Im Gespräch

«Wer glaubt, beim öffentlichen Dienst einen Job auf Lebenszeit zu haben, irrt»

Ein sicherer Job und wenig Veränderung gehören zu den Klischees über den öffentlichen Dienst als Arbeitgeber. Stimmt nicht, sagt Daniel Hirsbrunner, Leiter Personalgewinnung bei der Bundesverwaltung. Wer früh Verantwortung 
übernehmen und in einem von internationalen Geschehnissen beeinflussten Umfeld arbeiten will, ist bei ihm richtig.

Beim Public Recruiting Forum in Luzern (HR Today berichtete in Ausgabe 10/2009 auf Seite 55) sprachen Sie unter anderem vom Wertewandel, den wir derzeit gerade auch bei der jüngeren Generation erleben. Für welche Werte steht der öffentliche Dienst als Arbeitgeber?

Daniel Hirsbrunner: Der öffentliche Dienst ist ein Dienst an der Gemeinschaft und steht damit für Werte, die unser demokratisches Staatswesen prägen. Dazu zählen unter anderem Aspekte wie Gerechtigkeit, Verlässlichkeit, ein hoher ethischer Standard im Umgang mit den Interessen und Anliegen der Bürger. Auch der verantwortungsvolle Umgang mit den öffentlichen Mitteln gehört dazu: Dieses Geld wird uns quasi treuhänderisch anvertraut, damit wir es sorgfältig und nachhaltig einsetzen, um dem öffentlichen Gemeininteresse zu dienen. Diese Werte grenzen uns gegenüber der Privatwirtschaft ab. Sie ist ja, überspitzt gesagt, eher vom Eigennutz getrieben. Wir nehmen regelmässig an Befragungen unter Studierenden und Young Professionals teil. Dort sieht man, dass uns vor allem unsere Werteorientierung von den anderen Mitbewerbern auf dem Arbeitsmarkt unterscheidet. Und entsprechend ziehen wir auch Arbeitskräfte an, die diese Werteorientierung schätzen. Gerade junge Leute kommen gern zu uns.

Sie hatten gesagt, der öffentliche Dienst müsse als Arbeitgeber nicht «everybody’s darling» sein. Wessen Darling möchten Sie denn sein?

Im Marketing kann man es nicht allen Leuten recht machen, sonst gewinnt man kein Profil. Aber wir wissen aus verschiedenen Untersuchungen, dass es eine Zielgruppe gibt, die unsere Aufgaben und Werte attraktiv findet, und wir versuchen, unsere Anstrengungen vor allem auf diese zu richten.

Welche Zielgruppe ist das?

Mein Erfahrungshorizont bezieht sich hier hauptsächlich auf Fachhochschul- und Hochschulabsolventen. Es sind vor allem jene Leute, die ein überdurchschnittliches Interesse an Aufgaben mit sozialer Verantwortung haben, nicht primär das Interesse haben, losgelöst und unabhängig zu arbeiten, sondern lieber in einem Umfeld mit vielen Kontextbezügen agieren. Und sie schätzen die Komplexität der Aufgabenstellung und die Arbeit mit verschiedenen Interessengruppen sowie das politische Umfeld. Es sind Leute, die gerne früh Verantwortung übernehmen.

Jemand, der Karriere machen will, ist bei Ihnen also an der falschen Adresse?

Nein, absolut nicht. Wir definieren Karriere als eine Abfolge von ändernden Aufgabenbereichen, die grösser und breiter werden können. Und es ist möglich, für die «hohe» Politik tätig zu sein. Da gibt es Eins-a-Spitzenjobs; wer dort landet, hat eine tolle Karriere gemacht.

Klopfen bei Ihnen Bewerber aus der Privatwirtschaft an, die auf der Suche nach einem sicheren Hafen sind?

Das ist nie auszuschliessen. Aber dieses Bild entspricht nicht mehr der Realität. Wir stehen unter einem ständigen Spardruck, haben in den vergangenen Jahren ebenfalls reorganisiert und Stellen abgebaut. Die Idee, dass der öffentliche Dienst einen lebenslangen Arbeitsplatz bietet, stimmt so nicht. Da unterscheidet sich die Schweiz auch von ihren Nachbarstaaten, wo es solche Modelle noch gibt. Wir haben dynamische Jobs, in denen in einem kontroversen politischen Umfeld auch unter Zeitdruck Entscheide gefällt werden müssen. Der öffentliche Dienst der Schweiz kann sich weltweit mit Spitzenorganisationen messen. Nur über die hohe Leistung sind wir überhaupt in der Lage, mit der Privatwirtschaft zusammen den Standortvorteil zu schaffen, den die Schweiz heute im internationalen Wettbewerb hat. Menschen, deren primäres Ziel ein sicherer Arbeitsplatz ist, wäre es bei uns nicht wohl.

Die relative Arbeitsplatzsicherheit ist aber einer Ihrer Imagefaktoren ...

Was heisst sicher? Lange hat es geheissen, der sicherste Arbeitsplatz in der Schweiz sei bei einer Bank oder einer Versicherung. (lacht)

Aber im Ernst: Dieses Image ist etwas, was dem öffentlichen Dienst zugeschrieben wird. Sicher, eine gewisse Planbarkeit der beruflichen Zukunft ist bei uns wahrscheinlich eher möglich als bei einem ausschliesslich profitmaximierenden Unternehmen. Wir vermarkten diese Qualität aber nicht spezifisch. Wenn sie uns jedoch zuerkannt wird, nehmen wir das gern an. Gerade auch die Generation Y legt interessanterweise viel Wert darauf.

