Risikofaktor Personal

Wer zur Arbeit kommt, ist nicht immer gesund und voll leistungsfähig

Viele Mitarbeiter kommen zur Arbeit, obwohl ihre Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist. Das kann die Krankheit verschlimmern und Produktionseinbussen für den Arbeitgeber verursachen. Fällt der Mitarbeiter aus, ist die Krankheit oft schon so weit fortgeschritten, dass teure Langzeitabsenzen drohen. Rechtzeitiges Eingreifen kann dieses Risiko vermindern.

Andreas Müller* ist ein ruhiger Arbeitnehmer einer grossen Schweizer Versicherung. Dass der 26-Jährige immer wieder an depressiven Phasen litt, fiel seinen Vorgesetzten nicht auf. Auch dass seine Leistungsfähigkeit eingeschränkt war, bemerkte niemand. Weil er als gewissenhafter Mensch auch zur Arbeit kam, wenn es ihm schlecht ging, waren seine Absenzen nicht auffällig. Erst ein Internet-
basierter Gesundheits-Check-up, den der Arbeitgeber seinen Angestellten zur Verfügung gestellt hat (siehe Box), förderte bei Andreas Müller einen Verdacht auf Depression und auf Burnout zutage.

Andreas Müller ist kein Einzelfall. Psychische Erkrankungen sind heute der häufigste Grund für Langzeitabsenzen und Invalidität – und ihr Anteil dürfte weiter steigen. Umso wichtiger ist es, solche Fälle früh zu erkennen. Bislang war das sehr schwierig. Das übliche Absenzmanagement geht zwar in die Richtung, genügt bei psychischen Gefährdungen aber oft nicht. Vor allem weil sich diese häufig nicht als Absenzen manifestieren, sondern sich anfänglich in eingeschränkter Leistungsfähigkeit zeigen. Fällt ein Mitarbeitender aus, ist die Störung häufig schon weit fortgeschritten und kann einen chronischen Verlauf nehmen. Dann wird es schwer, die Entwicklung positiv zu beeinflussen.

Schon wenige Massnahmen führen zu einem guten Resultat

Der Check-up hilft, akut Gefährdete wie Müller zu orten. Aus Datenschutzgründen erfährt der Arbeitgeber nur, dass es im Betrieb gefährdete Personen gibt, aber nicht, wer welche Probleme hat. Vertraulichkeit ist auch deshalb wichtig, damit gefährdete Personen nicht auf Hilfe verzichten aus Angst vor negativen Konsequenzen am Arbeitsplatz. Die Auswertung, die der Arbeitgeber erhält, ist dennoch aufschlussreich. Sie zeigt, in welchen Bereichen sich betriebliches Gesundheitsmanagement am meisten lohnt (zum Thema: HR Today 1&2/2010).

Einmal identifiziert, steht den akut Gefährdeten ein schweizweites Netzwerk aus Spezialisten zur Verfügung. Eine dieser Fachpersonen ist die Psychotherapeutin Pascale Veronika Matter. Sie stellte bei der Abklärung fest, dass Müller an einer depressiven Störung leidet. Diese kann sich ohne geeignete Massnahmen zu einer schweren Depression mit langer Arbeitsunfähigkeit oder im schlimmsten Fall zu dauerhafter Invalidität entwickeln. Eine Arbeitsabwesenheit von drei bis sechs Monaten hätte für seinen Arbeitgeber direkte Kosten von 40 000 bis 80 000 Franken verursacht. Bei einer dauerhaften Erwerbsunfähigkeit hätten die Kosten in diesem Fall sogar 
auf bis zu zwei Millionen Franken ansteigen können.

Gemeinsam erarbeiteten Müller und 
Matter die Massnahmen: von einer psychologischen Begleitung, die die Krankenkasse bezahlt, über die Wiederaufnahme des abgebrochenen Fernstudiums bis zum Beitritt in einen Sportverein. Inzwischen hat sich sein Zustand stabilisiert. «Gut war, dass Andreas Müller zu einem Zeitpunkt gefunden wurde,  zu dem er noch offen für solche Möglichkeiten war. Bei einer fortgeschrittenen Depression wäre es viel schwieriger gewesen. So haben wenige Massnahmen schon zu einem guten Resultat geführt», sagt Matter. «Müller wusste wohl, dass er ein Problem hat. Von sich aus hätte er den Schritt aber kaum getan.»

Dieses Beispiel zeigt, dass ein präventiver Ansatz gesundheitliche Risiken früh aufdecken und die gesundheitliche Situation der Mitarbeiter verbessern kann. Arbeitgeber können so hohe Folgekosten vermeiden. Denn obschon Andreas Müller keine auffälligen Absenzen hatte, hatte er Produktivitätseinbussen bei physischer Anwesenheit (Präsentismus) von rund 15 Prozent (umgerechnet rund 23 600 Franken pro Jahr). Sechs Monate nach Start der Begleitung zeigte sich bei Andreas Müller massiv weniger Präsentismus, was zu einer direkten Kosteneinsparung von 16 000 Franken pro Jahr führte.

Wenn akut gefährdete Mitarbeiter frühzeitig identifiziert werden, können sie proaktiv begleitet werden. Das kann die Situation der betreuten Mitarbeitenden signifikant verbessern. In Zahlen ausgedrückt: Im Gegensatz zu Personen, die keine Hilfe in Anspruch nehmen, werden pro Person und Jahr durchschnittlich direkte betriebliche Kosten in der Höhe von 8700 Franken eingespart. Die 
Absenzen halbieren sich und auch der Präsentismus lässt sich so verringern.

* Name aus Datenschutzgründen geändert

So funktioniert der 
Gesundheits-Check-up

Der Gesundheits-Check-up ist ein Internet-basiertes Fragetool. Alle Teilnehmenden erhalten eine detaillierte Auswertung mit ihrem Gesundheitsprofil sowie passende Gesundheitstipps. Akut gefährdete Mitarbeitende für verschiedene Krankheiten (z.B. Psyche, Rücken, Herz-Kreislauf) können vertraulich kontaktiert werden. Die Betreuung durch eine Fachperson ist freiwillig und der Datenschutz jederzeit gewährleistet.

 

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos

Michelle Hofmann-Gilgen ist 
Projektleiterin betriebliches Gesundheitsmanagement bei makora AG, einem unabhängigen Schweizer 
Anbieter von Gesundheitsmanagement-Lösungen.
 

Weitere Artikel von Michelle Hofmann-Gilgen