Im Gespräch

«Wer fragt, führt»

Frage ist nicht gleich Frage. Eine Frage kann einen Dialog zwischen zwei gleichberechtigten 
Partnern einleiten – oder aber ein Ausfrageverhör mit rechtfertigenden Antworten. Der Gesprächsexperte 
und Buchautor Andreas Patrzek erklärt, warum ein «Warum» nicht immer angebracht ist.

Herr Patrzek, eben ist die fünfte Auflage Ihres Buchs «Fragekompetenz für Führungskräfte» erschienen. Warum ist es so schwierig, die richtige Frage zur richtigen Zeit zu stellen?

Andreas Patrzek: Es geht wohl eher um die Schwierigkeit, überhaupt Fragen zu stellen. Ich meine ja, die meisten Menschen fragen zu wenig.

Wie das?

Viele definieren vor allem den männlichen Typ von Führungskraft als Macher, als Manager und Entscheider. Damit verbindet sich das Bild eines neugierig Fragenden, in unserer Kultur zumindest, nicht. Unsere Rollenvorbilder sind Macher, keine Fragenden. Nur der Unsichere, der Hilflose fragt. So ist das Bild in der Gesellschaft.

Was können denn Fragen bewirken?

Mit Fragen können Sie Gespräche strukturieren und steuern. Dieses Potenzial nutzen Führungskräfte viel zu wenig. Ich stelle immer wieder fest, dass Führungskräften das Bewusstsein für die Mächtigkeit der Frage fehlt. Das Interesse für gute Fragen ist überhaupt nicht da.

Fragen hat also mit Macht zu tun?

Unbedingt. Wenn Sie eine Aussage treffen, muss der Gesprächspartner nichts sagen, auf eine Frage hingegen muss er reagieren, wie auch immer. Sonst ist er unhöflich oder unwissend. Fragen ist ein Privileg des Mächtigen. Aussprüche wie «Wer stellt hier die Fragen?» oder «Das kommt nicht in Frage!» zeigen das. Wer fragt, kann nicht nicht Macht aus-üben. Diese Macht lässt sich aber gestalten. Je nach Art der Frage und zusammen mit Mimik, Stimmlage und Gestik. Jede Frage lässt sich auf vielfältige Weise stellen. Von oben herab, einfühlsam, interessiert …

Wie sollte ich sie denn stellen?

Grundsätzlich können Sie eine höhere Auskunftsbereitschaft bei Ihrem Gesprächspartner erwarten, je einfühlsamer Sie sind. Es kommt letztlich darauf an, was Sie erreichen wollen. Mit der Frage «An welchem Aufgabengebiet arbeiten Sie gerade?» rufen Sie einfach nur Infos ab. Wenn Sie aber fragen: «Was meinen Sie, in welchen Bereichen sind Sie im Moment zu wenig gefordert?», bekommen Sie eine ganz andere Information und bewirken auch ein Stück Selbstreflexion.

Das wäre ja schon fast ein Coaching…

Coaches bringen die Leute durch gezieltes Fragen zum Nachdenken. Wer führen will, sollte Fragetechniken aus dem Coaching übernehmen. Eine spannende Frage ist ja, wofür es Coachings überhaupt gibt. Ich glaube, es ist ein Phänomen, mit dem unter anderem auch ein Bedarf an Zuwendung gedeckt wird. Was haben wir denn im Alltag? Es ist zwar sehr viel Kontakt da, jeder gibt endlose Statements von sich, aber keiner hört dem anderen mehr wirklich zu. Richtiges Fragen kann auch zu einer besseren Gesprächskultur beitragen.

Kann man das richtige Fragen trainieren?

Ja. Ich würde aber Fragen nicht nur als Technik definieren. Die Art des Fragens hängt auch immer mit der Persönlichkeit zusammen, ist bedingt durch Charakter, Wesen, Temperament und Kompetenzen. Fragetechniken lassen sich sicher trainieren, aber sie entsprechen auch immer der Persönlichkeit. Ein harmoniebedürftiger Mensch wird anders fragen als eine temperamentvolle oder konfliktfreudige Person.

