Im Gespräch

Was wird künftig entscheidend sein im Wettkampf um die besten Kandidaten?

Wer die richtigen Mitarbeitenden findet, einstellt und dauerhaft hält, ist im Vorteil gegenüber der Konkurrenz. Doch welche Evaluationsmethoden halten das, was sie versprechen? Prof. Dr. Heinz Schuler, einer der führenden Personalpsychologen Europas, wissenschaftlicher Leiter von S&F Personalpsychologie und HR Diagnostics, zeigt wichtige Perspektiven auf.

Welche aktuellen Trends sind im Bereich  der Personalauswahl auszumachen?

Professor Schuler: Ganz aktuell zählt neben der Qualität der Auswahlentscheidung ein ganz anderes Kriterium: Geschwindigkeit. Unternehmen, die es schaffen, schneller als bisher und vor allem schneller als die Wettbewerber die richtigen Mitarbeitenden einzustellen, bauen ihre Wettbewerbsposition nachhaltig aus. Das gilt freilich nur, wenn die Geschwindigkeit nicht zu Lasten der Qualität geht. Deshalb haben gegenwärtig Methoden der internetbasierten Personalvorauswahl eine besondere Bedeutung. In manchen Branchen deshalb, weil es gilt, schnell zu sein und die Bewerbungsprozesse für die Bewerber so einfach und bequem wie möglich zu gestalten. In anderen Branchen, um auch Bewerber aus geografisch entfernten Gebieten beziehungsweise aus dem Ausland kostengünstig in den Beschaffungsprozess einbeziehen zu können. Häufig werden solche Instrumente auch eingesetzt, weil es nach wie vor sehr viele Bewerber für eine Vakanz gibt. Price
waterhouseCoopers, SwissLife oder Daimler nutzen solche Technologien seit Jahren und sichern damit ihre Wettbewerbsfähigkeit.

Kann denn im Internet überhaupt eine zuverlässige Vorauswahl erfolgen?

Ja. Tatsächlich lässt sich zeigen, dass eine Bewerbervorauswahl mit wissenschaftlich fundierten Tests zu wesentlich besseren Erfolgsprognosen führt als beispielsweise mit Bewerbungsunterlagen oder elektronischen Personalfragebögen. Die Prognoseleistungen von Tests sind hierbei bis zu sechsmal besser als mit Bewerbungsunterlagen.

Wie lässt sich das erklären?

Wenn auf Basis einer soliden Anforderungsanalyse festgestellt werden konnte, was wirklich erfolgsrelevante Merkmale sind, die einen Mitarbeitenden für eine bestimmte Vakanz qualifizieren, lassen sich diese Merkmale durch zielgerichteten Einsatz von Tests viel besser messen als durch die zeitaufwendige Lektüre von Bewerbungsunterlagen. Ausserdem sind die Ergebnisse objektiver als andere Informationsquellen und machen Bewerber deshalb besser untereinander vergleichbar. Und genau dies ist eine notwendige Voraussetzung, um wirklich solide Zukunftsprognosen treffen zu können.

Bedeutet dies denn, dass ohne Anforderungsanalyse keine Tests durchgeführt werden können?

Eine Anforderungsanalyse stellt immer die Basis dar, weil sich dabei herausstellt, welche Merkmale einer Person für eine erfolgreiche Ausübung der angestrebten Tätigkeit notwendig oder zumindest förderlich und welche Merkmale unbedeutend oder gar hinderlich sind. In manchen Fällen ist eine vollständige Anforderungsanalyse allerdings entbehrlich – dann beispielsweise, wenn für bestimmte Berufe auf Erfahrungen und wissenschaftliche Ergebnisse zurückgegriffen werden kann. Aber überall da, wo unternehmensspezifische Besonderheiten gelten oder wenig Erfahrung mit einer bestimmten Berufsgruppe vorliegt, ist man mit einer Anforderungsanalyse gut beraten.

Was halten Sie von der Verwendung von Kompetenzmodellen in diesem Zusammenhang?

