«Wie misst, steuert und verteilt man Erfolg?»
Das HR könnte durch die Ausgestaltung intelligenter Vergütungssysteme Unternehmenskultur, Strategie und Verhalten der Mitarbeitenden fundamental prägen. Doch sind dieses Bewusstsein und die dafür notwendige Kompetenz vorhanden? Ein Gespräch mit Vergütungsexperte Stephan Hostettler, Praxiskenner Matthias Mölleney und Theologe und Unternehmensberater Johannes Czwalina.
Der HR Today Roundtable zu Gast bei der hkp: Matthias Mölleney, Stephan Hostettler, Johannes Czwalina. (Foto: Simon Bühler)
HR Today: Wenn Sie an Praxis denken, was sind die dringlichsten Themen betreffend Compensation & Benefits?
Matthias Mölleney: Da stellt sich die Frage: Aus welcher Perspektive? Aus Perspektive der Firmen oder aus Perspektive von Bewerbern, jeder hat ja seine eigene Sicht. Die handelnden Akteure sind ja die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer, wenn es um Lohnfragen geht. Dass das nachher auch gesellschaftlich verträglich sein muss, ist ein anderes Thema. Was ich so spüre in letzter Zeit, sind die Auswirkungen der politischen Initiativen: 1:12, Mindestlohn, und was es da alles so gibt. Es findet offensichtlich eine gesellschaftliche Debatte statt über dieses Thema. Was ist angemessener Lohn, gibt es den überhaupt, und wer könnte den festlegen? Das hat zu Verunsicherungen geführt auf der Arbeitgeberseite, aber eben auch auf der Arbeitnehmerseite, die jetzt auch nicht mehr so genau weiss, wie es weitergeht. Wenn ich eine Überschrift nehmen müsste über die aktuelle Situation, würde ich sagen «Verunsicherung».
Stephan Hostettler: Ja, das ist absolut richtig. Auf Stufe Arbeitgeber oder auf Verwaltungsratsstufe sind drei Themen im Vordergrund. Das ist erstens sicher die Minder-Umsetzung, womit etwa 80% der Firmen angefangen haben. Zweitens das Thema Kommunikation, das die Verwaltungsräte jetzt sehr stark anschauen: Wie können wir auf Augenhöhe mit der Bevölkerung, mit den Arbeitnehmern, mit den sogenannten Stimmrechtsberatern wie zum Beispiel Ethos, mit den grossen Investoren und mit dem Topmanagement im Vorfeld der Generalversammlung so kommunizieren, dass es auch gut geht? Und das dritte Thema ist das Thema Vergütungsstrategie: Was sind langfristig die richtigen Anreize. Bei allen drei Themen sind die Akteure gefangen in einem immer restriktiveren Umfeld. Die Minder-Umsetzung ist seitens der Politik noch nicht ganz durch. Auf das Bundesgesetz warten wir noch. Da hat man auch Respekt davor. Auf Seite der Kommunikation ist es auch noch nicht klar, wie man gegenüber den Stimmrechtsberatern agiert. Vor allem in der Bankenwelt und der Regulatorik, in Bezug auf die Vorschriften der Europäischen Union. Das sind Sachen, die noch nicht ganz durch sind. Die Dinge sind in Bewegung, es ist Unsicherheit da, aber die Firmen arbeiten daran.
Johannes Czwalina: Stichwort variable Vergütungsmodelle: Die können gesund und zielführend sein, wenn sie in einer vernünftigen Relation zum Grundsalär stehen. Sobald die nicht mehr gegeben ist – also die ganze Sache nach oben offen ist – dann kommen wir in ein Ungleichgewicht. Das spüren wir bei den Menschen und Akteuren.
HR Today: Ist das auch Ihre Wahrnehmung als Unternehmensberater?
Johannes Czwalina: Wenn die Vergütungen nicht begrenzt sind, wie das bei CS-Chef Brady Dougan der Fall war, das ist natürlich eine Steilvorlage für den Minder. Da kommen wir in eine Situation rein, dass ein eigentlich vernünftiges und ausgewogenes Benefitmodell unter Druck gerät und immer mehr Massnahmen und Regelungen stattfinden aus lauter Angst.
HR Today: Es gibt ja Gründe, wieso es überhaupt zu diesen Initiativen gekommen ist. Die sind ja nicht aus heiterem Himmel entstanden. Herrscht hier am Tisch Konsens, dass etwas in die Schieflage geraten ist?
Matthias Mölleney: Also ich war sozusagen Zeitzeuge, als das angefangen hat. Das war so um die Jahrtausendwende, als sich immer mehr die Forderung nach Transparenz durchgesetzt hat. Man verlangte, dass Toplöhne transparent gemacht werden und im Geschäftsbericht niedergeschrieben wird, wer wie viel verdient. Die Idee dahinter war, dass dann die Löhne sinken. Ich habe damals immer gesagt: Genau das Gegenteil wird der Fall sein, je transparenter, desto mehr geht es mit den Löhnen nach oben. Weil ab einem bestimmten Einkommen das Einkommen an sich nur noch eine sekundäre Rolle spielt. Dem CEO ist es eigentlich egal, wie viele Millionen er verdient, es darf bloss nicht weniger sein als der CEO von der Konkurrenz. Je höher man im Salär kommt, umso wichtiger wird der Quervergleich. Anders verhält es sich, wenn ich ein Tiefsalär anschaue, von einem Kassierer oder einem Chauffeur. Für den ist primär wichtig: Wie viel habe ich am Ende des Monats im Sack? Wie viel kann ich mir damit kaufen? Kann ich meine Miete bezahlen? Diese Fragen stellt sich natürlich einer, der eine Million verdient, nicht mehr. Der stellt sich die Frage: Bin ich jetzt noch Benchmark oder nicht?
