Wenn Wissensmanager Brücken in Organisationen schlagen
Bei der Credit Suisse wird Wissensmanagement konsequent betrieben. Ein Wissensmanager sorgt dafür, dass unersetzliches Wissen im Unternehmen bleibt – auch wenn ein wichtiger Mitarbeiter geht. Dieses Vorgehen fördert nicht nur die Personalentwicklung, sondern ist auch Grundlage zur Organisationsentwicklung: Es macht Aufgaben und Funktionen transparent, sodass diese sinnvoll und nachhaltig verändert werden können.
Eine Person mit Schlüsselwissen – Experte oder Manager – verlässt das Unternehmen. Stellt man drei Monate vor dem Ausscheiden die Frage, wie nachher wichtige Projekte weiterlaufen, wie Kontakte für den Nachfolger erhalten bleiben, ist zumeist eine Antwort dieser Art zu hören: «Ja, wir haben das geplant und eine Liste mit wichtigen Aufgaben gemacht. Diese wird momentan vervollständigt. Einen Monat vor Vertragsende werden wir sie dann durchgehen.»
Verlorenes Erfahrungswissen ist schwer ersetzlich
Dazu kommt es oft nicht: Die Person mit dem Schlüsselwissen ist weg. Der Nachfolger arbeitet sich seit zwei Monaten mit mehr oder weniger grossem Erfolg durch dessen Hinterlassenschaft. Eine Kaffeepause mit ihm zeigt dann die Realität: Er habe das Gefühl, dass die Einarbeitung schlecht geplant sei, die Liste der Aufgaben sei veraltet und unvollständig, er habe Arbeiten gemacht, die eigentlich schon von seinem Vorgänger erledigt waren und überhaupt sei es nicht sonderlich motivierend, keinen Überblick zu haben und von seinen schmunzelnden Stakeholdern in den Projekten den Spruch «Ja, das hat dein Vorgänger auch schon versucht» zu hören.
Solche Wechsel in Unternehmen, sei es durch Pensionierung, internen Stellenwechsel oder längeren Urlaub, gehen oft mit einem immensen Wissensverlust einher. Vor allem das implizite oder Erfahrungswissen ist unersetzlich.
Viele Firmen verschwenden täglich entscheidende Differenzierungspotenziale: Unternehmenswissen, Mitarbeiterkompetenzen und Kunden-Know-how. Der Wert dieser Ressourcen verfällt, wenn sie nicht erkannt und immer wieder im richtigen Moment genutzt werden. Studien lassen vermuten, dass bis zu 80 Prozent dieses Potenzials nicht für die Verbesserung von Prozessen, Produkten oder Beziehungen eingesetzt werden.
Denn es reicht nicht, einfach die Prozesse erfolgreicher Unternehmen zu kopieren, um selbst Erfolg zu haben. Der Schlüssel zum Erfolg liegt im Wissen der Mitarbeitenden und deren Motivation, bestätigen Topmanager immer wieder. Sind diese zwei Faktoren im Zentrum der Personal- und Organisationsentwicklung, ist der erste Schritt zum Erfolg getan – aber wie kann das realisiert werden?
Zu Beginn einer Laufbahn nimmt zuerst der Wert des dokumentierten Wissens (Betriebsanleitungen, Prozessbeschreibungen) zu – es bildet die Grundlage für den Berufsalltag. Später, wenn der Mitarbeiter innerhalb der Firma besser vernetzt ist und sich zunehmend «selbst zu helfen weiss», nehmen die Menge und der Wert des Erfahrungs-, also des impliziten Wissens zu: Wichtige Kontakte werden geknüpft, Situationswissen und Zusammenhänge aufgebaut. Zunehmend vernachlässigt der Mitarbeiter die Dokumentation von Wissen auf Papier oder Datenträgern. Die Menge und der Wert des dokumentierten Wissens nehmen ab.
Geht der Mitarbeiter, stehen Führungskräfte vor dem Problem, eine neue Arbeitskraft zu rekrutieren. Zum Glück ist da noch die Jobdescription der Vorgängerin – aber ist diese noch aktuell? Was machte nun die Vorgängerin genau? In welchen Projekten war sie wie beteiligt? Wie hiessen die Stakeholder in den unterschiedlichen Bereichen schon wieder – da gabs doch diesen …?
Der Nachfolger beginnt seine Arbeit mit dokumentierter Information, die teilweise nicht mehr aktuell ist, wenn überhaupt vorhanden. Arbeitskollegen helfen so gut wie möglich, Wissenslücken zu schliessen – das kostet Zeit und Geld. Wie der Vorgänger wird auch der Nachfolger einen Lernprozess in der Einarbeitungszeit durchlaufen, der viele Wiederholungen und ineffiziente Arbeitsabläufe enthält: Das Rad wird dabei oft neu erfunden.