Kompetenzmodelle haben für gewöhnlich zwei grosse Schwachstellen: Sie sind häufig geprägt von Begriffen, die unwissenschaftlich sind und sich nicht gut messen lassen. «Helikopterview» oder «Konfliktfähigkeit» sind solche Beispiele. Ausserdem sind sie meistens viel zu umfangreich – ich kenne Unternehmen, die verwenden 20 oder gar 80 verschiedene Kompetenzen in ihrem Modell. Die Mehrheit hiervon ist redundant, einige Merkmale haben mit beruflichem Erfolg in einer bestimmten Position nichts zu tun und wiederum andere schliessen einander gegenseitig aus. Das stiftet dann mehr Verwirrung als Nutzen – erst recht, wenn die Verwender zusätzlich freie Auswahl haben, welche Kompetenz sie denn heute verwenden wollen, um eine Position zu besetzen.

Und meistens bestehen Kompetenzmodelle ohnehin nur aus einer Ansammlung positiv besetzter Merkmale, denen auch unternehmensintern niemand zu widersprechen vermag: Wer würde schon sagen, dass Teamfähigkeit und soziale Kompetenz für einen bestimmten Beruf unwichtig sind? Niemand. Aber tatsächlich gilt, dass es eine ganze Menge Berufe gibt, bei denen ein hohes Mass dieser beiden Merkmale eher schädlich ist als nützlich. Wer beispielsweise als Jurist arbeitet, muss nicht zwangsweise teamfähig sein, weil weite Teile der Arbeit Einzelarbeit sind. Und jemand, der eine primär verwaltende Aufgabe hat, muss nicht zwangsweise sozial kompetent sein. Menschen mit hohen sozialen Kompetenzen nutzen diese auch gerne. Wer dann einen Beruf hat, in dem sich so etwas nicht ausleben lässt, der wird schnell unglücklich. Und das ist ein guter Garant für Fluktuation.

Gibt es denn überhaupt allgemein erfolgsrelevante Merkmale in der Personalauswahl?

Es gibt solide Befunde dazu, dass bestimmte Merkmale für nahezu jede berufliche Tätigkeit von Bedeutung sind. Dazu zählt beispielsweise allgemeine Intelligenz, berufliche Integrität, Leistungsmotivation, Gewissenhaftigkeit und emotionale Stabilität. Die erforderliche Ausprägung dieser Merkmale mag je nach Beruf unterschiedlich sein, aber gerade für diese Merkmale gilt: je mehr, umso besser.

Was ist denn Integrität und wie kann man so etwas messen?

Integrität ist ein zeitstabiles Persönlichkeitsmerkmal, dessen individuelle Ausprägung eine verlässliche Prognose darüber erlaubt, ob sich eine Person deviant verhalten wird, wenn die Gelegenheit dazu besteht. Es gibt da dieses schöne Sprichwort: «Gelegenheit macht Diebe». Das ist nicht richtig. Die Gelegenheit, einen Diebstahl zu begehen, ist nur die unmittelbar notwendige Voraussetzung, so etwas zu tun. Die Gelegenheit ist aber nicht hinreichend zur Erklärung von Diebstählen. Ansonsten müssten wir alle täglich viele Diebstähle begehen, weil sich mannigfache Möglichkeiten dazu anbieten. Wir tun es aber nicht. Nicht die Gelegenheit bestimmt das Verhalten, sondern die persönliche Disposition. Und genau diese persönliche Disposition, sich entgegen geltenden Regeln und Gesetzen zu verhalten, lässt sich psychologisch diagnostizieren. In unseren Forschungsarbeiten konnten wir berechnen, dass der Einfluss von Persönlichkeitsmerkmalen eine rund 4,5fach höhere Bedeutsamkeit hat, um Devianz und dolose Handlungen zu erklären, als situative Begebenheiten. Im Berufsleben kann man damit nicht nur vermeiden, Leute einzustellen, die später Diebstähle begehen, bestechlich sind, Informationen missbrauchen oder sonst wie betrügen, sondern auch solche Bewerber aussondieren, die eine hohe Neigung haben, ihre Kollegen zu mobben.

