die es schaffen, Menschen hinter sich zu vereinen, um ein Ziel zu erreichen, das wirklich Sinn macht und Werte verkörpert. Man könnte sie vielleicht «Sinnfluencer» nennen.
Fokus auf die Zukunft
«Alles lächerlich», «Alles nur eine Modeerscheinung». Diese Begriffe höre ich öfters von Unternehmer*innen oder Führungskräfte. Auch Nokia hat über Apple gelacht, als bekannt wurde, dass sie mit einem Mobiltelefon in den Markt einsteigen möchten. Swatch hat gelacht, als Apple eine Uhr angekündigt hat. Veränderungen scheinen oft unmöglich, bis jemand kommt und es einfach (vor-)macht.
Diejenigen, die jetzt ihren Fokus richtig setzen, die Verantwortung übernehmen, konstruktiv handeln, die ihr Geschäftsmodel, ihre Kommunikation und ihren Führungsstil selbstkritisch hinterfragen, haben die Chance auf eine gute Zukunft. Denn Corona kann Unternehmen zu Innovationssprüngen «zwingen», für die man vorher zu ängstlich war.
Liest man in Facebook die Schuldzuweisungen und was alles falsch gelaufen ist, hilft das im Moment niemandem. Der Fokus muss weg vom Corona-Virus hin zu einem «Moti-Virus». Dieser spezielle Virus darf ansteckend sein und kann unglaubliche Nebenwirkungen haben. Legen wir den Fokus also auf die Möglichkeiten. Es geht schliesslich nicht nur um unsere eigene Zukunft, sondern auch um die Zukunft aller Mitarbeitenden in den Unternehmen und um die Zukunft unserer (Arbeits-)Welt. Das alles sollte es uns wert sein, mutig in die Zukunft zu blicken und Veränderungen wirklich anzugehen.