Wenn Sprechen stört
Unangenehmen Bürolärm kann der Mensch bis zu einem gewissen Grad aus seinem Gehörfeld herausfiltern – also bewusst überhören. Bei menschlicher Sprache hingegen geht dies kaum. Gespräche sind denn auch das häufigste Lärmärgernis im Grossraumbüro.
Die Kollegin hämmert in die Tastatur, im anderen Büro hört das Telefon nicht auf zu klingeln. Auf dem Flur unterhält sich eine Gruppe von Kollegen lautstark über das letzte Fussballspiel des Lieblingsclubs, nebenan rauscht der Kopierer. Geräusche umgeben uns immer und überall.
«Jeder Fünfte fühlt sich am Arbeitsplatz durch Lärm gestört», erklärt Beat Hohmann, Bereichsleiter Physik bei der Suva. Geräte seien jedoch in den letzten Jahren viel leiser geworden und die Lärmentwicklung sehr zurückgegangen. «Lüfter von Laptops hört man so gut wie nicht mehr.» Was sich hingegen laut Hohmann besonders störend auswirkt, sind Störungen durch Sprache. «Das ist zwar keine völlig neue Erkenntnis, hat sich aber im Laufe der letzten Jahre immer deutlicher gezeigt, besonders im Zusammenhang mit dem gegenwärtigen Trend zu Grossraumbüros.»
Auf menschliche Sprache reagiere der Mensch anders als auf informationslose Geräusche, so Hohmann. Die grösste Leistung sei nicht, was wir hören, sondern, was wir überhören, um das Gehirn bei der Informationsverarbeitung zu entlasten. Dieser Prozess funktioniert aber bei menschlicher Sprache nicht. Einen summenden Drucker können wir mit der Zeit überhören, die menschliche Sprache nicht. «Das ist wie ein Reflex», sagt der Experte. «Die Hauptfunktion unseres Gehörsinns ist die Kommunikation, wir sind darauf getrimmt, sofort hinzuhören, sobald ein Fetzen menschlicher Sprache zu hören ist – selbst wenn es sich um eine fremde Sprache handelt.»
Sprache als Störgeräusch kann man also nicht gleich beurteilen wie irgendein Maschinengeräusch. Der Mensch kann selbst über grössere Distanzen Sprache so gut verstehen, dass die permanente Anstrengung, unnötige Sprachinformation einfach zu überhören, die Konzentration beeinträchtigen und zu einer echten Belastung werden kann. Bis hin zum Stress. «Die häufigste Klage von Mitarbeitern in einem Grossraumbüro sind Störungen durch Gespräche anderer», bestätigt Hohmann.
Die negativen Auswirkungen von Lärm in Büros betreffen besonders drei Bereiche:
Leistungsfähigkeit
Eine Vielzahl von Beobachtungen zeigt, dass eine verbesserte Akustik ein besseres Arbeitsklima bewirkt. Dies wiederum erhöht die Leistungsfähigkeit. Je anspruchsvoller und schwieriger eine Arbeitsaufgabe ist, desto offensichtlicher ist dieser Effekt.
Gedächtnis
Lärm kann sich negativ auf unser Gedächtnis auswirken. Gespräche im Hintergrund beeinträchtigen das Erinnerungsvermögen. Mit zunehmendem Lärmpegel nimmt die Konzentrationsfähigkeit ab.
Folgeerscheinungen
Vergleichende Untersuchungen zur Leistungsfähigkeit in gutem beziehungsweise schlechtem Akustikklima zeigen nicht immer klare Unterschiede auf. Das liegt daran, dass wir versuchen, das schlechte Akustikklima durch erhöhte Konzentration zu kompensieren. Den Preis hierfür bezahlen wir oft erst später in Form von Müdigkeit, Erschöpfung und schlechter Laune. Das wiederum führt zu verminderter Leistungsfähigkeit und schlechterer Zusammenarbeit.
Quelle: Suva, Auszug aus der Broschüre «Belästigender Lärm am Arbeitsplatz». www.suva.ch
Fremde Gespräche erhöhen die Fehlerquote
Forscher der Universität British Columbia in Vancouver, Kanada, haben herausgefunden, dass regelmässiger Lärm am Arbeitsplatz das Risiko für einen Herzinfarkt erhöhen kann. Wer seine Stimme erheben muss, um mit seinen Arbeitskollegen kommunizieren zu können, arbeitet in einer Umgebung, die deutlich zu laut ist. Die Erfahrungen der Suva in Büros zeigen, dass Lärm, der von Büromaschinen, Lüftungen, Klimaanlagen und fremden Gesprächen ausgeht, uns bei der Erledigung unserer Arbeiten stört. Dieser Lärm macht uns auf die Dauer müde, gereizt und weniger leistungsfähig. Besonders wenn es sich um Aufgaben handelt, die das Kurzzeitgedächtnis beanspruchen. Untersuchungen an der Universität Lausanne haben gezeigt, dass fremde Gespräche die Fehlerquote um 10 bis 40 Prozent erhöhen können. Wer immer wieder durch Ablenkungen aus seiner Arbeit gerissen wird, bringt letztlich nicht mehr die volle Leistung.
Musik kann dazu dienen, andere störende Geräusche zu überdecken
Dass Mitarbeiter ständig durch Gespräche anderer abgelenkt würden, sei kein böser Wille, erklärt Hohmann. «Weghören fällt eben schwer. Wir müssten quasi unsere gute Sprachverständlichkeit ständig bekämpfen.» Kurzzeitig klappe dies erstaunlich gut. In Bezug auf die Leistung habe sich gezeigt, dass man die Lärmeffekte eine Zeit lang kompensieren könne. «Aber irgendwann ist das Gehirn überfordert und es zeigen sich deutliche Leistungseinbussen.»