Der wirtschaftliche Hebel einer solchen Methode ist evident, deshalb kommen Integritätstests wie das Persönlichkeitsinventar zur Integritätsabschätzung PIA zunehmend häufiger zum Einsatz. Die Messung funktioniert im klassischen Format eines Persönlichkeitstests: Bewerber bekommen Aussagen vorgelegt, zu denen sie auf einer siebenstufigen Skala angeben müssen, inwieweit diese auf sie ganz persönlich zutreffen. Durch geeignete Techniken lässt sich auch die Manipulierbarkeit solcher Tests auf ein Minimum reduzieren, sodass sehr verlässliche Ergebnisse resultieren.

Welche Rolle spielt denn das klassische AC, wenn solche Methoden auf dem Vormarsch sind?

Jüngste Forschungsergebnisse aus dem Jahr 2007 zeigen, dass die meisten ACs schlecht funktionieren – viel schlechter als ihr Ruf und viel schlechter, als es angesichts des damit verbundenen Aufwands angemessen wäre. Es gibt positive Ausnahmen, aber die sind leider selten. Insbesondere Gruppen-ACs schneiden schlecht ab. Einzel-ACs können bei fachgerechter Gestaltung gute Dienste leisten, jedoch nur dann, wenn sie mit Sachkunde konstruiert und angewendet werden. Gerade beim AC ist dies aber häufig nicht der Fall.

Wird denn Ihrer Meinung nach das AC aussterben?

Nein, das ist nicht zu erwarten, und es wäre auch diagnostisch schade. Die Zusammenstellung mehrerer Auswahlverfahren zu einem einheitlichen Vorgehen ist prinzipiell richtig. Die Frage ist nur, was kombiniert wird und wie unterschiedliche Methoden zueinander gewichtet werden, wenn es an die Ergebnisauswertung geht. Ein Grundprinzip guter Personalauswahl ist es, drei Zugangswege zu nutzen, um das berufliche Potenzial einer Person voll zu erschliessen: die biografiebezogene Diagnostik – hier wird aus der Vergangenheit der Person auf ihre Zukunft geschlossen –, die eigenschaftsbasierte Diagnostik – Messung stabiler und anforderungsrelevanter Persönlichkeitsmerkmale – und drittens die simulationsbasierte Diagnostik – der Einsatz von Arbeitsproben oder ähnlichen Methoden, um das aktuelle Niveau der Aufgabenbeherrschung durch Simulation und Beobachtung zu erschliessen. Wenn diese drei Zugangswege miteinander kombiniert werden, resultiert eine multimodale Eignungsdiagnostik. Hiermit lassen sich prinzipiell hervorragende Ergebnisse erzielen. Die in Europa übliche AC-Praxis ist jedoch – anders als im angloamerikanischen Sprachraum – primär simulationsorientiert und vernachlässigt wichtige Eigenschaftsmerkmale.

Leitet sich aus dieser Kombination auch der Begriff des Multimodalen Interviews MMI her?

Ja, das ist richtig. Das Multimodale Interview wurde entwickelt, um in einem einzigen, effizient einsetzbaren Instrument alle diagnostischen Zugangswege zu kombinieren. Kein Mensch wird heutzutage eingestellt, ohne dass es zuvor ein Einstellungsinterview gegeben hätte. Und damit diese gleichermassen beliebte wie verbreitete Methode besser funktioniert, als es unstrukturierte Gespräche tun können, wurde mit dem MMI ein teilstandardisiertes Gespräch geschaffen, das den höchsten psychometrischen Qualitätsanforderungen gerecht wird, aber andererseits doch den angenehmen Gesprächscharakter behält. Man kommt damit auf ganz hervorragende Validitäten und kann den beruflichen Erfolg einer Person somit relativ sicher prognostizieren. Obschon ein solches Interview je nach Zielgruppe in 45 bis 90 Minuten durchgeführt werden kann, ist es nach wie vor eine recht teure Auswahlmethode verglichen mit psychologischen Testverfahren. Deshalb steht es im Regelfall auch nicht schon am Beginn, sondern erst am Ende eines mehrstufigen Auswahlprozesses. Durch den Einsatz einer guten testbasierten Vorauswahl kann jedoch sichergestellt werden, dass die persönliche Gesprächszeit gut investiert wird – nämlich in die potenziell am besten geeigneten Kandidaten.

