Wie du mir – so ich dir
Stellen Sie sich vor: Beim Shopping offeriert Ihnen ein Ladenverkäufer ein Glas Prosecco. Befällt Sie dabei ein unangenehmes Gefühl? Dann leiden Sie an erhöhter Reziprozitätsangst.
Jemand tut Ihnen etwas Gutes und dafür möchten Sie sich nun revanchieren. Dieses Prinzip heisst Reziprozität. Geschenke, Unterstützung oder Gefälligkeiten können die Empfänger aber unter Druck setzen, weil sie das Gefühl bekommen, dies in irgendeiner Form erwidern zu müssen. Diesen Umstand bezeichnen Xiliong Xiong und sein Forschungsteam der Zhejiang Universität in China als Reziprozitätsangst. Gemäss den Forschenden ist diese Angst nicht einfach nur eine Empfindung, sondern ein echtes Persönlichkeitsmerkmal, das je nach Person mehr oder weniger stark ausgeprägt ist.
600 Freiwillige getestet
Xiong und seine Mitstreiter entwickelten eine Skala, um die Ausprägung der Reziprozitätsangst zu messen. Einerseits misst sie die persönliche Tendenz zum Vermeiden von Gefälligkeiten, Hilfsangeboten oder Komplimenten. Andererseits wird erhoben, wie stark sich das persönliche Unwohlsein zeigt, wenn man nicht fähig ist, etwas zurückzugeben. Oder sich darüber sorgt, was andere denken, wenn man einen Gefallen nicht erwidert.
In zwei Studien wurden insgesamt fast 600 Freiwillige getestet. Die Teilnehmenden beurteilten, inwieweit sie in fiktiven Szenarien dazu tendieren, einen offerierten Einkaufsgutschein in einem Laden abzulehnen – oder bereit sind, den Gefallen einer Serviceangestellten mit der Bestellung eines teuren Desserts zu erwidern.
Nicht jeder mag Benefits
Das Resultat zeigt, dass Personen mit erhöhter Reziprozitätsangst einen Einkaufsgutschein eher ablehnen und sich verpflichtet fühlen, ein teures Dessert zu bestellen. Im Anschluss waren sie auch weniger bereit, den Laden oder das Restaurant nochmals zu besuchen oder weiterzuempfehlen.
Gemäss den chinesischen Forschenden ist Reziprozitätsangst umso ausgeprägter, je grösser der erhaltene Gefallen ist. Dafür sollten sich auch Personalabteilungen interessieren: Ob Kunden oder Mitarbeitende – die einen finden Geschenke oder Firmen-Benefits anziehend. Die anderen wiederum fühlen sich dadurch abgeschreckt. Es lohnt sich also, diese Erkenntnis bei der Ausgestaltung von Anreizen zu bedenken.