Bewerbungsprozess

Werden KI-gestützte Bewerbungsprozesse zum Stolperstein für Talente?

Automatisierung, Effizienz und Fairness – das sind die Versprechen von KI im Recruiting. Doch was passiert, wenn der Algorithmus mehr Hürden als Brücken schafft?

Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) im Bewerbungsprozess hat in den letzten Jahren stark zugenommen: Automatisierte Systeme filtern Bewerbungen, analysieren Lebensläufe und bewerten Kandidat:innen anhand vordefinierter Kriterien. Diese Technologien sollen den Prozess für Unternehmen effizienter machen und subjektive Entscheidungen reduzieren.

Doch laut dem Trendreport Jobsuche 2024 von Greenhouse fühlen sich viele Bewerber:innen durch KI benachteiligt. Sie berichten von mangelnder Transparenz, fehlender menschlicher Interaktion und sogar Diskriminierung durch fehlerhafte Algorithmen. Können KI-gestützte Systeme also tatsächlich helfen oder stellen sie für Talente eher Stolpersteine dar?

Effizienz versus Entmenschlichung

Ein zentraler Vorteil von KI im Recruiting ist die Geschwindigkeit. Unternehmen können Hunderte von Bewerbungen in kürzester Zeit sichten. Damit optimieren Unternehmen zwar ihre Prozesse und theoretisch wird so die Chance erhöht, dass jedes Talent zumindest zeitnah die Möglichkeit bekommt, von Hiring Managern in die engere Wahl gezogen zu werden. Allerdings scheint dieser Effizienzgedanke aus Perspektiven der Talente nicht immer von Vorteil zu sein.

So gibt rund ein Drittel der Befragten (27 Prozent) an, sich effektivere Möglichkeiten zur Hervorhebung ihrer Bewerbung zu wünschen. KI scheint allerdings hier nicht die Allzwecklösung zu sein, denn die Bewerbenden haben das Gefühl, dass ihre einzigartigen Qualifikationen und Persönlichkeiten durch KI-Systeme übersehen werden. Grund dafür: Algorithmen entscheiden allein basierend auf starren Mustern. Ein kleiner Formatierungsfehler oder ein fehlendes Schlagwort im Lebenslauf können – so die Befürchtung – dazu führen, dass eine Bewerbung abgelehnt wird, bevor sie überhaupt von einem Menschen gesehen wurde.

Steigender Wettbewerb durch KI

KI verändert die Dynamik der Jobsuche aber auch grundlegend. Die Greenhouse-Umfrage zeigt, dass für rund 50 Prozent der Befragten ein Jobwechsel infrage kommt. Dieser Anteil zieht sich über alle befragten Regionen - ob in den USA, Großbritannien oder im deutschsprachigen Raum. Gleichzeitig geben die Befragten an, dass sie den Bewerbungsprozess als zunehmend belastend empfinden. Als Gründe werden insbesondere die steigende Wettbewerbsintensität sowie die Intransparenz des Bewerbungsmarktes genannt. Vor allem Künstliche Intelligenz verändert die Dynamik der Jobsuche: 60 Prozent der deutschsprachigen Bewerber:innen glauben, dass KI den Wettbewerb verschärft, da die Technologie die Jobsuche erleichtert.

Diskriminierung durch Algorithmen

Eine weitere Herausforderung, die durch den Einsatz von KI entsteht, ist die mögliche Diskriminierung. Algorithmen sind nur so gut wie die Daten, mit denen sie trainiert werden. Wenn diese Daten Vorurteile enthalten, reproduziert die KI diese von selbst. Trotz wachsender öffentlicher Diskussionen um Diversität und Inklusion (DE&I) berichten die Befragten von diskriminierenden Fragen im Rahmen des Bewerbungsprozesses, insbesondere aufgrund von Alter, Geschlecht oder Herkunft. KI hat das Potenzial, solche Herausforderungen zu lösen, doch oft verstärkt sie bestehende Ungleichheiten, indem sie unbewusste Biases aus herkömmlichen Routinen einfach reproduziert.

Transparenz als Schlüssel

Transparenz ist essentiell, um das Vertrauen in KI zu stärken. Bewerber:innen müssen nachvollziehen können, wie ihre Bewerbung bewertet wird und warum sie eventuell abgelehnt wurden. Hier liegt eine zentrale Herausforderung: Viele Unternehmen nutzen KI-Systeme, ohne deren Kriterien oder Entscheidungslogiken offenzulegen. Welche Kriterien nutzt der Algorithmus? Besteht die Möglichkeit, manuell zu intervenieren? Solche Informationen zum Prozess könnten Talente mehr Klarheit verschaffen und Frustration verringern.

Insgesamt wünschen sich die Befragten eine bessere Kommunikation, effizientere Prozesse und kürzere Wartezeiten im Bewerbungsprozess. Denn häufig wissen Bewerber:innen nicht, wie ihre Bewerbung bewertet wird oder warum sie abgelehnt wurden. Auch hinsichtlich der Antwortzeiten wünschen sich die Befragten eine schnellere Reaktion. Im Gegensatz zu den USA oder Großbritannien, wo die Mehrheit der Befragten mit einem Einstellungsprozess von weniger als einem Monat rechnet, gehen im deutschsprachigen Raum 41 Prozent der Befragten von ein bis zwei Monaten aus.

Etwa 84 Prozent der Befragten geben an, dass sie sich – trotz Absage – erneut bei einem Unternehmen bewerben würden, wenn sie konstruktives Feedback erhalten hätten. Bewerber:innen wünschen sich Feedback und persönliche Kommunikation. Ein wichtiger Aspekt, den Unternehmen auch mit Blick auf ihren Talent Pool zu häufig vernachlässigen. Und genau hier liegt viel Potenzial für die Nutzung von KI im Bewerbungsprozess: KI kann dabei unterstützen, standardisierte Prozesse effizienter zu gestalten und gleichzeitig Ressourcen freisetzen, die gezielt in persönliche Interaktionen und eine bessere Betreuung investiert werden können. Denn trotz der Vorteile von KI im Recruiting bleibt der menschliche Faktor unersetzlich. Unternehmen, die KI mit menschlicher Interaktion kombinieren, können den besten Nutzen aus beiden Welten ziehen.

Fazit: KI als Werkzeug, nicht als Ersatz

KI kann ein leistungsfähiges Instrument zur Unterstützung von Rekrutierungsteams sein - wenn sie richtig und durchdacht eingesetzt wird.  Transparenz, menschliche Kontrolle und ein bewusster Umgang mit den Grenzen der Technologie sind entscheidend, um ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Wenn diese Aspekte berücksichtigt werden, können KI-Systeme den Bewerbungsprozess effizienter, fairer und letztlich menschlicher machen.

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Jon Stross

Jon Stross ist Präsident und Mitgründer von Greenhouse Software. Er ist Co-Autor des Buches «Talent Makers», einer Schritt-für-Schritt-Anleitung für die Implementierung eines strukturierten Einstellungsprozesses, der Talente anzieht und das Hiring zu einem Wettbewerbsvorteil macht. greenhouse.com

 

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