Was ist aus Ihrer Sicht gegenwärtig der wichtigste Zukunftstrend in der Personalrekrutierung?

Ich denke, dass die Zukunft integrierten Systemen gehört. Es ist heutzutage nicht mehr sinnvoll, Prozesse der Bewerberverwaltung und der Personalauswahl zu trennen. Es gibt gute Methoden, beides miteinander zu integrieren. Das spart nicht nur Prozesskosten, sondern macht das Potenzial der personaldiagnostischen Methoden besser nutzbar als bisher. Ausserdem lassen sich Rekrutierungsprozesse so enorm beschleunigen.

Deshalb meine ich, dass mehrstufige Auswahlprozesse mit webbasierter Vorauswahl, Testung von Bewerbern in geschützter Umgebung und dem Einsatz guter Interviews, Rollenspiele und Arbeitsproben tatsächlich die Rekrutierungslandschaft der kommenden Jahre bestimmen werden. Darüber hinaus gibt es vielversprechende Innovationen in der Entwicklung neuer Testformate. Dazu zählen beispielsweise Situational Judgment Tests oder so genannte Hybridtests.

Und was wird Ihrer Meinung nach künftig keine Bedeutung mehr haben bei der Personalauswahl?

Personalverantwortliche sind, was den Einsatz von Methoden anbelangt, heute aufgeklärter und kritischer als noch vor zehn Jahren. Deshalb sind unseriöse Methoden tatsächlich stark auf dem Rückzug. Das gilt beispielsweise für grafologische Gutachten, die nachweislich keine Prognosekraft für beruflichen Erfolg besitzen. Das gilt aber auch für unseriöse Methoden in ACs wie Stressinterviews oder Postkorbaufgaben – beide stiften keinen Nutzen, belasten Bewerber aber sehr. Im Testmarkt ist eindeutig ein Trend weg von so genannten typologischen Verfahren zu verzeichnen. Diese Typenindikatoren gehen zurück auf veraltete und heutzutage wissenschaftlich widerlegte Theorien. Sie schaden mehr, als sie nutzen, und sind ethisch nicht vertretbar, weil sie Menschen klassifizieren und sogar stigmatisieren. Solche Methoden haben in moderner Personalarbeit keinen Platz mehr.

Was möchten Sie HR-Verantwortlichen darüber hinaus noch an Ratschlägen mit auf den Weg geben?

Nur einen: Die Auswahl des richtigen Personals ist die wichtigste Aufgabe in Unternehmen. Mit der falschen Mannschaft an Bord lässt sich keine Regatta gewinnen, da kann das Boot noch so gut sein und der Wind aus der besten Richtung blasen. Das müssen HRManager gleichsam als Aufgabe und Verantwortung begreifen. Kein Training und keine Personalentwicklung können korrigieren, was bei der Personalauswahl falsch gemacht wird. Es ist die Verantwortung des HR-Managements, die richtige Mannschaft auszuwählen, und es ist seine Aufgabe, dafür die richtigen Methoden einzusetzen. Nur so ist HR das, was es gerne sein möchte: glaubwürdiger Business-Partner und Wertschöpfungsfaktor im Unternehmen zugleich.

Das Gespräch wurde im Rahmen des jährlich stattfindenden BOSSforums geführt, bei dem aktuelle Informationen, Trends und Erfahrungen des HRM in einem ausgewählten Kreis von Experten und Praktikern diskutiert werden. Im Rahmen von interaktiven Workshops werden die verschiedenen Perspektiven eines Themas beleuchtet und anhand von konkreten Praxisbeispielen erläutert. Das nächste BOSSforum findet am 24. September 2008 zum Thema Retention statt. Informationen im Internet: www.bossconsult.com

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