Wenn künstliche Intelligenz zum Mitarbeiter wird
Einen Beschleunigungsschub, wie wir ihn im Moment erleben, hat die Menschheit zuletzt bei der Industrialisierung gesehen, sagt Zukunftsforscher Georges T. Roos. Damals hat die Dampflok für Tempo gesorgt. Heute sind es vor allem die Informations- und Kommunikationstechnologien, die uns auf Trab halten. Noch haben wir den optimalen Umgang mit der Informationsflut nicht gefunden. Meist ist der Fortschritt schneller als der Mensch. Ein Blick in die Arbeitswelt von Morgen.
Noch müssen sie viel lernen, aber der Fortschritt macht keinen Halt: Roboter wie «Roboy», der an der Universität Zürich entwickelt wurde. (Bild: Keystone)
Herr Roos, wird die Arbeitswelt stark tangiert von den Veränderungen der Zukunft?
Ja, davon gehe ich aus. Ich sehe generell vier Megatrends auf uns zukommen, also Themen, die uns beschäftigen werden: Die demographische Entwicklung, die Wissensgesellschaft, die Technologie und die Gesundheit. All diese Bereiche tangieren auch die Arbeitswelt stark.
Die demographische Entwicklung ist schon länger ein Thema. Was wird konkret passieren?
Die Erwerbsbevölkerung wird im Durchschnitt älter sein als heute. Das erfordert ein generationenspezifisches, strategisches HR-Management. Im Zuge der geburtenschwachen Jahrgänge werden wir mit einer Verknappung von Human Resources konfrontiert sein. Eine Möglichkeit, das zu umgehen, ist die bessere Integration von Frauen in die Erwerbsbevölkerung. Heute arbeiten 60 Prozent der Frauen Teilzeit. Die Unternehmen werden, unterstützt von der Politik, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern müssen. Zumal vor allem in jüngeren Generationen Frauen besser ausgebildet sind als Männer, lohnt sich ihre Integration auch volkswirtschaftlich.
Welche Rolle spielen Digital Natives?
Laut Microsoft Schweiz werden im Jahr 2020 die Hälfte der Erwerbstätigen Digital Natives sein. Sie haben andere Wertevorstellungen von Arbeit, sind technikaffin, flexibel und leistungsorientiert. Gleichzeitig sind sie «Kinder der Erlebnisgesellschaft»: Arbeit muss ihnen Spass machen, sie wollen soziale Beziehungen pflegen können, eine gewisse Autonomie in der Gestaltung ihrer Arbeit geniessen. Es wird interessant sein zu beobachten was passiert, wenn die ersten von ihnen in Chefpositionen vorrücken.
Was hat es mit dem zweiten Trend, der Wissensgesellschaft, auf sich?
Im Jahr 2020 dürfte die Hälfte der Erwerbstätigen in der Schweiz einen tertiären Abschluss in der Tasche haben. Das entspricht den zunehmenden Ansprüchen der Wirtschaft in einem globalisierten Wettbewerb. Die Schweiz ist in Forschung, Entwicklung und Innovation sehr gut aufgestellt. Gemessen an der Anzahl Patente in triadischen Patentfamilien (angemeldet beim amerikanischen, europäischen und japanischen Patentamt) pro Million Einwohner schlägt uns nur Japan. Das stimmt zuversichtlich. Zudem sind wir nach wie vor ein Hightech-Industrieland und stützen uns nicht nur auf Dienstleistungen. Aber wir dürfen nicht nachlassen – wir brauchen weiterhin sehr gut ausgebildete Leute. Weiterbildung wird also wichtiger.
Wie wird der technologische Fortschritt unsere Arbeit beeinflussen?
Die Informations- und Kommunikationstechnologie wird viel mehr mobiles Arbeiten ermöglichen. Auch haben wir damit ständig und von überall Zugriff auf sehr viel Wissen und Informationen. In einem nächsten Schritt wird das Internet der Computer zum Internet der Dinge. Das heisst: die reale Welt, unsere Umgebung, wird mit einer Informationswelt überlagert. Ein Beispiel dafür ist die Google-Brille, welche die uns sichtbare Welt mit Informationen erweitert. Auch künstliche Intelligenz wird wohl in der Arbeitswelt eingesetzt werden und diese stark beeinflussen. Systeme, die unsere natürliche Sprache und selbst Ironie verstehen können. Sie können Hypothesen bilden und diese selber überprüfen. Wenn das System einen Fehler bemerkt, lernt es dazu. Sinnbild dafür ist Watson von IBM, das Computersystem wird in Pilotprojekten bereits im Gesundheitswesen oder in der Finanzwelt eingesetzt. Was diesbezüglich auf uns zukommt, ist sehr schwer abschätzbar. Bei den Smartphones wird es bald heissen: Goodbye Siri, hello Watson! Die Herausforderung wird die Bewältigung der Informationsflut sein. Dafür müssen neue Modelle entwickelt werden. Künstliche Intelligenz könnte dabei helfen.
Der Gesprächspartner
Georges T. Roos ist Gründer des Zukunftsforschungsinstituts Roos Trend & Futures und der European Futurists Conference Lucerne. Seit 1997 analysiert er die treibenden Kräfte des gesellschaftlichen Wandels und hat mehrere Bücher zum Thema verfasst. Zudem ist Roos Mitglied des Vorstands von swissfuture – der Schweizerischen Vereinigung für Zukunftsforschung. Roos wurde auch schon als «Zukunftsoptimist» beschrieben: Neben den Herausforderungen, welche die Zukunft bringen wird, betont er immer auch die Chancen, die sich eröffnen.
Und der Megatrend Gesundheit?