Stephan Hostettler: Wenn man über Gehalt spricht, dann ist es etwa ab einer halben Million so – dass nicht alles sofort bezahlt wird, sondern Elemente zurückgestellt werden. Das darf man nicht ganz vergessen. Bei den so genannten Exzessen, die rumgereicht werden handelt es sich meistens nicht um versteuertes Gehalt, sondern um zugesprochenes Gehalt. Ich gehe mit dir einig, Matthias, dass man das vergleicht, dass man neben der Transparenz gewisse Ansprüche entwickelt, gleichzeitig muss man sehen, in welcher Form diese Gehälter bezahlt werden. Wenn man sich überlegt, wie viele Arbeitnehmer in der Schweiz über 3 Millionen Franken verdienen, sind es vielleicht 300 Personen. Die Mehrzahl der Firmen befindet sich in einem vernünftigen und reflektierbaren Umfeld.
HR Today: Was ist vernünftig?
Stephan Hostettler: Das vernünftige Gehalt ist eine schwierige Zahl. Wir haben diese Frage übrigens der Schweizer Bevölkerung im Rahmen einer Umfrage gestellt. Wir haben gefragt: Wie viel ist genug? Diese Frage stellen wir seit fünf Jahren, und seit fünf Jahren kommt das gleiche Resultat heraus: Und zwar gibt es keine Einigkeit darüber, was genügend Geld ist. Der Mittelwert oder meist erwähnte Wert ist eine Million, aber es gibt Schwankungen zwischen 10‘000 Franken und 50 Millionen. Geld ist daher relativ, und diejenigen, die den Anspruch haben, am meisten zu verdienen, haben entsprechende Erwartungshaltungen. Aber wenn es mit den Gehältern nach oben in den siebenstelligen Bereich geht, so sind diese selten in bar bezahlt.
Matthias Mölleney: Das ist klar, es geht aber um die gesamte Vergütung. Für mich ist es eine Frage der Wertschätzung. Man leitet ja die eigene Wertschätzung aus dem ab, was die Firma bereit ist, für einen zu bezahlen. Und das kann man seit diesen Transparenzvorschriften ziemlich gut vergleichen. Früher gab es die Diskussion intern, da kam der Kollege aus der Geschäftsleitung und hat gesagt: «Ich glaube, ich verdiene zu wenig, mein Lohn ist zu niedrig, mein Paket stimmt nicht, die Verteilung ist nicht ok.» Dann hat man das intern mit ihm besprechen können und ihm gesagt: «Schau mal, das ist unser System, du verdienst das, der Kollege liegt ungefähr da.» Das war schon das Maximale, was man an Transparenz gemacht hat, dass man intern die Systematik offengelegt hat. Und damit war es das. Ab 2000, nach der Dotcom-Blase hat sich das mit der Transparenz geändert, da sind dann die Kollegen gekommen und haben gesagt, sie hätten mal im Internet recherchiert. Ein Kollege in vergleichbarer Position und Branche verdiene im Schnitt so und so viel, sie verdienten ein paar Hunderttausend weniger, wieso? Die Diskussion hat eine ganz andere Dimension angenommen, die Fragestellung war eine andere. Es ging nicht mehr darum, ob ich für das, was ich leiste, genügend verdiene, sondern ob ich im Vergleich zu anderen genügend verdiene. Wenn ich einen interessanten Job habe und sehe, andere verdienen mehr, da frage ich mich schon, was da faul ist. In letzter Zeit – vielleicht auch wegen der Initiativen – ging es mehr darum, wie das Vergütungspaket zusammengesetzt ist, was ich tatsächlich versteuern muss und was ich unter welchen Bedingungen bekomme. Der variable Teil steht jetzt wieder im Vordergrund. Man muss sich das wie eine Wellenbewegung vorstellen.
Johannes Czwalina: Ich sehe, dass gerade bei grossen Firmen die Vertragswerke immer grösser werden, ich glaube, bei der UBS ist die Benefit-Regelung 80 Seiten lang, vor allem auf der oberen Managementstufe. Benefitregelungen werden immer komplexer. Ein normaler Mensch kommt da gar nicht mehr draus. HR hat die Aufgabe, das Komplexe einfach zu erklären, so dass es die Leute verstehen.
Stephan Hostettler: Geht es um Topmanagement-Positionen oder um Mitarbeiter-Vergütungen? Das sind zwei grundsätzlich verschiedene Elemente. Es ist immer komplexer geworden, und die Transparenz heilt nicht das Problem per se. Nur leben wir in der Welt der Transparenz und die Aussenwelt möchte mehr wissen. Der Preis dafür sind die langen Berichte. Das ist quasi ein Misstrauensantrag gegenüber dem Verwaltungsrat, weil jetzt die Aktionäre, die Investoren, die Stimmrechtsberater und alle sagen: Wie geht das eigentlich? 2001, als ich die Firma gegründet habe, war die Frage noch nicht so prominent, doch die Systeme waren sehr ähnlich. 2001 stand die gleiche Frage im Vordergrund: Wie misst, steuert und verteilt man Erfolg. Das ist eine ganz fundamentale Frage. Diese Frage ist zu lösen und kann man lösen. Jetzt löst man sie in einem politischen, öffentlichen Umfeld, das einen Druck erzeugt in der Kommunikation und in der Transparenz.
- Die September-Ausgabe von HR Today widmete sich dem Thema Salärmanagement. Auf grosse Aufmerksamkeit ist dabei der Roundtable gestossen mit Vergütungsspezialist Stephan Hostettler, Theologe und Unternehmensberater Johannes Czwalina sowie Praxisexperte Matthias Mölleney. hrtoday.ch veröffentlicht die ausführliche Version des 90-minütigen Gesprächs in einer 7-teiigen Serie.