Neben allen anderen Geräuschkulissen ist in manchen Büroräumen noch Musik zu hören. «Es ist Sache des Arbeitgebers zu beurteilen, wann und wo er das Musikhören zulassen kann», sagt Hohmann. Wer zum Beispiel einen Stapler führt, im Betrieb unterwegs ist oder Alarmsignale oder auch das Funktionsgeräusch seiner Maschine hören muss, dürfe bei der Arbeit sicher nicht Musik hören. Musik könne aber durchaus dazu dienen, andere störende Geräusche oder eben Gespräche zu überdecken und so das konzentrierte Arbeiten zu erleichtern. «Bei anspruchsvollen Arbeiten auf höherem Konzentrationsniveau wirkt sich Musik dagegen eher negativ aus.»
Für mehr Ruhe im Büro sorgt auf jeden Fall eine vernünftige Raumakustik. Sie ist nach Arbeitsgesetz in allen Räumen mit ständigen Arbeitsplätzen Pflicht und wird meist mit einer schallabsorbierenden Decke realisiert. Hohmann empfiehlt dies aber auch für alle Sitzungszimmer und Pausenräume. Dort sei die Sprachverständlichkeit wegen unnötigen Nachhalls und störender Reflexionen oft nicht gegeben. «Das strengt auf die Dauer sehr an, gerade Personen, die nicht mehr so gut hören.» Darüber hinaus sind weitere Massnahmen in Betracht zu ziehen: Ein Teppichbelag zum Beispiel dämpft Gehgeräusche und schluckt hohe Töne. «Eine sinnvolle Verbesserung nicht nur auf der ‹Teppich-Etage›», meint Hohmann.
Lauter ist nicht besser
Die Schweiz nimmt dieses Jahr zum siebten Mal am «Internationalen Tag gegen Lärm» am 27. April teil. Trägerschaft sind der Cercle Bruit, die Schweizerische Gesellschaft für Akustik, die Schweizerische Liga gegen den Lärm und die Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz. Der «Tag gegen Lärm» wird unterstützt vom Bundesamt für Umwelt (BAFU) und vom Bundesamt für Gesundheit (BAG).
100 Minuten Musikkonsum pro Tag
Unter dem Motto «Lauter ist nicht besser» möchten die Organisatoren auf die Problematik der freiwilligen, aber auch der ungewollten Dauerbeschallung aufmerksam machen und die Bevölkerung sensibilisieren.
Unser Alltag ist laut: Verkehrslärm, Lärm am Arbeitsplatz, Freizeitlärm. Zusätzlich beschallen sich viele Menschen freiwillig permanent über Kopfhörer oder sind im öffentlichen Raum ungewollt lauter Hintergrundmusik ausgesetzt. Einerseits kann die dauerhafte Beschallung mit hohen Lautstärken zu Beeinträchtigungen des Gehörs führen, andererseits hat diese Dauerbeschallung auch soziale und gesellschaftliche Auswirkungen.
Heutige MP3-Player kann man bis zirka 100 Dezibel aufdrehen. Bei dieser Lautstärke darf man gerade mal zwei Stunden wöchentlich Musik hören, ohne das Gehör zu gefährden. Studien zeigen, dass Jugendliche zwar mehrheitlich «vernünftige» Schallpegel um 80 Dezibel wählen. Doch der durchschnittliche Musikkonsum hat sich mit rund 100 Minuten pro Tag gegenüber 1996 verdoppelt. Gerade in überfüllten Zügen kann der Rückzug in eine eigene akustische Welt über die Kopfhörer durchaus erholsam sein. Sind die «Knöpfe» aber permanent im Ohr, kann sich daraus auch eine soziale Isolation ergeben: Man nimmt die Welt um sich herum nicht mehr wahr, kann mit den Mitmenschen nicht mehr interagieren und blendet die (akustische) Umwelt vollständig aus. Der störende «Umweltlärm» wird mit freiwilligem «Lärm» überdeckt. Im Strassenverkehr kann dies sehr gefährlich werden, da Verkehrsgeräusche nicht mehr wahrgenommen werden.
Wer keine Kopfhörer im Ohr hat, wird oft zum Musikhören gezwungen. Im Lift, im Shoppingcenter, in der Bar, ja sogar auf öffentlichen Toiletten werden wir mit Musik beschallt, die uns bestenfalls nicht gefällt und schlimmstenfalls stört. Insbesondere Personen, die in einer dauerbeschallten Umgebung arbeiten müssen, sind die Leidtragenden.
Erschwertes Sprachverständnis
Erfolgt die Beschallung nur kurz oder in gemässigter Lautstärke, besteht für die Ohren keine Gefahr, ebenfalls kann die akustische Umwelt noch wahrgenommen werden. Bei der Hintergrundmusik in öffentlichen Räumen ist die Lautstärke definitionsgemäss in den meisten Fällen nicht das Problem. Doch die Zwangsbeschallung kann das Sprachverständnis – gerade in Restaurants und Bars – enorm erschweren und zum Ärgernis werden. Dies ist insbesondere für Hörgeschädigte sehr störend. (ss)
Offizielle Website zum «Tag gegen Lärm»:
www.laerm.ch
Weitere Informationen unter www.suva.ch/laerm und
www.umwelt-schweiz.ch/tag-gegen-laerm-2010