Wissenstransfer fördert die Wertschätzung des Mitarbeiters
Als Grundlage für die Wissenstransfermethodik bei der Credit Suisse diente eine Vorgehensweise, welche als «Wissensstafette» von Volkswagen Coaching entwickelt wurde. In einer Initialisierungsphase wird gemeinsam mit dem Vorgesetzen und dem Vorgänger abgeklärt, welche Aktivitäten und Funktionen auch für den Nachfolger von Bedeutung sein werden: Strategie der Organisationsentwicklung, Zielsetzung des Wissenstransfers aus Sicht des Vorgesetzten, Ausgangslage, Ressourcen, an die Umstände und an die Personen angepasste Vorgehensweise. Alle Beteiligten verpflichten sich anschliessend zum vereinbarten Vorgehen und der Nachfolger sendet die Einladungen zu den weiteren Transfer Sessions. Er hat den grössten Nutzen daraus und wird deshalb auch um einen organisatorisch korrekten Rahmen bemüht sein. Darauf folgt die Methodik in drei Phasen.
Phase 1 – Identifikation des Wissens
Zu Beginn wird das zu bewahrende Wissen aufgezeichnet und es werden geeignete Methoden für den Wissenstransfer bestimmt. Mit der Knowledge Map stehen erstmals eine Übersicht des erforderlichen Wissens und eine Priorisierung für den Übergang zur Verfügung. Darin enthalten sind die Systeme, die Prozesse, die Kontaktpersonen, Best Practice, Notfallszenarien usw. Im Idealfall steht für die Wissensidentifikation der Vorgänger und der Nachfolger zur Verfügung. Durch die Anwesenheit des Nachfolgers erhält dieser im Originalton Hinweise zu den jeweiligen Entstehungsschritten der Wissenslandkarte. Es wird verständlich, was wie und unter welchen Umständen vom Vorgänger in einem Bereich gemacht wurde. Die Wissensidentifikation ist der Schlüssel für jede weitere Aktivität und soll deshalb auch entsprechend genau und detailliert gemacht werden. Dafür sind zwischen zwei und vier Halbtage einzuplanen.
Phase 2 – Weitergabe des Wissens
In der zweiten Phase wird das Wissen an den oder die Nachfolger weitergegeben. Dazu wird die Knowledge Map zu einem Transferdokument verfeinert. Dieses begleitet den gesamten Wissenstransfer und wird vom Nachfolger laufend aktualisiert, so dass der Fortschritt jederzeit ersichtlich ist. In dieser Phase kann zwischen moderierten und nicht moderierten Methoden des Wissenstransfers unterschieden werden: Die moderierte Methode eigenet sich für eher komplexes Wissen, wie Prozesse, Notfallszenarien, persönliches Netzwerk. Es wird mittels bekannter Methoden aus Wissensmanagement, Coaching oder Moderation weitergegeben, beispielsweise Story Telling, SWOT-Visualisierung, Best Practice, Worst Practice oder Case-based Walkthrough. Nicht moderierte Methoden eigenen sich vor allem für Systemwissen, wie die Frage, wo welche Eingabe in welchem Format erfolgen muss.
Falls noch kein Nachfolger eingestellt ist, wird das Erfahrungswissen durch den Vorgänger und den Moderator anhand der Knowledge Map auf Video festgehalten. Der Nachfolger erhält später als Onboarding-Unterstützung einen Link zum Video, auf welchem sich die Knowledge Map mit dem Originalton des Vorgängers befindet.
Phase 3 – Umwandlung des Wissens
Nun wird das Erfahrungswissen des Vorgängers, soweit sinnvoll und mit vertretbarem Aufwand machbar, in niedergeschriebenes, explizites Wissen umgewandelt. Das hilft dem Nachfolger, im neuen Umfeld den Überblick über Informationen, Personen oder Szenarien zu behalten. Die Wiederverwendbarkeit des Transferdokuments wird sich bezahlt machen, wenn zu einem späteren Zeitpunkt ein Stellvertreter oder ein weiterer Nachfolger eingearbeitet werden soll.
Die Methode unterstützt also nicht nur die Personalentwicklung, sondern kann auch Grundlage zur Organisationsentwicklung sein, indem es Aufgaben und Funktionen von Organisationseinheiten transparent macht so dass diese auch entsprechend sinnvoll und nachhaltig verändert werden können.
Bisherige Erfahrungen: Transparenz und Wertschätzung
Die bisherigen Transferprojekte haben gezeigt, dass Mitarbeitende grundsätzlich gern Erfahrungswissen weitergeben. Es wurde als Teil einer umfassenden Wertschätzung für die geleistete Arbeit erachtet, wenn im Detail sichtbar und auch nachvollziehbar wurde, wo der Vorgänger welche Aktivitäten und Funktionen hatte.
Darüber hinaus ermöglicht die erhöhte Transparenz eine fundiertere Mitarbeiterbeurteilung. Damit ist eine Grundlage zur Personalentwicklung gelegt: Der Mitarbeiter kann sich entsprechend seinen Fähigkeiten entwickeln und wird gefördert. Ein Vorgesetzter erachtet es als Vorteil, einen Mitarbeitenden weiterzuentwickeln, wenn dessen Funktion transparent ist.
Last but not least erschien in den durchgeführten Projekten das erhöhte Interesse des Vorgesetzten an der Leistung und an den Funktionen des Mitarbeitenden als Motor für dessen Motivation: Hat der Mitarbeitende einmal die erhoffte Management Attention, liegt es in seiner Hand, zu überzeugen. Das Warten auf das «Entdecktwerden» hat ein Ende: selber gestalten und Verantwortung tragen sind nun gefragt.