Wertschätzung in der Krise
Brennt es im Unternehmen, wird der Umgangston oft rauer. Das wirkt sich negativ auf die Motivation und die Leistung der Mitarbeitenden aus.
In Führungsseminaren wird vermittelt, dass Vorgesetzte einen wertschätzenden, von wechselseitigem Respekt geprägten Umgang mit Mitarbeitenden pflegen sollen. Im Arbeitsalltag spüren die Beschäftigten häufig jedoch wenig davon. Insbesondere in Unternehmen, die sich in einer bedrohlichen Lage befinden, weil beispielsweise die Einnahmen weggebrochen sind und die Führungskräfte selbst unter hohem Druck stehen. Dann werden sogar banalste Benimmregeln missachtet.
Mangelnder Respekt hat viele Gesichter. Beispiele? Ein altgedienter Mitarbeiter geht in den Ruhestand, ohne dass sein Vorgesetzter ihm die Hand reicht und ein Wort des Dankes sagt. Eine hochqualifizierte und -engagierte Fachkraft, die in einem Meeting sachliche Bedenken gegen ein Vorhaben äussert, wird von ihrem Vorgesetzten vor versammeltem Team angeraunzt: «Wollen oder können Sie nicht? In beiden Fällen sind Sie hier fehl am Platz.» Oder das Beispiel einer Controllerin, die von ihrem Chef, dessen Büro sich gleich neben ihrem befindet, zehn Minuten vor Feierabend eine Mail mit der Anweisung erhält, sie müsse bis zum nächsten Morgen eine Präsentation vorbereiten. Dies, obschon er weiss, dass sie ihr Kind vom Hort abholen muss. Die Aufzählung dieser Beispiele liesse sich beliebig fortsetzen. Anekdoten aus dem Betriebsalltag, die man als Trainer in Seminaren häufig zu hören bekommt.
Druck von unten und oben
Führungskräfte im mittleren Management sind in ihrer Sandwich-Position als Mittler zwischen ihren Vorgesetzten und den Mitarbeitenden nicht zu beneiden: Sie bekommen die Nervosität und die Hektik aus den Chefetagen meist unmittelbar zu spüren. Kaderfachkräfte, die unter enormem Druck stehen, geben diesen nicht selten ungefiltert an ihre Untergebenen weiter. Dabei gilt die Faustregel: Der Umgangston wird umso härter, je weiter man in der Unternehmenshierarchie nach unten kommt und je einfacher ein Mitarbeitender aufgrund seiner Qualifikation durch eine andere Person zu ersetzen ist. In vielen Kapitalunternehmen existiert deshalb kein Zusammengehörigkeitsgefühl mehr.
Mitarbeitende als austauschbare Produktionsfaktoren
Viele Mitarbeitende sahen sich schon vor der Corona-Pandemie als «Human Capital», das nach Belieben austauschbar ist. Das überrascht, denn bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie boomte die Wirtschaft über ein Jahrzehnt. Die Zahlen fast aller Unternehmen stimmten. Deshalb hätten die Verantwortlichen an der Spitze die Herausforderungen durch die Digitalisierung entspannt und systematisch angehen können. Das taten sie aber nicht. Stattdessen erhöhte sich der Druck auf die Mitarbeitenden teils durch die Finanzmärkte. Die Konsequenz? Das Betriebsklima hat sich in vielen Betrieben verschlechtert. Zugleich betonten die Firmensprecher jedoch: «Wir brauchen intrinsisch motivierte Mitarbeitende, die sich mit dem Unternehmen identifizieren und sich für das Erreichen der Ziele des Unternehmens engagieren.»
Doch woher sollen diese kommen, wenn die Mitarbeitenden zeitgleich wahrnehmen: «Wir sind Human-Kapital, das je nach Bedarf gehätschelt oder getreten beziehungsweise auf- oder abgebaut wird.» Spüren Mitarbeitende diesen Widerspruch zwischen Sagen und Tun, gehen sie zu Recht auf emotionale Distanz zum Unternehmen. Ihre Handlungsmaxime lautet dann: Wie ziehe ich aus der Beziehung zum Arbeitgeber den grösstmöglichen Profit? Stimmt aus ihrer Warte das wechselseitige Geben und Nehmen nicht mehr, verabschieden sie sich zumindest mental vom Unternehmen. Das bedeutet, dass ihre Leistung sinkt. Besonders in Krisen- und Marktumbruchzeiten, wie wir sie gerade erleben, erweist sich das als fatal: Nicht selten wäre gerade dann von allen Beteiligten eine Mehrleistung nötig, um das Unternehmen wieder auf Kurs zu bringen.
Wertschätzung vermitteln
Nicht oft genug muss deshalb wiederholt werden: Wird in offiziellen Verlautbarungen der Unternehmen immer wieder vom partnerschaftlichen und wechselseitigen Respekt im Umgang gesprochen, müssen Mitarbeitende dies auch im Betriebsalltag spüren. Ob Mitarbeitenden Respekt und Wertschätzung entgegengebracht wird, zeigt sich in vielen Kleinigkeiten. Unter anderem darin, wie viel Zeit sich eine Führungskraft für ihre Mitarbeitenden nimmt, wie aufmerksam sie ihnen zuhört, ob sie sich für sie als Mensch interessiert, wie kompromissbereit sie bei gegensätzlichen Interessen und Zielkonflikten ist oder wie sie auf Fehler und Versäumnisse reagiert. Führungskräfte, die Wertschätzung nicht vermitteln können, sind bald nur noch von Ja-Sagern umgeben, die ein Engagement für Bereichs- und Unternehmensziele vortäuschen. Das wirkt sich auch auf den beruflichen Erfolg der Vorgesetzten aus, die an der Leistung ihres Teams gemessen werden.