Das heisst also: Stelle mir eine Frage und ich sage dir, wer du bist?

Da wäre ich ein bisschen vorsichtig, aber sicher kann man anhand von Fragen auf Neugier, Anteilnahme oder Respekt schliessen. Ein selbstgefälliger Typ wird entweder gar keine Fragen oder nur sehr suggestive zur Selbstinszenierung stellen …

Wie wirkt sich die Formulierung meiner Frage auf das Antwortverhalten meines Gegenübers aus?

Wer fragt, führt. Angenommen, ich stelle fest, dass Sie in den letzten Tagen etwas desinteressiert waren. Also kann ich fragen: «Warum sind Sie so demotiviert?» Dann sind Sie ein Stück weit unter Druck und müssen sich rechtfertigen. Frage ich aber «Wie geht’s Ihnen momentan?», habe ich schon mal einen ganz anderen Kontakt. Entweder biete ich einen Dialog an zwischen gleichberechtigten Partnern oder ich frage aus. Die Warum-Frage ist sowieso eine Never-ending-Frage, weil Sie sich damit nur im Kreis drehen.

Sollte man «Warum» aus seinem Wortschatz streichen?

Das kommt wie immer auf die Situation an. In «entspannten» Situationen, das heisst im Verlauf von Gesprächen, die wenig Konfliktpotenzial bergen, können Warum-Fragen durchaus eingesetzt werden, da sie dann keinen zu grossen Schaden anrichten. In angespannten Geprächssituationen hingegen sollte man sie vermeiden und alternative Formulierungen suchen. Denn bei Warum-Fragen schwingt immer ein bisschen etwas Vorwurfsvolles  mit, ein wenig von «Warum haben Sie das jetzt schon wieder gemacht?»

Wie geht es besser?

Wenn ich die Warum-Frage auflöse, kann ich nach den Umständen fragen. Zum Beispiel «Was hat dazu geführt, dass Sie den Termin vorgestern abgesagt haben?» statt «Warum haben Sie den Termin abgesagt?» Das scheint auf den ersten Blick keinen grossen Unterschied zu machen; nur in der zweiten Variante spricht der Fragende dem Befragten die Möglichkeit zu, dass es sehr wohl rationale und gute Gründe gab, das vom Fragenden kritisierte Verhalten zu zeigen. Der Befragte wird also nicht in eine unangemessene Rolle der Rechtfertigung manövriert.

Was zeichnet denn nun eine gute Frage aus?

Sie ist bewusst gestellt, ist kurz und knapp und respektiert den anderen auf Augenhöhe. Zu einer guten Frage gehört auch, eine Antwort abzuwarten. Einen guten Dialog erreicht man zum Beispiel mit der PFIFF-Technik, indem man persönliche Botschaften mit Fragen abwechselt. So vermeidet man eine Verhörsituation.

Häufige Gesprächssituationen im HR sind Bewerbungsgespräche, Arbeitsantrittsgespräche, Mitarbeitergespräche, Orientierungsgespräche. Welches sind hier typische Frage-Fehler, die häufig gemacht werden?

Erster Fehler: In Rekrutierungsgesprächen ist der Redeanteil des Interviewers in der Regel zu hoch. Er sollte nur höchstens 20 Prozent betragen. Zweiter Fehler: Die Fragen sind meistens suggestiv: Sie sind doch teamfähig? Sie arbeiten doch gerne in einem jungen Team? Da erfahre ich nicht wirklich etwas über den anderen Menschen. Und: Der Kandidat wird oft mit einer Frage nach der anderen bombardiert. In Mitarbeitergesprächen zeigen sich oftmals noch weitere Fragefehler: Meist werden nur geschlossene Fragen gestellt; dies sind Fragen, die nur Ja- oder Nein-Antworten zulassen. Allein schon die Umformulierung in offene Fragen – dies sind die sogenannten W-Fragen (wie, was, wer ...) – bringen einen erheblichen Zugewinn an Information und für das Gesprächsklima. Zudem verfügen die Führungskräfte oftmals über keine Fragestrategie, sie haben keinen Plan – in der Fachsprache begreift man das auch als Hypothesen –, was sie erfahren und verstehen – also erfragen – wollen. Sie haben zudem oftmals vorgefertigte Vorstellungen über mögliche Ursachen von Problemen, die sie dann mit allem Nachdruck aus dem Gegenüber herausfragen. Auf Informationsangebote des Gesprächspartners zwischen den Zeilen reagieren Sie dann nicht mit den situativ passenden Fragen. 