Wo müssen Sie Ihre Anstrengungen noch verstärken?

Was wir noch vermehrt aufzeigen müssen, ist, dass unser Geschäft zunehmend international betrieben wird. Es gibt kaum mehr Aufgaben, die wir völlig losgelöst von den Entwicklungen im Ausland angehen können. Dafür brauchen wir vermehrt auch junge Leute, die die nötige Sensibilität für die Vorgänge ausserhalb der Schweiz haben.

Aber gerade bei den eher kosmopolitisch ausgerichteten Absolventen sind Sie den Erhebungen zufolge nicht so beliebt ...

Ich finde das erstaunlich. Gerade in der Diplomatie und im konsularischen Dienst sind wir aus Tradition schon immer stark 
international vernetzt gewesen.

Was können Sie denn im Vergleich zur 
Privatwirtschaft nicht bieten?

Natürlich müssen wir uns mit den grossen Unternehmen in der Schweiz messen. Was die Anstellungsbedingungen angeht, sind heute generell die Differenzierungsmöglichkeiten eingeschränkt. Für uns geht es daher darum, unsere Spezialitäten in den Vordergrund zu rücken – und das sind unsere kulturellen Werte.

Welche Absolventen sprechen Sie am ehesten an?

Die Studienwahl ist meist auch eine vorgezogene Berufswahl. Und Studierende, die sich für die Geisteswissenschaften oder Sozialwissenschaften interessieren, finden schon während des Studiums viele gesellschafts-
relevante Themen, für die sie sich gern engagieren. Daher sind wir gerade für die Geisteswissenschaftler ein sehr attraktiver Arbeitgeber und liegen in den Rankings regelmässig weit vorn. Aber wir sind auch für Juristinnen und Juristen und Studierende der Naturwissenschaften sehr attraktiv. Zudem gibt es bei uns spezifische Fragestellungen, die so kaum an anderen Stellen behandelt werden.

Fachkräfte werden rarer, viele Unternehmen suchen im Ausland nach geeigneten Kandidaten. Die Bundesverwaltung auch?

Nicht aktiv. Zwar gibt es einzelne Positionen, in denen ein Schweizer Pass verlangt wird. Generell sind wir aber offen.

Bei der Podiumsdiskussion in Luzern gab es eine Kontroverse darüber, ob Leute über 50 die grosse Chance für den öffentlichen Dienst seien oder ob es vielmehr ein Überalterungsproblem gebe. Wo liegt die Wahrheit?

Ich glaube an beiden Orten. Tatsache ist: Der öffentliche Dienst wird für Personen ab 45 Jahren attraktiver. Das hängt mit der Entwicklung zusammen, die Menschen im Laufe ihrer Berufsbiografie durchmachen. Viele sind in diesem Alter gern bereit, gesellschaftlich sinnvollere Aufgaben zu übernehmen. Unser Ziel muss es jedoch sein, eine gesunde Altersdurchmischung zu erzielen.

Sind Programme für Mitarbeitende 50+ 
geplant?

Mit Modellen zum flexiblen Übertritt in die Pensionierung haben wir bereits Vorkehrungen getroffen. Der Übergang vom Berufsleben in die dritte Lebensphase wird uns alle in Zukunft herausfordern. Ich glaube, hier liegt noch viel Spannendes vor uns.

Welche anderen Herausforderungen sehen Sie noch für das Employer Branding der Bundesverwaltung?

Wir müssen Wege finden, mit wenig finanziellen Mitteln unser Zielpublikum zu erreichen. Zwar haben wir den Vorteil, im Rahmen der politischen Diskussion eine relativ hohe mediale Präsenz zu haben. Doch wir müssen diese noch besser für die Personalgewinnung nutzen.

Haben Sie gegenüber der Privatwirtschaft mehr mit Ihrem Budget zu kämpfen?

Ich kenne die Marketingbudgets meiner Mitbewerber nicht.

Aber Sie können anhand ihrer Aktivitäten Vergleiche ziehen ...

Die Anstrengungen, die beispielsweise im Finanzmarktbereich für die Personalgewinnung gemacht werden, sind weit ausserhalb dessen, was sich die Bundesverwaltung vorstellen könnte. Was ich jedoch auch immer wieder feststelle, ist, dass Mitbewerber über ein oder zwei Jahre hinweg ihre Aktivitäten stark erhöhen und dann wieder zurücknehmen. Wir versuchen im Gegensatz dazu, vor allem durch Kontinuität präsent zu sein.

Was wollen Sie beim Recruiting der Bundesverwaltung noch optimieren?

Im Moment sind wir dabei, auf E-Recruiting umzustellen, und wollen so die Qualität und Geschwindigkeit im Rekrutierungsprozess steigern. Zudem werden wir den ganzen Bewerbungsprozess intern besser begleiten und gestalten. Das ist eine kontinuierliche Aufgabe. Ob wir je regelmässig das erreichen, was bei grossen Beratungsunternehmen als «Best in Class» mit drei Tagen bis zur Einstellung bezeichnet wird, das weiss ich nicht. Aber ich weiss auch nicht, ob diese Zahlen überhaupt stimmen. (lacht)

Daniel Hirsbrunner

hat an der Universität Bern Betriebswirtschaft studiert. Nach mehrjährigem internationalem Consulting hat er als Co-Leiter eines grossen Reformprojektes in die Bundesverwaltung gewechselt. Anschliessend führte er die Personal- und Kaderentwicklung. Heute ist er mit seinem Team für das Personalmarketing und die Personalgewinnung der Bundesverwaltung verantwortlich.

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