Wenn Fachkräfte keine Perspektiven haben, sind sie schwer zu halten
Experten tragen mit ihrem spezifischen Fachwissen zur Wertschöpfung eines Unternehmens genauso viel bei wie dessen Manager. Viele Unternehmen haben bereits erkannt, dass sie Fachkarrieren gezielt fördern und Anreize bieten müssen, um Fachspezialisten zu gewinnen und zu halten. Denn fehlen dem Experten die Perspektiven, wird er das Unternehmen vielleicht schon bald verlassen wollen.
Die Fachkompetenz von Experten kann den Erfolg des Unternehmens massgeblich mitgestalten. Der klassische Weg war bisher, gute Fachkräfte mit einem Aufstieg in eine Führungsposition zu «belohnen». Das birgt jedoch nicht nur Risiken für das Unternehmen. In Linienlaufbahnen geht mit der Zeit das aktuelle Fachwissen verloren, da der Fokus nicht mehr auf einzelne Themenbereiche sondern auf das Gesamtergebnis gerichtet ist. Der Experte verliert nach und nach den Bezug zu seinem eigentlichen Themenbereich, in dem er zuvor leidenschaftlich tätig war. Ist er in der Führungsposition unglücklich, ist oft der Weg zurück versperrt.
Karrieren auf Augenhöhe sind eine Herausforderung
Für Lucas Schellenberg, Executive Searcher bei Stanton Chase International und verantwortlich für den Schweizer Markt, ist der Unterschied zwischen einer Fach- und Führungskraft so eklatant, dass er sogar in der Regel davon abrät, Fachspezialisten in eine Managementrolle zu heben. Nicht selten aber kommt der Anspruch vom Fachspezialisten selbst, ein Team führen zu wollen, was Unternehmen in ein Dilemma bringen kann. Schellenberg gibt hier zu bedenken: «Der beste Verkäufer ist nicht auch ein guter Verkaufsleiter.» In der Regel verliere das Unternehmen einen Superverkäufer und «gewinne» einen schlechten Verkaufsleiter. Schliesslich ist es auch Talentfrage, wer sich für eine Führungsaufgabe eignet. «Fachwissen plus Führungskompetenzen können durchaus eine ideale Kombination sein», meint Schellenberg.
Der Absprung in eine Führungslaufbahn sollte jedoch rechtzeitig und mit dem gezielten Aufbau der notwendigen Führungskompetenzen geschehen. Viele Fachspezialisten eigneten sich aber nicht für eine Führungskarriere. «Und die meisten Experten wollen gar nicht führen», stellt Schellenberg fest. Fachkarrieren machen sich jedoch nicht von alleine. Es braucht die Initiative vom Spezialisten, der rechtzeitig entscheiden muss, welchen Weg er gehen will und wohin eine etwaige Fachkarriere ihn führen soll, genauso wie vom Unternehmen.
Der Spagat zwischen Fach- und Führungslaufbahn stellt die Unternehmen nicht selten vor eine grosse Herausforderung. Die reine Fachkräfteentwicklung bietet ohne den Aufstieg in eine Führungsposition einen relativ kleinen Spielraum. Als Konsequenz müssen die Unternehmen eine klare Option für eine Fachlaufbahn anbieten. «Um Fachkarrieren zu etablieren, müssen alte Hierarchiestufen aufgebrochen werden», sagt Wolfgang Schmidt-Soelch, neuer Leiter Heidrick & Struggles Schweiz. Bisher war es nur möglich, bis zum Managing Director aufzusteigen, wenn man auch Führungsaufgaben übernommen hatte. Heute können Fachspezialisten auch eine Themenführung auf gleicher Stufe übernehmen wie die Führungskräfte. Eine ideale Fachkräfteentwicklung beginne damit, Respekt zu kreieren zwischen fach- und führungsorientierten Mitarbeitern. Laut Schmidt-Soelch wird die General-Management-Idee nicht mehr favorisiert. «Man hat die Notwendigkeit erkannt, neben der Führungslaufbahn eine Fachlaufbahn bis ins obere Management aufzubauen.»
Ob Fachspezialisten neben den Führungskräften auf einer Hierarchieebene mit gleichen Statussymbolen oder dem gleichen Gehalt bestehen, ist auch eine Frage der innerbetrieblichen Wertschätzung. Dies setze eine Kultur voraus, in der möglich ist, dass Fachspezialisten und Führungskräfte sich auf Augenhöhe begegnen können, meint Schmidt-Soelch. In vielen Häusern sei dies bereits möglich. «Unternehmen bieten immer häufiger getrennte Fachkarriere- und Führungskarrieregänge, ohne die nötige Durchlässigkeit zu verlieren.» Der Experte müsse sich anerkannt fühlen – nicht erst wenn Entscheidungen anstehen, sondern über die gesamte Laufbahn hinweg.
