«Was ist denn heute schon langfristig?»
Der tief verankerte menschliche Wunsch nach langfristigen Bindungen steht auf drastische Weise in Kontrast zur oftmals rauen, wirtschaftlichen Realität. Auf dem Arbeitsmarkt werden die Gegensätze augenscheinlich.
Mitarbeiter kommen und gehen. Manche würden gerne länger bleiben, werden aber vom Unternehmen zum Gehen gezwungen. (Bild: 123RF)
«Geboten wird eine langfristige Anstellung, …. langfristige Perspektiven, …. eine langfristig ausgerichtete Wachstumsstrategie,… ein langfristiger Einsatz Ihrer Führungsqualitäten». Dies sind nur einige beliebige Zitate aus Stelleninseraten, in welchen Arbeitgeber potentiellen Kandidaten Kontinuität in Aussicht stellen, mitunter Arbeitsplatzsicherheit vorspiegeln und somit unter Umständen falsche Hoffnungen auf Bewerberseite wecken.
Kurzlebige Unternehmenswelt
Wir erfahren regelmässig von Arbeitsverhältnissen, die kurz nach Beginn wieder aufgelöst werden. Nicht etwa als Folge ungenügender persönlicher Leistungen, sondern aufgrund firmeninterner oder äusserer Ereignisse, die rückblickend voraussehbar gewesen wären. So berichtet ein Kandidat – stellvertretend für andere – von der kurzen Abfolge zwischen seiner Rekrutierung (inklusive einer Vielzahl absolvierter Interviews und Tests), der erfolgten Firmenfusion kurz vor seiner Anstellung, der darauffolgenden Versetzung in ein anderes Team mit einem neuem Chef, inklusive Funktionswechsel ab Tag eins, und der Entlassung noch in der Probezeit. Was auch immer die Gründe für die Kündigungen sind: Die Betroffenen fühlen sich nicht selten von ihren Vorgesetzten hintergangen, als Manövriermasse missbraucht und in ihrer Selbstachtung verletzt. Beklagt wird nicht so sehr die Auflösung des Anstellungsverhältnisses an sich, sondern fehlende Kommunikation und Transparenz – sei es im Vorfeld der Anstellung oder danach.
Vermeintliche Job-Hopper werden bestraft
Job-Hopper haben auf dem Arbeitsmarkt einen schweren Stand: Ihr Lebenslauf wird unverzüglich mit dem unsichtbaren Stempel einer unsteten Persönlichkeit versehen. Teilweise mag dies berechtigt sein. Aber oftmals – wie im oben geschilderten Fall – ist der rasche Stellenwechsel ungewollten und unglücklichen Umständen geschuldet. HR-Verantwortliche sollten aus Erfahrung mit der eigenen Firma am besten wissen, dass hochmotivierte Mitarbeitende nicht selten «Opfer» interner Umwälzungen werden. Von opportunistischen Schachzügen im Sinne des berechnenden Job-Hoppings von früher kann heutzutage keine Rede mehr sein – zu gross ist die bestehende Unsicherheit auf dem Arbeitsmarkt. Die meisten Stellensuchenden wünschen sich ein langfristiges Arbeitsverhältnis und sehnen sich nach Stabilität und Kontinuität.
Wunschbild versus Realität
Schon im Kindesalter lernen wir, dass wir von unseren Mitmenschen nichts erwarten dürfen, was wir nicht willens oder fähig sind, selber zu erfüllen. Hand aufs Herz: Sind sich rekrutierende HR- oder Linienverantwortliche immer ganz sicher, dass ihr Unternehmen die an die Mitarbeitenden gestellten Erwartungen auch selbst erfüllt – konkret, einen langjährigen Zeithorizont? Und dass sie die im Inserat angedeuteten Zusicherungen tatsächlich garantieren können – konkret, Arbeitsplatzsicherheit und eine langfristige Perspektive? Hier ist kritische Selbstreflexion auf allen Ebenen dringend nötig.
Über Fairness im Rekrutierungsprozess
Reorganisationen, Entlassungen, Verkäufe, Fusionen, Schliessungen, Auslagerungen, Funktions-, Standort- oder Chefwechsel: Die Gründe sind vielfältig, weshalb das Innenleben von Firmen innert kürzester Frist auf den Kopf gestellt wird. Hektische Rochaden und Restrukturierungen scheinen teilweise zum Alltag in gewissen Firmen geworden zu sein. Kandidaten erzählen uns von wiederholten, zum Dauerzustand mutierten Reorganisationen in Grossunternehmen. Befremdend ist dabei die Tatsache, dass neue Mitarbeitende auch dann noch angestellt werden, wenn die Firma bereits kurz vor einer Übernahme steht oder sich auf wackeligen Beinen bewegt.
Kein firmeninterner «Code of Conduct» legitimiert solche verantwortungslosen Verfehlungen, solche Mankos an Transparenz und Anstand. Wie fair ist es unter solchen Umständen, von potentiellen neuen Mitarbeitenden Langfristigkeit zu erwarten respektive Bewerber abzuweisen, die möglicherweise kein dauerhaftes Engagement garantieren können? Welche Firma ist heute allen Ernstes in der Lage, Arbeitsplatzsicherheit zu garantieren? Es wäre wünschenswert, wenn Arbeitgeber im Sinne eines ethischen Verhaltens bei Neubesetzungen etwas mehr unternehmerische Weitsicht walten liessen und weniger kurzfristig agierten. Selbstverständlich gilt dies auch für Bewerber, die in ihrem opportunistischen Verhalten ihrerseits Fairplay vermissen lassen. Einen verantwortungsbewussten und respektvollen Umgang mit Kandidaten, sprich eine realitätsnahe Information bewies beispielsweise jener Recruiter, der im Bewerbungsverfahren in aller Deutlichkeit auf das Risiko eines mittelfristigen Firmenverkaufs hinwies. Dadurch, dass mit offenen Karten gespielt wurde, bewahrte er sich und mögliche neue Mitarbeitende vor unnötigen späteren Enttäuschungen.
Fehlende Aufstiegs- und Entwicklungschancen
Gelegentlich liegen die Gründe für eine unbeabsichtigte, verkürzte Verweildauer der Mitarbeitenden im Unternehmen nicht in den Umwälzungen heutiger Marktgegebenheiten. Leider sind es gelegentlich auch vielmehr «hausgemachte» Ursachen, weshalb sich Arbeitnehmende in ihrem Wunsch auf eine langfristige Firmenzugehörigkeit enttäuscht sehen: Fehlende interne Perspektiven, unzureichende Nachwuchsförderung oder ausbleibende Karriereplanung sind die entsprechenden Stichworte hierzu. Der Verlust wertvoller Know-how-Träger wird dabei teilweise auf erstaunlich unbekümmerte Weise in Kauf genommen.
Unbestritten ist sicherlich, dass Unternehmen aufgrund der Schnelllebigkeit am Arbeitsmarkt keine Lebensstellen mehr anbieten können. Umso wichtiger ist es daher in Zeiten steten Wandels, in die Mitarbeiterbindung zu investieren, in erster Linie in die Kommunikation – im Sinne eines beidseitigen Bekenntnisses zu Verbindlichkeit.