Jetzt einmal aus der Sicht des Befragten: Wie kann man Frageattacken erkennen und sich dagegen wehren?

Der erste und einfachste Weg ist immer, eine Frage einfach zu überhören oder ihr auszuweichen. Zeigt dies nicht den gewünschten Effekt, kann man immer noch eine Gegenfrage stellen. Man antwortet nicht, sondern reagiert auf die gestellte Frage mit einer eigenen Frage wie «Was meinen Sie damit?» oder «Wie kommen Sie auf diese Frage?» oder, zugegeben etwas konfrontierender, «Was berechtigt Sie zu dieser Frage?»

Ein Merkmal einer Frage ist oft auch die Spontaneität – muss ich mir die Dramaturgie jetzt immer vorher bis ins Detail überlegen?

Die Faustregel lautet: Stellen Sie nicht zu viele geschlossene Fragen, damit  erfahren Sie nichts Neues. Ausserdem sollten die Fragen nicht zu lang sein. Vermeiden Sie Suggestivfragen gänzlich. Ansonsten kann man sich schon auch mal treiben lassen und auf die Worte des anderen reagieren.

Andreas Patrzek

ist 1957 geboren. Nach dem Abitur arbeitete er zunächst im Controlling und Marketing eines internationalen Elektrokonzerns und absolvierte ein Abendstudium in Betriebswirtschaftslehre an der Verwaltungs- und Wirtschaftsuniversität in München. Anschliessend studierte er Psychologie mit den Schwerpunkten Wirtschafts- und Familienpsychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität. Parallel hierzu stieg er in die Beratungsbranche ein und ist seitdem 
als Coach und Managementtrainer für zahlreiche Unternehmen und 
Organisationen tätig. In seinem 
Unternehmen Questicon – Institut für Gesprächsführung und Fragetechnik konzentriert er sich zusammen mit anderen Experten auf die Erforschung und Weiterentwicklung von Ansätzen und Tools für die Praxis in Unternehmen. 

Buchtipp

Andreas Patrzek: Fragekompetenz für 
Führungskräfte. Handbuch für wirksame 
Gespräche mit Mitarbeitern. Rosenberger Fachverlag 
5. Auflage, 2010, 365 Seiten, gebunden 
CHF 73.90

www.questicon.de

Was fragen, wenn nicht «warum»?

Die klassische Warum-Frage klingt in den Ohren vieler Menschen anklagend oder vorwurfsvoll. Besser sind offene Formulierungen, die bestimmte Aspekte in den Vordergrund stellen:

  1. Die Ursache eines Verhaltens
        Was war ausschlaggebend dafür, dass …?
        Wodurch wurde dies ausgelöst?
        Wie kam es dazu, dass …?
  2. 
Vorangegangene Entwicklungen, die zu 
einer bestimmten Situation geführt haben
        Was ging dem genau voraus?
        Was führte zu dem Ergebnis?
  3. Der Reflexionsprozess des Befragten
        Was veranlasste Sie dazu, dass …?
        Wodurch gelangten Sie zu …?
        Was ging in Ihnen vor, als …?
  4. Das Umfeld des Befragten
        Welche Umstände bedingten, dass …?
        
Welche Faktoren spielten bei Ihrer 
Entscheidung eine Rolle?

(Quelle: Andreas Patrzek)

 

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