Wie lässt sich implizites Wissen über Global Leadership explizit machen?
Wir konnten zwei unterschiedliche, qualitative Studien zur Erforschung dieser beiden unterschiedlichen Referenzebenen durchführen und uns so der Komplexität des Beobachteten annähren. Ziel dieser Projekte war es, durch eine vielfältige Analyse von Global Leadership einen wertschöpfenden Umgang mit dem Thema zu finden und es durch die Explizierung und Visualisierung dem Wissensmanagement zugänglich zu machen. Gerade der mehrdimensionale, interdisziplinäre Zugang zum Thema Global Leadership erlaubte es uns, Verborgenes sichtbar zu machen – Dinge, die im singulären Zugang «unsichtbar» geblieben wären.
Um die Systemlogik von Global Leadership zu beobachten, wurde eine umfangreiche qualitative Studie anhand persönlicher Tiefeninterviews (durchschnittlich zwei Stunden) mit 12 CEOs und Vorstandsvorsitzenden unterschiedlicher multinationaler Konzerne in Europa und den USA durchgeführt.
Dem globalen Führungsnetzwerk eines multinationalen Konzerns haben wir uns in einem zweiten Projekt genähert. Global Leadership wurde in dieser MNC wie bei so vielen anderen auch geprägt durch den kontinuierlichen Wachstumsprozess der Organisation durch Akquisitionen. Diese Akquisitionsstrategie stellt hohe Anforderungen an das internationale HRM, das, zusammen mit dem Top-Management weltweit Global Leaders für die MNC eruiert, entwickelt (Karrierepläne, High- Potentials-Programme, Coaching, Weiterbildung), Bewertungsansätze zur Verfügung stellt und diese kontinuierlich betreut (Expatriation und Repatriation, Anlaufstelle für Problemsituationen usw.). Dieser kontinuierliche Integrations- und Identitätsprozess ist Teil des untersuchten Global Leadership, da durch die gewählte Methode, der Sozialen Netzwerkanalyse (SNA), auch die Intensität der weltweiten Zusammenarbeit aller Mitarbeitenden erhoben werden kann.
Globale Unternehmen bewegen sich an der Grenze zum Unbekannten
In dieser qualitativen Studie wurden zwei Forschungsmethoden kombiniert: qualitative, schriftliche Befragung und SNA. Befragt wurden 222 Global Leaders und Manager mit 20 unterschiedlichen Nationalitäten, die in 35 Ländern arbeiten. Analysiert wurden die internen Kommunikations- und Führungsnetzwerke (Innovation, Collaboration, Advice, Social) kombiniert mit einer qualitativen Befragung über Kultur, Struktur, Kommunikation, soziodemografische Analyse, Anforderungsprofil, Kompetenzen und Problembereiche. Die Darstellung der SNA, bei der die zentralsten Global Leaders und Manager sowie «Gatekeepers» und weitere Schlüsselpersonen erhoben wurden, bewirkte die Generierung neuen Wissens – meist differiert die formale Struktur und das informelle Netzwerk sehr. Somit erfolgte auch eine Vernetzung und Verteilung intern vorhandenen Wissens, im Zuge dessen folglich auch eine Kommunikation über das global vorhandene Wissen.
Zudem konnten eine Kerngruppe von influencers definiert werden. Die Abbildung oben visualisiert diese Kerngruppe. Die Personendaten wurden nur dem Vorstand und dem HR zugänglich gemacht.
Erste Ergebnisse zeigen, dass Global Leadership mit der Erfahrung des Nichtwissens konfrontiert ist, von daher zieht sich eine Metaebene über das Wissen/Nichtwissen ein. Wenn Unternehmen sich auf Global Leadership einlassen, d.h. global tätig sind, dann heisst es, dass sie sich immer an der Grenze zum Unbekannten bewegen. Einer MNC begegnet nicht nur Unbekanntes hinsichtlich Interkulturalität oder Diversity. Die Organisation ist auch konfrontiert mit Nichtwissen über andere Märkte, Infrastrukturen, Organisationslogiken, Gesetze, strukturelle Dynamiken zwischen den Organisationseinheiten in den unterschiedlichen Ländern, Sprachunterschieden, der Unterschiedlichkeit hinsichtlich Führungsstil und der Herstellung von Vertrauen und Sicherheit. Für die Organisation heisst das, Kommunikation über Nichtwissen zuzulassen und Strukturen sowie Prozesse dazu zu entwickeln, d.h. einen Umgang zu finden mit organisationalen, also personenunabhängigen, Wissensressourcen, Wissensstrukturen und Lernprozessen. Für das Top-Management gilt es, Kompetenz im Umgang mit Irritation und Ungewissheit zu entwickeln und trotz Unsicherheit, Verwirrung und Unklarheit handlungsfähig zu bleiben.