Einerseits nehmen psychische Erkrankungen, Depressionen, ADHS und ähnliches epidemisch zu. Das müssen die Firmen irgendwie in den Griff bekommen. Andererseits hat Gesundheit einen Eigenwert erhalten. Wellness, Fitness, gesunde Ernährung sind zum Kult geworden und mancherorts fast ein Religionsersatz. Es wird viel Prävention betrieben. Am Horizont zeichnet sich ein neues Paradigma ab, was unter Gesundheit verstanden wird und direkt Einfluss auf die Arbeitswelt hat: Die Verbesserung des Menschen, indem seine Leistungsfähigkeit durch pharmazeutische Mittel geboostet wird. Wenn der Druck steigt, körperlich und geistig eine gute Performance hinzulegen, steigt das Bedürfnis nach Hilfsmitteln. Das hat sehr problematische Seiten. Aber auch Vorteile. Wenn der Busfahrer zum Beispiel durch eine Pille ohne gravierende Nebenwirkungen acht Stunden die volle Aufmerksamkeit bringen kann, ist die Unfallgefahr kleiner.
Was sind die brennendsten Fragen zur Arbeitswelt von morgen?
Zum Beispiel, ob fixe Arbeitszeit, die Entschädigung von Präsenz im Sinne einer 42-Stunden-Woche, noch zeitgemäss ist. Es zeichnet sich ab, dass es nicht so leicht ist, einen Ersatz zu finden. In der wissensbasierten Wirtschaft müssen wir ein neues System finden, um Leistung zu entschädigen. In den USA gibt es solche Versuche. Die Firma «Bestbuy», vergleichbar mit «Mediamarkt» bei uns, hat beispielsweise nur noch nach Leistungsvereinbarungen entschädigt. Leider hat sich das Modell bei einem CEO-Wechsel nicht durchgesetzt. Aber Zukunft funktioniert nie ohne Rückschläge. Das ist kein Todesstoss.
Wie stellen Sie sich das Arbeiten in Zukunft vor?
Mit mehr Freiräumen. Räumlich, zeitlich und auch die Hierarchie betreffend. Kreatives Denken wird sehr wichtig sein. Eine wachsende Zahl von Menschen wird wohl nicht nur einen Arbeitgeber haben, sondern ein Portfolio. Es wird mehr Austausch, mehr Kooperation geben.
Brauchts dafür auch neue Büros?
Die räumliche Umgebung hat mit Sicherheit Einfluss auf unsere Arbeit. Die Büros der Zukunft sind in verschiedene Zonen für die verschiedenen Arten von Arbeiten eingeteilt. Design und Ästhetik spielen eine wichtige Rolle. Studien haben bewiesen, dass schön designte Maschinen eine längere Lebensdauer haben, weil wir sorgfältiger umgehen mit Dingen, die uns gefallen.
Welche Rolle spielt der Mensch in der Entwicklung? Passen wir uns schnell an?
Die Menschen sind meist langsamer als der technologische Fortschritt. Es kann sein, dass Neuerungen wie zum Beispiel höchst flexibles Arbeiten, Home Office, Autonomie in der Zeiteinteilung von vielen gar nicht gewünscht sind. Das kann zu einer Bremswirkung führen. Meist zwingt uns die Technologie aber zur Anpassung. Im Moment erleben wir einen extremem Beschleunigungsschub, der stark mit der Informations- und Kommunikationstechnologie zusammenhängt. Neue Daten oder neues Wissen stürzen geradezu auf uns nieder. Aber sie veralten auch immer schneller. Selbst Gesetze werden vermehrt im Eilzugstempo aufgesetzt. Der Anpassungsdruck ist enorm gestiegen. Einen solchen Schub hatten wir das letzte Mal während der Industrialisierung.
Wie sind die Menschen damals mit dem Wandel umgegangen?
Damals diskutierte man, dass die Geschwindigkeit der Dampfloks ungesund sei für den menschlichen Geist. Als Beweis diente die Tatsache, dass bei 40 bis 50 km/h alles nahe bei den Füssen verschwommen wird. Man sieht nicht mehr, wie schnell man ist. Die Lösung war damals, den Blick in die Weite zu richten. Am Horizont zieht die Landschaft gemächlich vorüber. Heute fahren unsere Züge 300 km/h und sie müssen schon sehr weit sehen, damit das Bild klar bleibt. Wir haben heute die gleichen Bedenken wie damals, nur auf höherem Niveau. Es geht um kulturelle Anpassung. Wir werden, beispielsweise mit der E-Mailflut einen besseren Umgang finden müssen. Ein Versuch ist zum Beispiel die Ausweichung auf eine Art firmeninternes Facebook.
Was wird in Zukunft noch gleich sein wie heute?
Das kommt auf den Zeithorizont an. Aber ohne revolutionäre Umbrüche würde ich sagen, bleibt gleich, dass wir in einer arbeitsteiligen Welt unser Wissen und Können auf den Arbeitsmarkt bringen und dafür entschädigt werden. Auch das Bedürfnis der meisten Menschen, ihre Arbeit gut zu machen, wird bleiben. Trotz all der Technologie wird der Mensch das wichtigste Kapital sein und bleiben. Vielleicht wird er sogar noch mehr wertgeschätzt, weil wir die Fähigkeit haben, kritisch zu hinterfragen. Watson spuckt zwar Ergebnisse aus, aber wir dürfen uns diesen nicht blind hingeben. Als die Buchhaltung komplexer wurde, musste man auch Buchprüfer haben. Vielleicht gibt es in Zukunft so etwas wie «künstliche Intelligenz-Prüfer» die evaluieren, welchen Wert die Ergebnisse haben.