Fachspezialisten beziehen ihre Anerkennung auch im Netzwerk mit anderen Experten, inERFA-Zirkeln(1) oder im konzernweiten Austausch. «Für eine gute Fachkraft ist Networking ein sehr wichtiger Bereich ihrer Arbeit», sagt Brigitta Schläpfer, Geschäftsleiterin der Personalberatung Humanis. Hier erfahre ein Experte auch in der Regel einen Teil seiner Wertschätzung. Im Grunde stehe und falle aber die Wertschätzung mit dem Vorgesetzten. «In der Regel wissen gute Führungskräfte, was sie an ihren Fachspezialisten haben», betont Schmidt-Soelch. Auch für Dr. Sylvia Branke, Managerin Talent-Management bei Towers Perrin, steht fest: «In grossen und mittelständischen Unternehmen gibt es eine grosse Achtung vor der Fachkompetenz.»
Wunsch nach transparenten Karrierewegen
Ausschlaggebende Faktoren, um die Experten im Unternehmen zu halten, sind nicht nur Geld und die Bindung an den Vorgesetzten. Fachkräfte wollen auf Augenhöhe mit Kollegen auf der Managementlaufbahn positioniert sein und wünschen sich nicht zuletzt vor allem transparente Karrierewege. «Diese Richtung können wir genau beobachten», so Branke.
«In wirtschaftlich anspruchsvollen Zeiten ist es schwerer, Fachspezialisten zu einem Wechsel zu bewegen», sagt Brigitta Schläpfer, Geschäftleiterin der Personalberatung Humanis. Gute Fachkräfte halten besonders jetzt an ihrer Position fest. Auch Schmidt-Soelch beobachtet, dass gute Fachkräfte im Moment eher dazu neigen, in ihrer Position zu verharren. «Da muss schon ein deutlicher Unterschied zwischen dem jetzigen und einem potenziellen Arbeitgeber vorliegen.» Wenn Unternehmen jedoch in diesen Zeiten sich nicht darum bemühen, als Arbeitsgeber für die Experten weiter attraktiv zu sein, tun sie sich keinen Gefallen. «Das kann schnell zum Bumerang werden», so Schläpfer. Denn die Mitarbeiter spüren das sehr wohl und werden sich in besseren Zeiten schneller abwenden. Im Allgemeinen sei die Loyalität den Arbeitgebern gegenüber schlechter geworden. Alte Werte wie Stabilität, Sicherheit oder Langfristigkeit könnten auch von den Unternehmen heute kaum noch gelebt werden. Um hochspezialisierte Fachkräfte zu gewinnen, reicht es eben für Unternehmen nicht, nur auf den Faktor «Gehalt» zu setzen.
Fachspezialisten an ihrem Beitrag zur Wertschöpfung messen
Für gute Fachkräfte sind vor allem der Inhalt einer Aufgabe und die Weiterbildungsmöglichkeiten entscheidend. «Für Experten ist das Employer Branding noch viel entscheidender als für Führungskräfte», so Schmidt-Soelch. Status, Ruf und Ansehen des Unternehmens und eine Kultur, die es zulässt, dass eine Fachkraft angesehen wird, hätten an Bedeutung gewonnen. «Unternehmen, die gerade in der Umstellungsphase sind, tun sich hier noch schwer.»
Der Fokus, gezielt Fachkräfte im Unternehmen zu halten, hat in den vergangenen Jahren zugenommen. «Wir erhalten verstärkt Beratungsanfragen in diesem Bereich», berichtet Branke. Es sei durchaus ein Trend zu verzeichnen, dass Fachkarrieren eine Alternative zu Führungskarrieren darstellen. Es gehe aber hier um ausgesprochen ausgesuchte Funktionen. Um Fachkarrieren zu etablieren, die gleichberechtigt zur Führungslaufbahn sind, sollten nicht nur einzelne Expertenpositionen deklariert werden, sondern eine wirkliche Expertenlaufbahn angesetzt werden. Diese kann von Expert Junior über Expert Senior bis zum Expert Leading erfolgen und eine fachliche Führung auf Abteilungs- oder Bereichsebene. Die Aufgaben führen über die Entwicklung neuer Lösungen und Schnittstellenkoordination bis hin zur Repräsentation des Unternehmens nach aussen.
Letztlich sollten Fachspezialisten an ihrem Beitrag an der Unternehmenswertschöpfung gemessen werden. Danach richtet sich auch die Vergütung, die durchaus das Niveau der Führungskräfte der jeweiligen Stufe erreichen kann. Experten können auf jeder Stufe, bis zur Vorstandsebene, als strategische Berater fungieren. «Das sind sehr hohe Anforderungen», bekräftigt Branke. «Expertenpositionen sollten jedoch nur dort etabliert werden, wo sie wirklich notwendig sind.»
Dass die Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt knapp sind, macht die Situation der Unternehmen nicht einfacher. Bieten sie keine klare Perspektive, laufen sie Gefahr, dass Experten das Unternehmen verlassen und die Lücke nicht wieder geschlossen werden kann. «Deshalb schauen die Unternehmen differenziert hin und sind auch sehr offen für diese Diskussionen, was vor einigen Jahren noch nicht der Fall war», so Branke.
- 1 ERFA steht für Erfahrungsaustausch-Gruppen. Der Fachverband fördert den Austausch von Fachwissen in verschiedenen Gruppen, organisiert nach Branchen, Fachgebieten und Sprachregionen. Zudem besteht eine ERFA-Gruppe für Certified Internal Auditors (CIA).