Der entscheidende Prozess hier ist, die Kommunikation über diese Irritationen in Form von Fragen zu ermöglichen. Dann kann die Organisation eine andere Wirklichkeitskonstruktion über das Nichtwissen entwickeln. Nur Nichtwissen bietet ja den Anlass für diese Kommunikation – ohne Kommunikation also kein Wissensmanagement.
Umsetzung von Informationen in Wissen und Change
Es zeigt sich, dass die Organisation, als Kommunikationssystem betrachtet, ein gemeinsames implizites Wissen über die Lösungen ihrer Probleme besitzt. Das System agiert und verhält sich gemäss diesen internalisierten, nicht offen ausgesprochenen Werten und Normen. Dies wird im Alltag spürbar, denn diese ungeschriebenen, aber miteinander geteilten Regeln sind die Basis der Unternehmenskultur. Durch einen Global-Leadership-Change-Prozess soll eine Kultur der Selbstorganisation und intensiveren Kommunikation angestossen werden, die auf gemeinsamer Projektarbeit innerhalb dieses Lernprozesses basiert. Dies soll als Change-Prozess durch externe Begleitung mit dem Board und entsprechend ausgewählten Personen aller betroffenen Ebenen als kommunikativer Lernprozess gemeinsam entwickelt werden (Sonuç 2007). Es geht um die Entwicklung eines gemeinsam getragenen Verständnisses der zukünftigen Rolle und Funktion von Global Leaders und deren Leadership im Sinne von Kompetenzen in dieser MNC. Im Weiteren geht es um die Etablierung einer gemeinsamen Wertebasis für jetzige und zukünftige Global Leaders und mit der Entwicklung einer internationalen HRM-Organisation um eine strukturelle Massnahme, die Global Leadership strukturell verankert (Qualifizierung, globale Karrierepläne, globale Bewertungsansätze usw.).
Dank der Durchführung dieser Studien konnten Themen zur Sprache gebracht werden, die in den meisten multinationalen Konzernen nicht zur Alltagskommunikation gehören. Dies scheint ein Nebeneffekt gewesen zu sein. Denn zum Global Leadership gehört, um mit Molière zu sprechen, dass wir nicht nur für unser Tun verantwortlich sind, sondern auch für das, was wir nicht tun. Oder nicht kommunizieren.
Literatur:
- Marte, A., Gloor, P. (2008): Optimierung von Global Leadership durch die Analyse sozialer Netzwerke. In: Zukunft gestalten – nachhaltige Wertschöpfung durch das Management von Wissen, Innovationen und Netzwerken, in press
- Marte, A., Gloor, P. (2007): Trust Me! - Analyzing Global Leadership Networks, Sunbelt, Korfu
- Marte A., Schneider U., Schauer H. (2004): Transmediales Kommunikationswissen: Eine Anleitung zum Unglücklichsein in zehn Geboten. In: Lernende Organisation, Nr. 17, Januar/Februar 2004
- M. McCall, G. Hollenbeck (2002): Developing Global Executives: The Lessons of International Experience, Harvard Business School Publishing Corporation, Boston
- Mendenhall, M. et.al. (2008): Global leadership: research, practice and development, Routledge, New York
- Mobley, W. et. al. (2006): Advances in Global Leadership. Vol. 4, JAI Press, Oxford
- Paul, H. (2000): Creating a Mindset. Thunderbird International Business Review, Vol. 42 (2), pp. 187–200, John Wiley & Sons, Hoboken
- Rost, J. (1991): Leadership for the 21st century. Praeger, New York
- Sonuç, E. (2007): Systemdiagnosebericht complet, Wien
- Willke, H. (1998): Systemisches Wissensmanagement, Lucius und Lucius, Stuttgart
- Wimmer, R. (2004): Organisation und Beratung. Carl-Auer-Systeme Verlag, Heidelberg